Am 16. April wurde der lettische Komponist Pēteris Vasks 70 Jahre alt. Er gehört zu den meistaufgeführten Tonsetzern der Gegenwart. Von Beginn an hat er Musik als soziale Aufgabe verstanden. Er wollte und will den Menschen Halt geben und Hoffnung vermitteln.
Bildquelle: © Schott Music / Mélanie Gomez
Zur Welt kam Pēteris Vasks 1946 in dem kleinen Städtchen Aizpute im Westen Lettlands. Sein Vater war Pfarrer, die Mutter Ärztin. Stets wurde in Vaks' Elternhaus musiziert: Seine Mutter sang Sopran, seine Schwester spielte Klavier, Pēteris selbst lernte an der Musikschule Violine. Nachdem seine Familie nach Riga übergesiedelt war, wollte Vasks zunächst an der dortigen Musikschule Violine studieren - was ihm aber als Pfarrerssohn verweigert wurde. Stattdessen begann er ein Kontrabass-Studium in Vilna (Litauen). Das Komponieren begleitete ihn von Anfang an, doch erst später wurde ihm bewusst, dass er ausschließlich Komponist sein wollte.
Pēteris Vasks | Bildquelle: picture-alliance/dpa Begonnen hatte Vasks mit Kammermusik und einer ganzen Reihe von Vokalwerken. Das hat seinen Grund in der traditionell starken Chorbewegung des Baltikums: der gesungene Freiheitstraum als Stifter nationaler Identität und als subtile Form des Protests. In seinen frühen Kompositionen gibt sich Vasks, was die Erprobung neuer vokaler Techniken angeht, durchaus noch radikaler, avantgardistischer als in seinen späteren, eher zum Wohlklang tendierenden Orchesterpartituren. Da mögen sich zunächst Einflüsse der polnischen Schule, von Lutosławski und Penderecki ausgewirkt haben, die Vasks zu einer wesentlichen Inspirationsquelle für die eigene Arbeit wurde: "Mein Lieblingskomponist bleibt bis heute Lutosławski", sagt Vasks. "Er ist für mich wie ein Ideal in der Musik. Nicht nur als Komponist, sondern auch als Persönlichkeit." Weitere Anregungen kamen von der Symphonik Gustav Mahlers oder Giya Kanchelis.
Jeder Komponist muss in seiner musikalischen Sprache sprechen.
Aus westlicher Warte, vor dem Hintergrund hochentwickelter Organisationsapparate für Musik, fällt es nur allzu leicht, auf das scheinbar einfache Komponieren von Vasks herabzublicken. Es entspringt gleichwohl einem abgewogenen Denk- und Erfahrungsprozess und der bewussten Entscheidung, es eben anders machen zu wollen. Eine Überzeugung, die Vasks mit Kollegen wie Pärt, Kancheli oder Górecki teilt: "Jeder Komponist muss seinen Weg finden, in seiner musikalischen Sprache sprechen. Ein musikalisches Esperanto ist für mich uninteressant. Daher stellt sich für mich auch die Frage: Wie kommt es, dass im Westen, wo seit langem eine freie Gesellschaft existiert, es musikalisch oft nur einen Weg gibt und alles andere abqualifiziert wird?"
Es gibt viel zu viel Materialismus, zu wenig Geist.
Bildquelle: Christopher Peter/Schott Promotion Ein weiterer Fixpunkt für das Schaffen von Vasks ist die Musik Olivier Messiaens. Auch für Vasks haben Vogelstimmen eine besondere Bedeutung, allerdings auf andere Art. Während sich Messiaen ein Leben lang als akribischer Ornithologe betätigte, geht es Vasks nicht um spezifische Ausdifferenzierung. Eher illustrativ-lautmalerisch erscheinen Vogelstimmen bei ihm - als Signale oder Klangzeichen. "Ich möchte die Seele eines Vogels zeigen", sagt der Komponist. "Falls sie denn eine Seele haben. Früher waren Vögel ein Freiheitssymbol. Sie kennen keine Grenze, sie fliegen, bemerken keinen Eisernen Vorhang. Aber sie sind für mich auch ein Symbol für eine saubere, grüne Natur." Dieses "Zurück zur Natur" bedeutet für Vasks nicht nur eine Phrase, wie Musik überhaupt für ihn ein existenzielles Grundbedürfnis ist, seelische und geistige Nahrung: "Musik ist im Baltikum kein intellektuelles Spiel, sondern eine große geistige Konzentration. Ich denke, dass unsere Zivilisation in eine falsche Richtung geht. Es gibt viel zu viel Materialismus, zu wenig Geist. Das Wichtigste ist doch unsere Seele, unser Körper und Geist, das alles zusammen."
Vasks Musik hat eine rückhaltlose emotionale Kraft, die den Hörer mitten ins Herz trifft. Und das tut Vasks mit voller Absicht: "Wir haben den Kontakt zum Publikum verloren. Diesen Kontakt müssen wir wiederfinden. Wenn zeitgenössische Musik nur auf Festivals existiert, dann ist das keine lebendige Musik. Meine Musik erzählt über die wichtigsten Sachen mit einfachen Worten. Sie können sie mögen oder nicht, aber sie ist das Beste, was ich Ihnen mitteilen kann. Ich bin verantwortlich für jede Note." Neben der bescheidenen Art seines Auftretens spürt man jederzeit, dass einer es ehrlich meint. So kann man die Musik von Vasks zwar leicht klassifizieren, in Dur und Moll, in Chromatik für das Böse und Diatonik für die Vision einer besseren Welt, in tonale und dissonante Elemente. Gleichviel: Vasks hat etwas zu sagen, er hat eine Botschaft, zudem ein intuitives Gespür für Klang und den Drang zur unbedingten Expression. Er hat den Glauben an die Menschheit noch nicht verloren und schenkt seinen Landsleuten, was sie wie die Luft zum Leben brauchen: Hoffnung.