Barrie Kosky ist Chefregisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin. Nun wurde er mit dem Operetten-Preis "Frosch des Jahres" ausgezeichnet - für seine Inszenierung von "Die Perlen der Cleopatra". Im Interview mit BR-KLASSIK verrät er, was ihn an der Operette reizt und warum er vor der deutschen Kanzlerin den Hut zieht.
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BR-KLASSIK: Ich möchte heute gerne über Ihre Operettenkunst sprechen. Regisseure sagen mir in Interviews immer wieder, dass sie anders inszeniert hätten, wenn sie früher Ihre Inszenierungen gekannt hätten. Sie geben einen Maßstab vor. Wissen Sie das?
Barrie Kosky: Nein. Aber es ist sehr nett, dass Sie das sagen. Ich versuche nur, einen persönlichen, subjektiven Weg durch jedes Stück zu finden. Insbesondere, was Operetten betrifft, bin ich wohl nur der richtige Mann in dem richtigen Haus zur richtigen Zeit in der richtigen Stadt. Man darf nicht vergessen, das Haus hat zwei Traditionen: die Felsenstein-Tradition und die Metropoltheater-Tradition. Man darf nicht vergessen, dass für Felsenstein - obwohl er Janáček, Mozart und andere Komponisten gemacht hat - auch Musical und Operette sehr wichtig waren, als Teil seiner Musiktheater-Philosophie. Er hat damals gesagt: Operette ist Chefsache! Wir sind die Komische Oper, wir machen eine große Bandbreite von Barock bis Broadway. Und für mich ist es sehr wichtig, dass ein Teil meiner künstlerischen Arbeit zu diesem Genre gehört. Es ist ein Genre, an dem ich ein persönliches und künstlerisches Interesse habe.
BR-KLASSIK: Sie sagten, Sie sind am richtigen Ort. Wie wär´s denn dagegen in München zum Beispiel?
Die Komische Oper in Berlin Mitte | Bildquelle: wikicommons Barrie Kosky: München hat eine andere Operettentradition. München ist eine Stadt voll von Traditionen, aber hier in Berlin gibt es zwei Traditionen, denen ich mich verpflichtet fühle. Nämlich der Berlin-Tradition und der des Metropol-Theaters, aber nicht der vom Ende des 19. Jahrhunderts, sondern der der Zeit von Ende des Ersten Weltkriegs bis etwa 1933. Das war eine Zeit, in der man ein neues Kapitel der Operettengeschichte begann. Berlin war plötzlich das Zentrum der Operettenwelt. Man sollte auch nicht vergessen, dass in dieser Zeit der 20er- und 30er-Jahre in Berlin viele alte Operetten neu gemacht wurden - Jazz-Mariza, Jazz-Lustige Witwe. Diese Stücke wurden adaptiert.
Die Berliner Operettentradition ist eine Kombination von so vielen unterschiedlichen Elementen! Es ist ein interessantes Genre. Und ich glaube, unser Erfolg kommt daher, dass wir diese Stücke sehr ernst nehmen und ihnen dienen. Es sind immer 100 Leute auf der Bühne, es gibt volles Orchester, Chor, Tanz, Darsteller. Es ist kein Sommerprojekt, oder "ah, wir müssen mal wieder eine Operette machen". Es ist eines der zentralen Säulen für mein Konzept hier in der Komischen Oper.
BR-KLASSIK: Wo nehmen Sie ihre schier endlose Fantasie her - gehen Sie an Operette anders heran als an Oper?
Barrie Kosky: Ich mache es immer wie bei der großen Oper - ich gehe mit der Musik. Was sagt sie? Was steht in ihr? Was kann man rausholen? Es gibt verrückte, wunderbare Operetten mit tollen Geschichten - aber wenn die Musik mittelmäßig ist oder nicht genug, dann nehmen wir sie nicht. Das Zweite ist, es muss ein interessantes Sujet sein. Ich möchte immer neue Sachen. In der deutschen Operntradition findet manchmal ein Regisseur einen Stil und arbeitet damit 30 Jahre. Dann sagen alle: Das sehen wir!
Ich arbeite nicht so. Jedes Stück muss eine Herausforderung sein. Auch jetzt mit "Cleopatra" ("Die Perlen der Cleopatra" von Oscar Straus hatte am 3. Dezember 2016 an der Komischen Oper Premiere, Anm. der Red.) wollte ich in eine andere Richtung. Operette ist so ein weites Feld - deshalb kann man in viele Richtungen gehen. Wenn ich von Tradition rede: Natürlich sind meine Inszenierungen heute ganz anders als die vergangener Zeiten. Aber ich versuche, den Geist und die Seele des Stücks zu finden. Und auch wenn es anders ausschaut als in den 20er- oder 30er-Jahren, so ist doch die Seele von damals darin enthalten. Der Zuschauer riecht regelrecht die Authentizität.
BR-KLASSIK: Dabei wäre es sehr interessant, wenn Sie mal eine "Lustige Witwe" machen würden. So wie üblich, kann man sie ja fast nicht mehr sehen und hören.
Barrie Kosky: Ja, vielleicht tue ich das mal. Aber für mich ist es viel interessanter, neue Stücke zu entdecken. Wie "Cleopatra", die man seit 1924 nicht mehr gesehen hat. Oder "Ball im Savoy" - das war nicht mehr hier seit 1933. "Eine Frau, die weiß, was sie will", wurde hier uraufgeführt und war dann nie mehr zu sehen. Deshalb möchte ich nicht nochmal eine "Lustige Witwe" machen. Mich interessiert das künstlerisch nicht: noch eine Fledermaus oder noch eine Lustige Witwe. Wir hatten etwas Angst am Anfang: die unbekannten Titel - wird das Publikum kommen? Und jetzt nach fünf Spielzeiten sagen wir: Das Publikum hat mehr Lust, etwas zu entdecken, als etwas noch einmal zu sehen!
BR-KLASSIK: Sie sagten mir vorhin, Sie sind am richtigen Ort zu richtigen Zeit. Wie empfinden Sie die Zeit jetzt gerade - den rechtskonservativen Ruck? Wie sehen Sie das als Künstler und auch persönlich mit Ihren jüdischen Wurzeln - fühlen Sie sich wohl hier?
Barrie Kosky: Ich fühle mich sehr wohl. Ich lobe Deutschland: Wie es das gemacht hat, mit Bildung und Selbstanalyse seine Vergangenheit der 30er- und 40er-Jahre aufzuarbeiten. Es gibt kein anderes Land in der Welt, das diesen Prozess durchgemacht hat. Und man muss sehen - egal, was man über Angela Merkel und die CDU denkt - dass Deutschland eine Kanzlerin hat, die gesagt hat, was sie gesagt hat über die Flüchtlinge. Egal was kommt, sie hat es gesagt, als eine der Einzigen. Ich sage: Chapeau.
"Ich fühle mich sehr wohl in Deutschland" - Intendant und Regisseur Barrie Kosky | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ich bin ein jüdischer Künstler, der keinen Druck fühlt, in Deutschland zu wohnen. Aber ich bin privilegiert. Wenn man Muslim ist oder einen anderen kulturellen Hintergrund hat, wird es problematisch. Was man jetzt so in den Medien oder auch von politisch rechten Gruppen hört, das ist die gleiche Sprache wie damals in den 30er-Jahren. Und da muss man richtig aufpassen.
Was die Komische Oper in dieser Zeit machen kann, ist, aktuelle Strömungen mit ihrer Kunst zu kommentieren. Aber es ist auch gefährlich zu sagen: Die Welt ist schrecklich, deshalb muss die Kunst furchtbar sein. Wie sind ja nicht in einer Zeit wie in den 30ern. Man muss große Sorge haben, aber wir leben nicht so wie damals. Jetzt jedenfalls. Aber man muss vorsichtig sein.
BR-KLASSIK: "Die Perlen der Cleopatra" - diese Operette zeigt Menschentypen, und über die lachen wir. Dabei lachen wir auch über unsere eigenen Unfähigkeit und über das, was wir kennen. Das hat die Operette immer. Sie zeigt, wie Menschen funktionieren - oder auch: wie nicht.
Barrie Kosky: Ja. Die Operette war immer ein Transporteur für unglaublich radikale neue Ideen. Offenbach etwa, der eine Frauenrolle gezeigt hat wie "Die Großherzogin von Gerolstein" oder "Die schöne Helena". In der Operette gab es immer Geschlechterpolitik, Sexualität, satirische Elemente. Das gab es so in den Opernhäusern nicht, das gab es nur in den Operettenhäusern.
Bildquelle: Komische Oper Berlin Humor ist wichtig. Schon das alte griechische Theater hat das gewusst. Nach stundenlangen epischen Tragödien kommt das Satyrspiel, kommt das Lustige, Dionysische, Verrückte. Alles ist erlaubt. Wir dürfen nicht vergessen: Das Leben und das Theater funktionieren auf unterschiedlichen Ebenen, aber gleichzeitig. Es heißt nicht: A oder B. Das wäre zu einfach. Wir sind hier, damit die Menschen denken, fühlen, spüren und entertained sind. Nicht an jedem Abend, aber immer wieder.
BR-KLASSIK: Sie kommen aus einem anderen Land - und ich wundre mich, wenn ich mit dem Publikum zusammen vor Lachen unter dem Stuhl liege. Denn der englische - und sicher auch der australische - Humor ist doch bestimmt ein anderer. Aber hier funktioniert er. Wieso?
Barrie Kosky: Weil ich keinen englischen Humor habe. Der englische Humor ist Monty Python - den ich liebe - das ist genial englisch. Aber das ist nicht mein Humor. Meiner ist ein jüdischer, so wie Marx Brother oder Mel Brooks, diese Qualität. Das zieht sich wie ein roter Faden durch diese Stücke. Denn viele Darsteller und auch Librettisten waren Juden.
Der jüdische Humor ist tief verbunden mit dem österreichischen und deutschen Humor. Auch wenn es in Deutschland 1933 hieß: kill the clowns. Ich glaube, der Grund dafür, dass die Menschen in diesen Stücken lachen, ist, dass es eine Spur von diesem Humor in ihrer Kultur gibt. Es ist meines Erachtens ein zentraleuropäischer Humor, der sich auf dem Broadway und in Hollywood verwandelte zu einer jüdisch-amerikanischen Tradition. Aber eigentlich war es eine zentral europäische-jüdische Tradition. Und das ist eigentlich der Faden, nicht der englische Humor.
Und australischer Humor? Ich glaube, mein Humor ist eigentlich, wer ich bin. Ich bin ein jüdisch-australischer Künstler, und ich glaube, der Humor ist sehr australisch und sehr jüdisch. Was das bedeutet, können andere Leute analysieren. Aber ich glaube, das ist es, was es ist.
Das Gespräch führte Susanne Prinz für BR-KLASSIK.