Gütersloh, 1. Juli 1926. Hans Werner Henze wird geboren. Schon als Kind liebt er die Musik, spielt Klavier, komponiert. Schließlich darf er die Staatsmusikschule in Braunschweig besuchen, erhält ein Stipendium und widmet sich ganz der Musik. Beginnt so der Werdegang eines der bedeutendsten Komponisten der Nachkriegszeit?
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Die Antwort ist: Ja und nein. Denn Henze wächst auch mit Faschismus, Drill und Sprachlosigkeit auf. Da ist ein Vater, der seinen Sohn eigentlich auf eine Musikschule der Waffen-SS schicken will und erklärt, Homosexuelle gehörten ins KZ. Da ist die sogenannte entartete Musik, nach der Henze giert, die er aber nicht studieren darf, die Einberufung zum Militärdienst, die Kriegsgefangenschaft. Aber Henze kämpft, liest verbotene Bücher, schreibt Sonaten im Stil Paul Hindemiths und beginnt sich nach dem Krieg neue Freiräume zu schaffen: Studien bei Wolfgang Fortner und René Leibowitz, der erste Freund, die ersten Darmstädter Ferienkurse für neue Musik, die ersten zwölftönigen und polytonalen Kompositionen.
Die Moderne interessiert ihn, und doch will er nicht zur Darmstädter Nachkriegsavantgarde gehören, die das serielle Komponieren zum Dogma macht. Vielfalt, Toleranz, Individualismus prägen sein politisches Denken genauso wie seine musikalischen Überzeugungen: "Meine Musik versteht sich konzeptionell nicht mit den und auf die Usancen der modernen Kompositionstechnik", erklärt sich Henze. "Denn bei mir gibt es, wie in der traditionellen Musik, die horizontale Gangart, auf die sich die vertikale dramaturgisch-harmonisch bezieht."
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1953 kehrt Henze Darmstadt und dem politisch restaurativen Klima der Adenauer-Ära den Rücken und beginnt als überzeugter Kommunist und undogmatischer Avantgardist ein neues Leben in Italien. Seine Werke werden Musikgeschichte schreiben, seine Tätigkeit als Dirigent, Pädagoge und Begründer von Festivals wie der Münchner Biennale unvergessen bleiben. Henze erreicht das Publikum – und will es auch, will sinnlich, theatralisch, emotional, zugänglich bleiben. Bis heute füllen seine Kompositionen Theater und Konzertsäle und tragen dazu bei, was Henze sich 1986 einst wünschte: Musik müsse sich so im kulturellen Bewusstsein verankern, dass sie zu einer ganz neuen Lebensqualität werde. "Als eine Möglichkeit, das Individuum zu bewaffnen, damit es sich selber davor zu bewahren lernt, kaputtgemacht, nivelliert zu werden von der faschistischen Walze, die da über uns hinwegzugehen droht."
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Sendung: "Allegro" am 1. Juli 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK