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Komponist Jörg Widmann "Musik hat die unglaubliche Fähigkeit, Trost zu spenden"

Am 1. und 2. Februar gelangt Jörg Widmanns "Trauermarsch" für Klavier und Orchester mit dem BR-Symphonieorchester unter Mariss Jansons und dem Widmungsträger Yefim Bronfman als Solist zur Aufführung. Anlässlich dieser Konzerte sprach der Komponist mit Annika Täuschel über seine Partitur - und darüber, dass uns Musik nie alleine lässt.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Trauer ist ja etwas sehr Persönliches und meistens auch etwas sehr Intimes. Es gibt vermutlich wenige Trauerveranstaltungen, in denen Musik keine Rolle spielt. Musik ist ein unglaublich wichtiges Verarbeitungsmittel - aber ich denke, für jeden jeweils sehr individuell. Gibt es denn so etwas wie DIE Trauermusik schlechthin?

Jörg Widmann: Da haben Sie natürlich vollkommen recht. Das ist etwas ganz Intimes, etwas ganz Individuelles - aber ich denke, dass uns schon diese Rituale schon irgendwie helfen, Rituale, die in allen Kulturen unterschiedlich sind. Die Musik hat ja eine unglaubliche Fähigkeit neben vielen anderen: Sie kann trösten. Selbst in Momenten, in denen sie trostlos ist, hat sie trotzdem gleichzeitig die Fähigkeit, Trost zu spenden. Ich habe schon versucht, in diesen Trauermarsch die verschiedenen Facetten von Trauer hineinzubringen. Das steigert sich teilweise manchmal in blinde Wut oder Verzweiflung.

Trauer gehört zum Leben

Dann aber gibt es auch wieder Momente, die ganz engelhaft sind, also sozusagen die Tröstung auch wieder ganz nah scheint. Und wenn es irgendeinen Grund gibt, Musik zu machen, dann ist es doch vielleicht, dass sie uns mit diesen extremen Gefühlen, die wir im Leben haben - mit den schönen übrigens genauso - nicht alleine lässt. Sondern dass wir dort ein Ventil finden, wo wir das hineinlegen können. Deshalb bin ich dankbar, dass ich komponieren darf, dass ich Musiker bin. Trauermusiken sind seit jeher ein fester Bestandteil der Musik - genauso wie die Jubel- und Freudenmusiken; ich finde, sie gehören genauso zum Leben wie die Dinge, die wir mit positiven Dingen konnotieren.

Der Schritt zum Orchester war schmerzhaft, aber ersehnt.
Jörg Widmann

BR-KLASSIK: Ich kann mich erinnern, dass ich Sie zufälligerweise mal im "Fraunhofer" traf, und da hatten sie die Partitur ihrer Oper "Babylon" dabei. Ich durfte 'reinschauen und erinnere mich vor allem noch an eins: Die Partitur war - von den Ausmaßen her - riesig. Kurz vor der Uraufführung von "Con brio" haben wir auch gesprochen, da war das ähnlich. Jetzt habe ich eben gerade einen Seitenblick auf ein neues Stück ergattert, und das sieht ebenfalls nicht ganz klein aus. Ist das typisch für Ihre Arbeitsweise?

Jörg Widmann: Das ist eine sehr gute Frage. Das ist nämlich etwas, was ich mir als Jugendlicher und als junger Mensch, als ich mit dem Komponieren begonnen habe, nie hätte vorstellen können. Genau diese Hürde ins große Orchestrale hinein war für mich eine fast unüberwindlich scheinende Hürde. Ich erinnere mich, als Jugendlicher eine Partitur von Penderecki gesehen zu haben: "für Flöte und kleines Orchester" hieß es im Untertitel. Für mich war dieses "kleine" Orchester riesenhaft; ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen wie man so etwas als "kleines Orchester" bezeichnen kann.

Jörg Widmann | Bildquelle: Marco Borggreve Jörg Widmann - Komponist, Klarinettist, Dirigent | Bildquelle: Marco Borggreve Ich komme als Klarinettist von der Kammermusik her. Der Schritt ins Orchester hinein: Das war für mich ganz schmerzhaft. Der Schritt war aber auch ersehnt. Ich wollte es ja können, aber wie bei jedem Komponisten, der sein erstes Orchesterstück schreibt - bei mir vielleicht noch extremer -, ist es mir gar nicht gelungen. Ich war wie ein Maler, der alle Farbpalette plötzlich zur Verfügung hat. Und wenn ein Maler alle Farben verwendet, dann wird daraus ein Grauton, und so war war es bei mir auch.

Riesen-Orchestrierungen und fragile Momente

Mir das Orchester zu erobern - rein technisch, vom Handwerk her -, war ein Riesenschritt für mich. Aber ehrlich gesagt: Als ich ihn gemacht hatte, wurde das immer exzessiver. Sie haben recht: In den letzten Jahren werden die Partituren tatsächlich auch in ihrer vertikalen Ausdehnung immer heftiger - auch dieses neue Stück, was hier liegt, das stimmt. Aber ich bin einfach so ein Instrumentationsfetischist, und das eine kommt zum anderen. Ich setze mich nicht hin und sage: "Jetzt schreibe ich diese Partitur Seite voll und schwarz." Ich neige im Moment zu diesen Riesen-Orchestrierungen. Nur: Selbst innerhalb von denen hört man eben ganz anders auf die ganz zarten, sparsamen und fragilen Momente. Das eine hängt für mich mit dem anderen zusammen.

Sendung: "Leporello" am 31. Januar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Widmanns "Trauermarsch" mit dem BR-Symphonieorchester

München, Herkulessaal der Residenz
Donnerstag, 01. Februar 2018, 20:00 Uhr
Freitag, 02. Februar 2018, 20:00 Uhr

Jörg Widmann:
"Trauermarsch" für Klavier und Orchester
Franz Schubert:
Symphonie Nr. 8 C-Dur, D 944 "Große C-Dur-Symphonie"

Yefim Bronfman (Klavier)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Mariss Jansons

BR-KLASSIK überträgt das Konzert am 2. Februar live im Radio und per Video-Livestream auf BR-KLASSIK.de/concert.

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