Die Handlung der Strauss-Oper "Die Frau ohne Schatten" ist irrwitzig, überehrgeizig und zugleich märchenhaft. Den roten Faden hat Regisseur Claus Guth trotzdem gefunden - aber: er ist nur ausgeliehen. Und zwar bei den Urvätern der Psychoanalyse.
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Welch ein Wuchtstück. Symbolisch und geheimnisvoll, sehr lang und sehr verschlüsselt, musikalisch grenzüberschreitend und für sämtliche Sänger eine viereinhalbstündige Dauerherausforderung der Sonderklasse. Die Frau ohne Schatten, die Kaiserin aus der Fabelwelt, die keine Kinder bekommt und die deshalb ein Menschenpaar aufsucht, um der Färbersfrau den Schatten abzuschwatzen. Eine Handlung mit zu vielen Nebensträngen und Figuren.
Sarah Grether (Weiße Gazelle) und Camilla Nylund (Die Kaiserin) | Bildquelle: © Hans Jörg Michel Und dies ist Überraschung Nummer eins in dieser Inszenierung: Claus Guth gelingt es in seiner sechsten Straussregie, der irrwitzigen und überehrgeizigen Märchenhandlung, mit der Strauss und Hofmannsthal Mozarts Zauberflöte übertrumpfen wollten, einen roten Faden zu verpassen. Den hat er bei Sigmund Freud und Carl Gustav Jung ausgeliehen. Das Vorspiel beginnt stumm. Ein Arzt betrachtet die schlafende Kaiserin, bei der er Unfruchtbarkeit diagnostiziert hat. Und als die Kaiserin zu träumen beginnt, setzt die Musik ein. Die Oper als Traumdeutung. Damit hat Guth sich auf die Essenz besonnen, alle krudekreativen Phantasien sortiert und das Verworrene geklärt.
Strauss' 1919 uraufgeführte Oper liegt quasi auf der Couch, die Frau als Objekt des starken Vaters und des dominanten Ehemannes hat keine Chance, die Seele zu entfalten. Und ohne Seelenglück kein Kinderglück. Die Kaiserin verarbeitet ihre Vergangenheit im Schlaf mit ihrem Besuch beim unglücklichen Färberpaar, mit den Stimmen ungeborener Kinder oder mit der Kahnfahrt hinab ins Vaterreich.
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Claus Guth schreckt vor psychedelischen Sequenzen nicht zurück. Videoanimationen zeigen Spermien und die stummen Schreie der Föten im Mutterleib oder dunkle Wassermassen, die das Szenario zu verschlingen drohen. Der LSD-Rausch passt zur Musik und damit sind wir bei Überraschung Nummer zwei, den Sängern. Ein tragischer Moment schwebt über der Berliner Inszenierung. In Mailand und London sang der auch für Berlin geplante südafrikanische Heldentenor Johan Botha, der mit 51 Jahren überraschend gestorben ist.
Iréne Theorin als "Baraks Frau", die Färberin | Bildquelle: © Hans Jörg Michel Burkhard Fritz übernimmt nun die Rolle des Kaisers, eine Partie, die kaum eine Handvoll Sänger stemmen kann. Er tut dies mit fast unangestrengter Leichtigkeit. Übertroffen allerdings von zwei Debütantinnen. Camilla Nylund als Kaiserin und Iréne Theorin als Färberin singen ihre Rollen hier erstmals, spiegelbildlich gekleidet und frisiert, stimmlich fulminant beide, kraftvoll, hin und wieder etwas laut, aber eindringlich und atemberaubend. Wolfgang Koch als Färber betont wie schon als Sachs in den Meistersingern das handwerklich Bodenständige und setzt mit seinem traumschönen Bass hinreißende Kontrapunkte zu den Sopranen.
Womit wir bei Überraschung Nummer drei wären, dem Orchester. Die Staatskapelle ist wagner- und brucknergestählt und entfaltet hier in allen Facetten einen herrlichen Strausszauber unter der Leitung von Zubin Mehta. Die Frau ohne Schatten zu dirigieren ist mit vollbesetztem Graben und mehreren Chören ein Mammutprojekt, bei den Einsätzen der Sänger ist hin und wieder sogar Hilfe aus dem Souffleurkasten nötig. Der 81-jährige Mehta behält souverän den Überblick. Kleines Manko: Strauss hat in einer Lautstärke instrumentiert, die für Sänger grenzwertig ist. Sie verfallen deshalb ab und an in einen Kreischmodus, der fast schmerzhaft klingt. Insgesamt aber ein umjubelter Abend mit ein paar Buhrufen für die Regie. Ohne die geht es nicht beim Berliner Premierenpublikum, aber sie gehen im enthusiastischen Beifall fast unter.
Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten
Oper in drei Akten von Richard Strauss - Text von Hugo von Hofmannsthal
Staatsoper Berlin
Donnerstag, 13. April 2017, 18.00 Uhr
Sonntag, 16. April 2017, 18.00 Uhr
Sendungsthema aus "Leporello" am 10. April 2017, ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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