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Steve Reich zum 85. Geburtstag Klatschen als Kunst

Er ist einer der Erfinder der "Minimal Music": 1965 ließ Steve Reich zwei Tonbänder mit geringfügig unterschiedlicher Geschwindigkeit gleichzeitig laufen und entdeckte so das Prinzip des "Phase Shiftings", das er zum Grundprinzip seiner Musik erhob. Minimale Mittel - zwei Leute, die klatschen - reichten ihm zuweilen aus, um faszinierende Effekte der Rhythmusverschiebung zu erzielen. Anfangs wurde Steve Reich verlacht, weil seine Musik zur Tonalität zurückkehrte und so einfach schien. Heute gilt er als Klassiker. Am 3. Oktober 2021 wird der Pulitzer-Preisträger 85 Jahre alt.

Bildquelle: imago/Kai Bienert

Das Porträt - hier anhören

Geruhsamkeit ist Steve Reichs Sache nicht: "Ich spreche schnell, ich bin ein nervöser Typ - ich bin ein typischer New Yorker! New York hat meine Musik ganz sicher beeinflusst." Der Puls ist sein Markenzeichen - Klänge, die unablässig in Bewegung sind, wie die Stadt, in der Steve Reich vor 85 Jahren geboren wurde. Und es war auch der Rhythmus, der seine Liebe zur Musik weckte, als er 14 Jahre alt war: "Da hörte ich zum ersten Mal Strawinskys 'Sacre'", erinnert sich der Komponist. "Bach und Bebop - Charlie Parker, Miles Davis, den Drummer Kenny Clarke. Und so wurde ich Schlagzeuger, weil ich Jazz spielen wollte."

Hypnotisierende Klangteppiche

Mit seinem einstündigen Schlagzeugstück "Drumming" wurde Steve Reich 1971 zur Galionsfigur der jungen "Minimal Music". Da war er gerade von Trommelstudien aus Ghana zurückgekehrt und hatte bereits sein eigenes Ensemble gegründet. Die hypnotisierenden Klangteppiche, die "Steve Reich and Musicians" in ihren Konzerten aus kleinsten Motivfäden woben, verstanden viele als Einladung zur Meditation. Doch Reich wollte keine Musik zum Wegdämmern, sondern zum Hinhören: auf die komplexen Kanon-Techniken, die seiner Musik bis heute zugrunde liegen.

Musik ist nichts als Musik

"Gerade in Deutschland fragen mich die Leute: Was bedeutet dieses Instrumentalstück? Was ist die Bedeutung von Beethovens Fünfter? Das Schicksal klopft an die Tür? Ach, Unsinn!", ereifert sich Steve Reich. "Es ist schlicht ein Stück über ein Motiv aus vier Tönen!"

Instrumentalstücke drehen sich allein um musikalische Strukturen. Und Stücke mit Texten drehen sich um diese Texte.
Steve Reich

Wiederentdecken der eigenen Identität

Stücke mit Texten spielen in Reichs Werk eine zentrale Rolle, seit er 1981 in "Tehillim" hebräische Psalmen vertonte - ein Stück, mit dem er auch seine jüdische Identität wiederentdeckte. "Ich wurde als Reformjude erzogen", berichtet Reich. "Ich wusste also gar nichts. Aber um 1975 spürte ich: Etwas fehlt. Und ich fand eine orthodoxe Synagoge in Manhattan, begann die Texte zu studieren, meine Essgewohnheiten zu ändern. Am Sabbat schalte ich den Anrufbeantworter an und komponiere nicht. Das hat mein persönliches Leben sehr viel besser gemacht."

Warnung vor unreflektiertem Fortschritt

In seinen zwei vieldiskutierten Streichquartetten verknüpft Reich Autobiographisches mit brisanten Themen wie dem Holocaust und den Anschlägen auf das World Trade Center, in dessen Schatten er lange gewohnt hat. Die Brücke bilden Sprachsamples: O-Töne, aus denen Steve Reich seine Melodien ableitet. Auf diese Weise hat er den Minimalismus zum Forum gesellschaftlicher Debatten gemacht - zum Beispiel über den technischen Fortschritt: "Ich habe mein ganzes Leben lang Technologie verwendet, aber sie ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn wir nicht aufpassen, kann sie uns vernichten", warnt Steve Reich. "Gott versprach, die Erde nie mehr durch Wasserfluten zu zerstören. Aber er hat nicht gesprochen von unserer Selbstzerstörung durch atomares Feuer."

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