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Interview mit Komponist Nikolaus Brass Szene im Wandel

Musik von Nikolaus Brass ist in dieser Woche gleich zweimal in München zu erleben. Heute Abend wird im "Schwere Reiter" sein Werk "Sei Nacht zu mir" uraufgeführt. Am Wochenende ist der Komponist beim 20. Musikfest der Münchner Gesellschaft für Neue Musik zu Gast. Im Gespräch mit BR-KLASSIK erklärt er, wie sich die Neue Musik-Szene in München gerade wandelt.

Nikolaus Brass | Bildquelle: Forster

Bildquelle: Forster

BR-KLASSIK: Heute Abend wir ein Werk von Ihnen uraufgeführt, vom Münchner Kammerorchester: „Sei Nacht zu mir“. Inspiriert haben Sie Gedichte des persischen Dichters Said. Welche Gedichte sind das und worum geht es darin?

Nikolaus Brass: Es sind ganz klassische Liebesgedichte, das ist auch der Untertitel des Gedichtbandes "Sei Nacht zu mir - Liebesgedichte". Ich habe Said mehr oder weniger zufällig in München kennengelernt und wir sind immer mal wieder in Berührung gekommen. Dann entstand bei mir der Gedanke, ob ich mich nicht mal an seine Texte wagen sollte. Das sind sehr reduzierte, konzentrierte Wortschöpfungen. Es ist ganz schwierig, dem etwas hinzuzufügen. Bei mir werden die Texte gelesen und es singt ein Countertenor textlos, in einer eigenen, von mir erfundenen Sprache. Und nur zwei Violinen begleiten - hier die beiden ersten Geigen des Münchner Kammerorchesters, die natürlich auch fantastische Solisten sind. Insofern ist es kein Stück für das ganze Orchester, aber es entstand eigentlich auch aus der Frage, die aus dem Orchester an mich herangetragen wurde, ob ich nicht mal etwas Kleines schreiben könnte, mit Bezug auf die leidige Probenraumsituation des MKO. Im Moment probt das Orchester ja im ehemaligen Lyrikkabinett. Daraus entstand die Idee, etwas speziell reduziertes für dieses Kabinett zu machen. Nun ist es ins "Schwere Reiter" gewandert.

BR-KLASSIK: Es ist die Woche der Uraufführungen in München, könnte man sagen. Heute geht es mit Ihrem Werk los. Aber am Wochenende gibt’s das Jubiläumsmusikfest der Münchner Gesellschaft für Neue Musik. Ein Höhepunkt ist ein Konzert, für das Sie zwanzig Uraufführungen von zeitgenössischen Komponisten bestellt haben. Decken diese Stücke die ganze Bandbreite dessen, was gerade geschrieben wird, ab?

Nikolaus Brass: Die Aufgabe der Münchner Gesellschaft für Neue Musik war von Anfang an, die freie Szene zu präsentieren. Auf das Konzert am Samstag sind wir alle sehr gespannt. Wir haben einen hochkarätigen Dirigenten, der das alles einstudiert und die Noten "frisst". Das Programm ist anspruchsvoll, sehr unterschiedlich, sehr heterogen. Wir haben für mindestens 12 und maximal 17 Instrumente ausgeschrieben, wir bekommen also einen sehr repräsentativen Querschnitt einer sehr bunten Musik, wie ich hoffe.

BR-KLASSIK: Wo steht denn die Neue Musik im Kulturleben der Stadt? Ist sie eine Oase, ist sie mittendrin?

Nikolaus Brass: Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass es hier ein Publikum für Neue Musik gibt, dass es sogar viele gibt, die sagen: Warum hat mir noch nie jemand gesagt, dass es sowas wie die Neue Musik gibt? Also wir haben ein Kommunikationsproblem. Ich bekomme sicherlich kein Herkulessaal-Publikum in das "Schwere Reiter". Wenn es mir in Einzelfällen doch gelingt, sind die Leute begeistert. Wir sind - und das ist in der sogenannten freien Szene immer das Problem - angewiesen auf Menschen, die‘s machen und wir brauchen neue. Ich sehe das Problem, dass die Generation nach mir sich individuell organisiert, nicht mehr in Gruppen. Die Komponisten stellen ihre Sachen auf YouTube und haben dadurch ihre Kontakte. Diese klassische Figur, die am Schreibtisch sitzt und ihre Noten schreibt, ist vielleicht ein Auslaufmodell.

BR-KLASSIK: Dann schauen wir nochmal 20 Jahre in die Zukunft, 2036, dann ist die Münchner Gesellschaft für Neue Musik 40. Was würden Sie sich wünschen, wo sie dann steht und was könnten Sie sich vorstellen, wo sie steht?

Nikolaus Brass: Wünschen würde ich mir natürlich, dass es weiterhin gelingt, viele Menschen zu begeistern für die kreative Geladenheit von heutigem Schaffen, sei es jetzt Musik, Literatur etc. Das wir uns nicht "besaufen" mit diesem durch die Werbeindustrie katalogisierten und vorgestanzten Mustern ästhetischer Reize. Die Kunst hat ja nur einen Sinn, wenn sie uns immer wieder daran erinnert, welchen Reichtum unsere Sinne fähig sind aufzunehmen. Die Digitalisierung wird natürlich weiterschreiten, wir werden andere Instrumente haben, andere Klangerzeugungsmöglichkeiten entwickeln. Aber ich bin optimistisch, dass der kreative Geist des Menschen immer weiterleben wird.

Das Gespräch führte Annika Täuschel für BR-KLASSIK.

Nikolaus Brass

Nikolaus Brass, geboren 1949 in Lindau am Bodensee, studierte Komposition bei Peter Kiesewetter, Frank Michael Bayer und Helmut Lachenmann. Lange Zeit arbeitete er parallel als Arzt und Redakteur der medizinischen Fachzeitschrift Ärztliche Praxis sowie als Komponist. Seine Werke - Kammer- Orchester- und Vokalmusik - erklingen regelmäßig auf Festivals sowie in namhaften der Neuen Musik gewidmeten Konzertreihen, nicht zuletzt auch im Rahmen der musica viva des Bayerischen Rundfunks. Nikolaus Brass erhielt 1999 den Musikförderpreis und 2009 den Musikpreis der Landeshauptstadt München.

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