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Moritz Eggert über seine Oper "Freax" Buntes Spektakel rund um Außenseiter

Am 21. Januar erlebte Moritz Eggerts Oper "Freax" nach dem Kultfilm von Tod Browning ihre szenische Uraufführung am Theater Regensburg - nachdem eine geplante Inszenierung von Christoph Schlingensief in Bonn 2007 gescheitert war. Im Interview spricht Eggert über den damaligen Skandal und über seine Sympathie für Außenseiter - zu denen er sich auch selbst zählt.

Bildquelle: © Jochen Quast (Teaserbild ) / Astrid Ackermann (Herobild)

BR-KLASSIK: 2007 gab es schon einmal einen Anlauf für Ihre Oper "Freax". Damals sollte das Werk uraufgeführt werden. Das wurde es auch, aber nur konzertant. Es gab also keine szenische Umsetzung, weil Sie sich mit Christoph Schlingensief, der für die Regie zuständig war, entzweit hatten. Jetzt ist Schlingensief seit über sechs Jahren tot. Bereuen Sie es manchmal, dass es damals nicht mit ihm funktioniert hat?

Moritz Eggert: Also, erst einmal muss ich korrigieren: es gab eigentlich keine Entzweiung zwischen uns. Wir haben uns im Probenprozess immer sehr gut verstanden. Ich fand ihn witzig und charmant. Es gab überhaupt keinen Streit zwischen uns. Das wurde kolportiert, aber es stimmt nicht. Er hatte sich zwar sehr um das Stück gerissen, aber das Problem war, dass er irgendwann merkte, im normalen Opernbetrieb einfach nicht funktionieren zu können. Dann fing er an, auf seine raffinierte Weise verschiedene Strategien zu entwickeln, damit umzugehen. Und er versuchte, das Ganze in eine Art Performance umzuwandeln, die auch sehr originell war, aber eben nicht mit dem Orchester, dem Chor und den Sängern zusammen funktionierte. Einen Monat vor der Premiere sagte er: OK, wir lassen jetzt mal den ganzen Text weg, die Sänger sollen ruhig 'raus gehen und eine rauchen. Wir machen die Musik konzertant, kürzen sie aber um 60 Minuten, weil parallel der Film dazu gezeigt wird. Da habe ich gesehen, dass es nicht funktioniert. Es gab aber keine Entzweiung.

Bildquelle: © Jochen Quast

Die Premierenkritik zum Anhören

BR-KLASSIK: Offiziell hieß es damals, Sie hätten die Oper mit verkleideten Schauspielern besetzen wollen, und Schlingensief wollte tatsächlich kleinwüchsige und behinderte Menschen auf die Bühne bringen …

Regisseur Christoph Schlingensief | Bildquelle: picture-alliance/dpa Regisseur Christoph Schlingensief | Bildquelle: picture-alliance/dpa Moritz Eggert: Auch das ist ganz falsch. Es regt mich auch auf, dass diese Behauptung bis heute durch die Welt geistert. Es war umgekehrt so, dass die Darsteller aus Schlingensiefs Crew geradezu darum bettelten, in der Oper mitmachen zu dürfen. Und ich hatte auch spezielle Parts für sie geschrieben. Es gab auch spezielle Freiräume für Improvisationen. Ich wollte das also sehr gerne. Er hat das Ganze dann verboten, weil er es komplett trennen wollte - nur noch seinen Film, und dann eine Installation in der Pause - und er wollte auf gar keinen Fall, dass da etwas vermischt wird. Also Schlingensief hat es konkret unterbunden, dass seine Leute mitmachen.

Eine Oper über Außenseiter

BR-KLASSIK: Warum überhaupt eine Oper über Kleinwüchsige - über siamesische Zwillinge, über Menschen mit Behinderungen - was hat Sie da angetrieben?

Moritz Eggert: Also der Film "Freaks" ist von 1931, Regie führte Tod Browning. Das ist nicht nur einer meiner Lieblingsfilme, sondern gleichzeitig einer der progressivsten Filme, die je gedreht wurden - filmgeschichtlich nach wie vor wahnsinnig bedeutend. Mir persönlich ist diese Welt der Zirkusse, Freak Shows und Side Shows sehr nahe und ich habe wahnsinnig viele Sympathien für diese Figuren - wie allgemein für Außenseiter der Gesellschaft. In gewisser Weise sind wir ja als Komponisten auch so etwas wie Freaks, weil wir etwas machen, dass sehr viele Menschen für total schrägen Mist halten. Wir sind immer wieder in der Situation, dass wir uns da irgendwie selbst behaupten müssen. Ich habe großen Respekt vor Menschen mit Behinderungen oder irgendeiner Art von Andersartigkeit, die in der Gesellschaft überleben und dafür Strategien entwickeln müssen. Eine solche Strategie war eben für die Menschen früher zum Beispiel, sich in solche Zirkus-Freakshows zu begeben und dort ein Auskommen zu finden.
Und jetzt in der Neu- oder besser gesagt Erstinszenierung der Oper haben wir das ein bisschen erweitert. Da geht es auch um andere Formen des Ausgegrenzt-Seins in der heutigen Gesellschaft, zum Beispiel in einem Hospiz oder in einem Heim für Demenzkranke - das sind ja auch "Freaks" sozusagen, die am Rande der Gesellschaft existieren.

Keine brave Inszenierung

BR-KLASSIK: Jetzt hat sich Hendrik Müller gefunden, der die Oper in Regensburg erstmals auf die Bühne bringt. Müller ist nicht gerade als Skandalregisseur bekannt. Ich nehme an, die Zusammenarbeit lief dann auch gut?

Moritz Eggert: Er ist dankenswerterweise eingesprungen. Ursprünglich sollte das ja Jim Lucassen machen, der in den Vorbereitungen schon sehr weit gekommen war, dann aber wegen Krankheit kurzfristig absagen musste. Doch Müller hat sich sehr verdient gemacht, indem er Lucassens Regiekonzept übernommen hat. Das was ich heute gesehen habe, ist schon durchaus verstörend, und auch "shocking" zum Teil. Ich glaube nicht, dass das eine brave Inszenierung wird.

BR-KLASSIK: Die Handlung wurde ja in ein Pflegeheim für Alte und psychisch Kranke verlegt. War das ein Weg, dem Ganzen ein wenig die Brisanz zu nehmen?

Moritz Eggert: Eher umgekehrt. Ich finde es jetzt noch wesentlich brisanter. Als wir die Oper seinerzeit gemacht haben, da waren "Big Brother" und "Dschungelcamp" und so die Themen. Wir hätten das Stück heute vielleicht gar nicht mehr so geschrieben, weil das Thema letztlich durch ist - diese Art von Medien-Exhibitionismus, wo sich auch "Freaks" präsentieren und sich vom Fernsehen ausbeuten lassen. Aber ich finde es wichtig zu sagen: OK, was gibt es denn heute für Themen, 2017? Und da finde ich, dass die Ausgrenzung durch Gedächtnisverlust oder Demenz durchaus ein brisantes Thema ist - und daher ist es meiner Meinung nach auch legitim, das in den Blickpunkt zu rücken.

Kritiken härten ab

BR-KLASSIK: Die Kritiken nach der konzertanten Uraufführung waren ja nicht gerade positiv. Kümmert Sie das oder sind Ihnen solche Verrisse einfach egal?

Komponist Moritz Eggert | Bildquelle: © Astrid Ackermann Komponist Moritz Eggert | Bildquelle: © Astrid Ackermann Moritz Eggert: Naja, auch Kritiken und Verrisse sind ja in irgendeiner Form auch eine Kommunikation mit dem Publikum. In gewisser Weise gehört das schon auch zum Beruf dazu, dass Leute sich drüber aufregen oder es blöd finden. Ich glaube, dass die Diskussion nach dem Stück sehr ungerecht war und wenig mit der Oper selbst zu tun hatte, weil die Geschichte der Entstehung eben zum Teil falsch dargestellt und daher missverstanden wurde. Daher musste ich mir Vorwürfe anhören - zum Beispiel, ich hätte etwas gegen Behinderte, was natürlich überhaupt nicht stimmt. Viele kamen schon mit einem etwas negativen Bild in die Aufführung, weil Schlingensief natürlich medial wesentlich präsenter war. Das hat mich damals schon sehr belastet, weil ich einfach merkte, da wird eigentlich nicht über das Stück geschrieben, sondern um den Zirkus drumherum. Und auch das gehörte irgendwie zum Stück dazu, denn wir haben uns ja darin über den Medienzirkus lustig gemacht - und genau der prasselte dann auf uns nieder. Letztlich hat mich das Ganze aber auch abgehärtet und in gewisser Weise gestärkt.

Die Fragen stellte Kristin Amme für BR-KLASSIK.

Moritz Eggerts "Freax" am Theater Regensburg

"Freax"
Oper in zwei Akten von Moritz Eggert (*1965) | Szenische Uraufführung
Text von Hannah Dübge
Musikalische Leitung: Tom Woods
Regie: Hendrik Müller, nach einem Konzept von Jim Lucassen

Premiere:
Samstag, 21. Januar 2017, 19.30 Uhr

Weitere Vorstellungen:

Dienstag, 24. Januar 2017, 19.30 Uhr
Samstag, 11. Februar 2017, 19.30 Uhr
Montag, 20. Februar 2017, 19.30 Uhr
Samstag, 04. März 2017, 19.30 Uhr
Dienstag, 07. März 2017, 19.30 Uhr
Donnerstag, 30. März 2017, 19.30 Uhr
Donnerstag, 06. April 2017, 19.30 Uhr
Sonntag, 09. April 2017, 19.30 Uhr
Sonntag, 23. April 2017, 15.00 Uhr
Freitag, 12. Mai 2017, 19.30 Uhr
Freitag, 30. Mai 2017, 19.30 Uhr
Mittwoch, 05. Juli 2017, 19.30 Uhr

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