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Geschichte - Tschaikowsky in New York Eröffnung der Carnegie Hall

Am 5. Mai des Jahres 1891 wurde in New York mit einer Konzertnacht die Carnegie-Hall eröffnet, benannt nach dem Multimillionär und Mäzen Andrew Carnegie, der den gigantischen Ziegelbau im Neo-Renaissance-Stil finanziert hatte. Und weil man sich einen Star für den Abend leisten wollte, einen exotischen noch dazu, lud man den Komponisten Peter Tschaikowsky ein, die New Yorker Philharmoniker zu dirigieren. Für den Reisemuffel, der am liebsten in seinem Landhaus Maidanowo lebte und dem die weite Welt ein Greuel war, bedeutete die Zusage eine menschliche, aber auch musikalische Herausforderung.

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Endlich an Bord. Endlich ein paar Tage Ruhe, nach dieser Ruckelzuckelreise von Petersburg bis Le Havre. Endlich das grobe Schnattern des Zuges gegen das sanfte Schnurren des Schiffsmotors eintauschen. Nun kann sich Peter Tschaikowsky von den inneren Kämpfen und Krämpfen entspannen, die er im Vorfeld der Amerikareise durchgestanden hat.

Finanzspritze aus Amerika

"Die Amerikaner werden mich auslachen, wenn sie erst einmal merken, dass ich kein typischer Slawe bin, kein Steppengestrüpp, sondern (...) eine Mimose", diese Angst sowie die obligatorische Angst vor Heimweh, das ihn auf jeder Reise heimsucht, quälen ihn, seit er die Einladung nach New York angenommen hat. "Aber ich brauche das Geld. Die dicken Einnahmen aus der Pique Dame habe ich für Sekt und Kaviar ausgegeben. Für schöne Abende mit meinem Liebling Bobyk und seinen Freunden", so rechtfertigt Tschaikowsky seinen Entschluss und damit hat er nicht übertrieben. Denn tatsächlich steht er kurz davor, Pelze und Uhren versetzen zu müssen, als er am 8. April an Bord des Dampfers "La Bretange" geht, denn das luxuriöse Leben, das er seinem Lieblingsneffen Bob finanziert, verschlingt hübsche Summen an Rubelchen. Da kann sein Konto eine üppige Finanzsspritze aus Amerika gut vertragen.

Reise in die weite Welt

Am ersten Tag auf der "Bretagne" bahnt sich wirklich so etwas wie Erholung an. Doch schon am Nächsten langweilt ihn der Blick auf das Meer und der Kopf schmerzt. Als schließlich über mehrere Tage ein Unwetter tobt, bibbert Tschaikowsky vor Angst, die er wiederum in Cognac ertränkt. Mit wackeligen Knien kommt er in New York an. Ein regelrechtes Begrüßungskomitee aus hochrangigen Persönlichkeiten, Journalisten und Fans empfängt den gebeutelten Russen, dem nun endlich einmal ein Lächeln über die Lippen kommt, denn so viele Bewunderer hat er wahrlich nicht erwartet.

Für Heimweh hat Peter Tschaikowsky in New York nicht viel Zeit, lediglich am späten Abend, wenn er dann endlich für sich allein in seinem luxuriösen Zimmer sein kann, weint er regelmäßig. Ansonsten vereinnahmt das Kulturleben den russischen Komponisten. New York saugt ihn förmlich auf, diesen stillen Mann, den alle wegen seiner weißen Haare für einen weisen Greis, nicht aber für einen 51-Jährigen halten: Er wird mit Ehrungen überschüttet und von einer Einladung zur nächsten gereicht. Brav wie ein Lämmlein lässt er alles über sich ergehen, dabei würde sich der berühmte Gast am liebsten nur den Proben für sein großes Konzert zur Eröffnung der Carnegie-Hall widmen, das er dirigieren wird.

Das amerikanische Orchester, für gewöhnlich geleitet von Walter Damrosch, behagt ihm sehr. Die Musiker reagieren bei den Proben auf jede noch so kleine Bewegung und setzen sogar Tschaikowskys Mimik um: Wie stolz sie seinen Festmarsch tönen lassen, wie feinsinnig sie die 3. Suite spielen. Ein Gefühl der Wärme und Zuneigung für diese fremden und doch so empfindsamen Musiker kommt in ihm auf. Er legt rasch eine Pause ein, sonst muss er vor lauter Rührung noch weinen.

Superstar Tschaikowsky

Peter Tschaikowsky | Bildquelle: picture alliance/akg-images Tschaikowsky ist furchtbar aufgeregt, das Eröffnungskonzert rückt immer näher und macht ihm Angst, wie ein sich anbahnender Wirbelsturm. Spaziergänge über den Broadway und durch den Central Park verschaffen ihm wenigstens etwas innere Ruhe. Dann ist er da, der große Konzertabend und wird ein riesiger Erfolg. Tschaikowsky fühlt sich tatsächlich ein klein wenig glücklich!

"Es lief so wunderbar. Ich frage mich, wieso ich derart nervös war. Selten zuvor habe ich mir vor einem Konzert so viele Sorgen gemacht, wie vor diesem. Eine Begeisterung war da, die ich selbst in Russland niemals hervorzurufen vermochte", schreibt Tschaikowsky an seinen Bruder. Aber nicht nur das Publikum jubelt ihm zu, auch die New Yorker Zeitungen sprechen  von einer Sensation. Tschaikowsky ist in Amerika nun endgültig so etwas wie ein Superstar. An seinen Neffen Bobyk schreibt er: "Ich bin hier zehnmal so berühmt wie in Europa. Als mir andere das sagten, glaubte ich, dass es nur ihre übertriebene Freundlichkeit war. Aber jetzt sehe ich, dass es wirklich so ist. Ist das nicht eigenartig?"

Ich bin hier zehnmal so berühmt wie in Europa.
Peter Tschaikowsky

Tschaikowsky ist sogar so berühmt, dass der Mäzen und Multimillionär Carnegie ihm zu Ehren ein Diner veranstaltet. Allerlei einfallsreiche Aufmerksamkeiten entzücken den Komponisten. Zum Beispiel Zuckertäfelchen auf der Eiscreme, auf denen Motive aus Werken Tschaikowskys eingraviert sind. Außerdem erhält jeder Gast als Geschenk eine Fotografie des Komponisten. Und, nicht zuletzt is Tschaikwosky beeindruckt von Carnegie selbst, mit dem er über russische Chormusik plaudert.

Nach diesem Erfolgserlebnis in New York dirigiert Tschaikowsky noch reichlich erfolgreich weitere Konzerte in Amerika. Doch trotz Ruhm, Lob, Dollar und Begeisterungsstürme geht der Russe erleichtert am 21. Mai 1891 an Bord des Dampfers "Bismarck", der ihn endlich wieder in Richtung Heimat bringt.

Sendung: "Piazza" am 5. Mai 2018 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK