Anna Lucia Richter singt Liederabende und Opernrollen - und sie liebt die Improvisation. Bereits mit fünf Jahren erhielt sie ihre erste Gage, die allerdings in ihrem Elternhaus fatale Folgen hatte.
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Die kleine Anna Lucia schlendert neben ihrer Mutter her. Die beiden sind auf dem Weg zum Einkaufen. Anna Lucia singt ein Liedchen, eigentlich singt sie immer ein Liedchen, heute ein besonders schönes. Plötzlich tippt sie eine alte Dame von der Seite an, sie hält ein kleines Parfum-Fläschchen in der Hand und schenkt es Anna Lucia: 4711 - Echt Kölnisch Wasser. Das sollte Anna Lucias allererste Gage sein. Damals war sie fünf Jahre alt. Noch Wochen später riecht man ihren Triumph im ganzen Haus - vor lauter Freude hat sie sich die ganze Flasche über den Kopf gekippt.
Es ist nicht ihre letzte Gage, aber bestimmt die Originellste. Mit vier Jahren weiß sie bereits, dass sie Sängerin werden will. Und sie tut etwas dafür. Mit neun will sie in den Mädchenchor des Kölner Doms. Der hat aber schon ein Jahr Probenvorsprung - da muss Mama helfen. Die ist Sängerin am Kölner Dom und gibt Stimmbildungs-Unterricht - jetzt auch ihrer Tochter. Auch als Anna Lucia bereits im Chor singt, setzen die beiden diese gemeinsamen Gesangsunterrichtstunden fort. Das funktioniert, ohne Streit? Ja, sagt Anna Lucia, bis zur Pubertät - und lacht vielsagend. Danach beginnt für sie ein neuer Abschnitt: Sie wird Jungstudentin in Basel. Später schließt sie ihr Studium in Köln mit Bestnote ab; im selben Jahr wird sie 23 Jahre alt.
Für ihre Lied-Recitals wird sie hochgelobt. Sie debütiert an verschiedenen Opernhäusern, erweitert ihren Tour-Radius nach Asien und in die USA. Fest an ihrer Seite: Michael Gees am Klavier. Die beiden haben ein freundschaftliches und offenes Verhältnis. "Zum Glück", so Anna Lucia, sie lerne viel von ihm und trotzdem sei er keine reine Mentor-Figur, "bei der man alles annehmen muss und danke sagt."
Michael Gees ist sehr offen für Neues, zusammen probieren die beiden Musiker viel aus. "Kopieren und imitieren interessiert uns überhaupt nicht", sagt Anna Lucia. Zusammen improvisieren sie auch gerne, zum Beispiel über Texte von Eichendorff. Anna Lucia Richter liebt Literatur. Vor allem die schöne Sprache berührt sie. Wenn sie Texte einstudiere, die sie singe, hätten die Texte meistens eine eigene Sprachmelodie, daran könne sie sich orientieren.
Anna Lucia Richter improvisiert auch im Alltag, und der ist oft gleichbedeutend mit "Leben im Hotelzimmer". Kein Eierbecher für das Frühstücksei? Ein Schnapsglas tut es auch. Schon als Kind bastelt sie sich aus Stöckchen und Steinen ein "Mensch ärgere dich nicht"-Spiel. "Meine Freunde nennen mich auch 'MacGyver', wie die Serienfigur aus den Achtzigern", sagt sie und lacht. "Der konnte aus einem Besen und einem Nagel immer ein Rettungsboot bauen."
Ihr Traum? Ein ganz menschlicher: Die Balance zwischen Beruf und Privatleben. "Das wünscht sich doch jeder irgendwie", sagt sie. Kölnisch Wasser steht bei ihr übrigens nicht mehr im Regal. Zur Zeit schwört sie auf Ralph Laurens "Romance".