Bad Brückenau, 28. November 2004: Es gibt mal wieder einen Eklat um Karlheinz Stockhausen. Aber nicht wegen seiner ungewohnten Tonsprache. Obwohl es an dem Tag auch eine Uraufführung gab – von Stockhausens "Fünf Sternzeichen für Orchester".
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Es sollte ein nettes Einführungsgespräch werden. Es wurde zum Duell zweier Alphatiere. Auf der einen Seite: Karlheinz Stockhausen, Altmeister der Avantgarde. Auf der anderen Seite: Gerhard R. Koch, Großkritiker der FAZ. Stockhausen hat fünf seiner "Tierkreis"-Melodien aus den 1970er Jahren für das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau neu arrangiert und soll mit Koch darüber plaudern. Aber als er auf die Bühne kommt, breitet sein Gegenüber erstmal sein Expertenwissen aus. Philosophiert weitschweifig über Früh- und Spätwerk. Über Privatleben und Kosmos. Über die Entstehungsgeschichte der "Tierkreis"-Melodien.
Ich möchte doch einiges richtigstellen, was Sie eben erzählt haben!
Fast die Hälfte der Zeit ist schon vergangen, als Koch zu seiner ersten Frage anhebt. Stockhausen revanchiert sich prompt: "Bevor ich Ihre letzte Frage beantworten kann, möchte ich doch einiges richtigstellen, was Sie eben erzählt haben!" Und nun erzählt Stockhausen selbst die ganze Geschichte nochmal von vorn: ebenso ausführlich, obwohl sie sich nur in Nuancen von Kochs Version unterscheidet. Schließlich gibt er – die vorgesehene Viertelstunde ist schon fast vorbei – das Mikrofon an den Kritiker zurück.
Koch hat aber eigentlich gar keine Frage mehr, sondern schildert lieber weitschweifig seine Probeneindrücke, sagt, "dass da eine Mischung aus Melodik und fast tänzerischem Impuls für mich herauszuhören war". "Würden Sie das auch so sehen?", fragt Koch den Komponisten. Der antwortet: "Ja, aber beschreiben Sie nicht so viel sich selbst, denn jeder soll sich ja eigentlich sein eigenes Urteil bilden, ob er innerlich tanzt oder etwas ganz Anderes erlebt. Die Musik ist so vieldeutig, wie sie ist." Spricht's, erhebt sich, und lässt den verdatterten Koch im Schlussapplaus zurück.
Immerhin: Auf die Dissonanzen im Gespräch folgt Harmonie in der Musik. Selten klang Stockhausens Musik so einschmeichelnd und sanft wie bei der Uraufführung der "Fünf Sternzeichen für Orchester". Langanhaltender Beifall. Und, so berichtet die Mainpost: "Beim Empfang nach dem Konzert plauderten Stockhausen und Koch wieder einträchtig."
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ALEXIS HAUSER conducts STOCKHAUSEN: Tierkreis & Fünf Sternzeichen
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Sendung: "Allegro" am 28. November 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK