Der walisische Bariton Bryn Terfel singt seit über 15 Jahren die Rolle des "Falstaff". Trotzdem wirft er bei der Vorbereitung jedes Mal wieder einen Blick in Verdis handschriftliche Partitur. Im Interview verrät er, warum und wie sehr ihm die Rolle ans Herz gewachsen ist.
BR-KLASSIK: Sie singen die Partie des Falstaff jetzt seit über 15 Jahren auf den großen Bühnen der Welt: Haben Sie das Gefühl, dass Sie die Rolle mittlerweile im Schlaf beherrschen oder gibt es immer noch Neues zu entdecken?
Bryn Terfel: Da muss ich erst einmal erklären, was es für einen jungen Bassbariton aus Wales bedeutet, Sir John Falstaff zu singen: Ich musste in riesige Fußstapfen treten, denn mein Landsmann Sir Geraint Evans war ein weltberühmter Falstaff-Interpret und ebnete uns jungen europäischen Sängern den Weg ins Ausland. Diese Generation - Sir Geraint Evans, Stuart Burrows, Gwyneth Jones, Margaret Price - das waren unsere Ikonen damals, unter ihren Fittichen konnte unsere Generation eine internationale Karriere starten. Ich nahm mir sehr jung den Falstaff vor, ich sang den "Ehrenmonolog" sogar bei Sir Geraints Gedächtnisfeier in der Westminster Abbey, das war der erste Tag, an dem auf der Kathedrale die walisische Flagge wehte! Zum ersten Mal sang ich die Partie dann in Sydney mit einer wunderbaren Besetzung und Simone Young als großartiger Dirigentin. Natürlich wünscht sich ein Sänger mit jedem Atemzug, eine solche Traumpartie zu übernehmen und auch immer wieder zu ihr zurückzukehren, weil man stets das Gefühl hat, ihr noch nicht wirklich gerecht geworden zu sein; sie hält einen immer in Bewegung. Man muss sich schon sehr genau überlegen, wie man die Rolle formt, wie man Sir John Falstaff charakterisiert und vor allem wie man auf die anderen Figuren um sich herum reagiert, denn das ist der Grundgedanke hinter dieser großen Shakespeare-Gestalt.
Ich weiß, dass ich etwas zurückgeben muss
BR-KLASSIK: Sie haben Sir Geraint Evans erwähnt, den großen Falstaff der 60er Jahre, der auch ein Landsmann von Ihnen war. Wann haben Sie ihn kennengelernt, hat er Ihnen speziell für Falstaff geholfen und spielte er eine wichtige Rolle in Ihrer Karriere?
Bryn Terfel: Ja, ich begegnete Sir Geraint Evans gegen Ende seines Lebens und traurigerweise konnten wir nicht mehr konkret an Rollen arbeiten, aber er nutzte seine Kontakte für mich. Zum Beispiel rief er Sir Georg Solti an und organisierte mein erstes Vorsingen bei ihm, er war sehr hilfsbereit. Komischerweise bin ich selbst vor einigen Wochen in den Ritterstand erhoben worden und bin nun auch ein Sir Bryn Terfel. Sir Geraint Evans habe ich immer bewundert, denn wenn er einen Raum betrat, zog er alle Blicke auf sich. Er wurde in den 60ern geadelt, trug seinen Titel also fast 24 Jahre lang. Ich bin ein bisschen später dran, aber ich weiß, was es bedeutet: Ich bin bereits mit dem Commander of the British Empire ausgezeichnet worden und mit der Queen’s Medal for Music und ich weiß, dass ich etwas zurückgeben muss. Dieser neue Titel ist wieder ein Anstoß, anderen zu helfen, wie Sir Geraint es getan hat, etwa mit jungen Sängern zu arbeiten und etwas Neues zu entwickeln.
BR-KLASSIK: Mittlerweile stehen Sie doch auf sehr vertrautem Fuß mit Sir John Falstaff - erzählen Sie uns ein bisschen über ihn: Ist er einfach dick, alt, lächerlich wie in Shakespeares Lustigen Weibern von Windsor, oder haben Verdi und Boito da doch einen tieferen, vielleicht sogar philosophischen Charakter geformt? Wie viel Farce und wie viel Welttheater sind in diesem Charakter?
Bryn Terfel: Ich besitze ein Faksimile von Verdis Manuskript, Ricordi hat damals fast 600 Kopien herausgebracht und wann immer ich mir diese Rolle wieder vornehme, werfe ich einen Blick in diese handgeschriebene Partitur, denn sie offenbart so viele interessante Details innerhalb der Szenen und man sieht Verdis akribische Schreibweise. Wenn ich an die Personen der Oper denke, dann ist es wie mit einem jener großen flämischen Gemälde mit einer ländlichen Szene: ausnahmslos jeder hat eine ganz bestimmte Rolle zu spielen. Ich als Ritter zum Beispiel werde hauptsächlich durch die Ladys aus Shakespeares Komödie gelenkt, zum Beispiel durch Quickly mit ihrem Humor und ihrem scharfen Esprit. Oder Meg, die vielleicht schlaueste Frau von Windsor.
Bildquelle: © Benjamin Ealovega/DG Was Arrigo Boito dem Falstaff schenkte, war eine wunderbare Entwicklung seines Charakters: Klar, er feiert das Leben mit Wein, Frauen und gutem Essen, mit schelmischen Spießgesellen und immer einem Augenzwinkern. In tiefster Verzweiflung und Melancholie genügt ihm ein Glas Wein und die Welt sieht gleich wieder anders aus. Seine Regenerationsfähigkeit ist wirklich verblüffend. Es beginnt mit den lärmenden Einleitungstakten der Oper - da hat man, nebenbei bemerkt, gerade eine Stunde in der Maske verbracht und sich über die Veränderung seiner Person durch Schnurrbärte, Perücken und Kostüme schief gelacht. Also kann man die Oper eigentlich nur in lustiger Laune beginnen, was sich sofort auf das Publikum überträgt. Dann kommt man zum dritten Akt, nachdem man in die Themse geworfen wurde und hat diesen großartigen, melancholischen Monolog, einen der besten Auftritte für einen Opernsänger überhaupt! Es ist Verdis große Kunst, wie sich die Charaktere auf der Bühne aus sich selbst heraus entwickeln - ohne große Chortableaus, ohne applausträchtige Arien. Falstaff läuft durch in einem durchgehenden Strom der Heiterkeit und mit all den Kollegen zusammenzuspielen ist ein Riesenspaß.
Diese Oper geht so schnell vorbei und bereitet so viel Vergnügen
BR-KLASSIK: Verdi hat ja auf seine alten Tage die traditionelle italienische Oper geradezu revolutioniert, es gibt keine großen Arien, es gibt kein Rezitativ, es gibt keine großen Liebesduette, keine geschlossenen Formen, kein breites Melos, sondern es ist alles Handlung, Aktion, Wort. Alles geht unglaublich schnell und ich frage mich: Was bedeutet dieser Stil für die Sänger?
Bryn Terfel: Auf den Punkt gebracht, bedeutet es einen ziemlich kurzen Theaterabend. Diese Oper geht so schnell vorbei und bereitet so viel Vergnügen - wenn alles passt natürlich: Man muss stimmlich in Topform sein, man muss bereit sein, musikalisch alles zu geben. Man muss sich auf Verdis feingezeichnetes Rollenporträt einlassen und natürlich muss man der Feininterpretation des Dirigenten und den Gesten des Orchesters folgen. Falstaff ist sicher eine Oper, die jeder Dirigent aufführen will, mit der bestmöglichen Besetzung und momentan gibt es "Falstaffe" wie Sand am Meer. Wir sind nicht die ersten und wir werden bestimmt nicht die letzten Interpreten sein.
Mit der Schlussfuge mündet die Vorstellung in eine unglaublich anspruchsvolle, kluge, vielschichtige Komposition. Das ist der perfekte Schluss für dieses Stück, denn auch wenn alle Provinzler sich über ihn lustig gemacht haben, ist es am Ende doch Falstaff, der zuletzt lacht. Nicht zu vergessen das Liebespaar, denn Nannetta und Fenton sind meiner Ansicht nach der Herzschlag des Stückes: dass wir sie immer zusammen lachen und meistens auch schmusen sehen, macht das Stück so liebenswert.
Die Fragen stellte Alexandra Maria Dielitz für BR-KLASSIK.
München, Philharmonie im Gasteig
Freitag, 20. Januar, 19.00 Uhr
Sonntag, 22. Januar, 18.00 Uhr
Bryn Terfel - Bassbariton (Falstaff)
Barbara Frittoli - Sopran (Alice Ford)
Laura Giordano - Sopran (Nannetta)
Laura Polverelli - Mezzosopran (Meg Page)
Martin Mitterrutzner - Tenor (Fenton)
Christopher Maltman - Bariton (Ford)
Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Daniel Harding - Leitung
Die Aufführung am 22. Januar präsentieren wir im Video-Livestream.