Gustav Mahler bezieht sein neues Sommerdomizil. Er ist froh, den Urlaub im Pustertal verbringen zu können: "auf neuem Terrain", wie er sagt – weit weg von seiner Ferienvilla in Maiernigg. Dort hätte ihn nur alles an den qualvollen Scharlach-Tod seiner Tochter Maria vor einem Jahr erinnert.
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Das Toblacher Bauernhaus mit seinen elf Zimmern ist riesig. Aber wie jeden Sommer werden ja auch wieder zahlreiche Gäste aus der Künstlerszene erwartet: der Pianist und Komponist Ossip Gabrilowitsch hat sich angekündigt, der Dirigent Oskar Fried, der Bühnenbildner Alfred Roller und die Korngolds wollen kommen. Und dann sind natürlich Mahlers Frau Alma und Töchterchen Anna mit von der Partie – nebst Gouvernante, Köchin und Putzhilfe. Wie gut, dass Mahler sich jederzeit in sein Komponierhäuschen im stillen Fichtenwäldchen zurückziehen kann.
Es ist wundervoll, und die Abgeschlossenheit und Ruhe dieses Plätzchens erlaubt mir, mich wieder in gewohnter Weise einzuspinnen.
Mahler braucht die Einsamkeit. Schließlich will er drei Monate lang ungestört komponieren. Wenngleich er in diesem Jahr auf die liebgewonnenen Unternehmungen verzichten muss, die bisher seine Produktivität so förderten: die langen exzessiven Wanderungen in der Natur, das Bergsteigen, das Schwimmen im kalten Wasser. All das darf er nur noch eingeschränkt genießen, seit die Ärzte einen Herzklappenfehler diagnostiziert haben. Aber er "akklimatisiert" sich, schafft es, "wieder zu seinem Selbst den Weg zu finden", wie er es nennt. Und er komponiert das seiner Meinung nach "Persönlichste", was er je geschrieben hat: "Das Lied von der Erde".
Ich brauche für meine innere Bewegung die äußere.
Als er im September die Zelte abbaut, ist er sicher: Er will auch die nächsten Sommer in Toblach verbringen. Noch ahnt er nicht, dass ihm nur noch drei Jahre Lebenszeit bleiben, zwei Sommer, in denen die Neunte und die unvollendete Zehnte Sinfonie entstehen werden.
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