Für einen Star einzuspringen, das ist für Nachwuchstalente oft die große Chance. Auch Selene Zanetti kommt nun so zu ihrer ersten große Opernpartie in München: Anstelle von Christiane Karg singt sie die Marie in Smetanas "Verkaufter Braut" an der Bayerischen Staatsoper. Ein Interview über Panik, Temperament und ein Schwein.
Bildquelle: © Alescha Birkenholz
BR-KLASSIK: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Intendant Nikolaus Bachler Ihnen die Rolle der "Marie" in Smetanas "Verkaufter Braut" angeboten hat?
Selene Zanetti: Zu Beginn der Saison kam Nikolaus Bachler zu mir und fragte mich: "Wie ist eigentlich dein Deutsch? Ich denke nämlich darüber nach, dir eine größere Rolle in einer deutschsprachigen Oper zu geben. Musikalisch ist sie ideal für dich, aber ich müsste noch wissen, wie gut du auf Deutsch singen kannst?" Ich sagte darauf nur: "Okay!"
Ich weiß gar nicht mehr, ob er mir da schon erzählt hat, dass es sich um die "Verkaufte Braut" handelte. Ich glaube schon. Jedenfalls war für mich klar, dass es dabei nur um die nächste Saison gehen konnte, denn sie würden mir ja wohl kaum eine solch große Rolle schon in zwei Monaten anbieten. Ich war also ganz relaxed. Am nächsten Tag wollte ich es genau wissen und bin deshalb in die Intendanten-Etage gegangen um nachzufragen. Dort haben sie mir dann gesagt, dass es tatsächlich um die Neuproduktion in zwei Monaten geht. Daraufhin wurde ich leicht panisch. Wie sollte ich das schaffen? Aber wenn man etwas unbedingt will und wenn viele Leute einen unterstützen, dann gibt einem das viel Energie und Selbstvertrauen. Jetzt arbeiten wir alle sehr intensiv. Wir werden sehen.
BR-KLASSIK: Wann sind Sie denn mit Smetanas "Verkaufter Braut" erstmals in Berührung gekommen?
Selene Zanetti: Ich habe die Oper vorher nicht gekannt. Das ist eigentlich schade. Denn es ist eine wunderschöne Oper – auf Deutsch oder Tschechisch. Es gibt sehr viele berührende Momente. Wenn man die Oper auf Deutsch spielt, spürt man den Geist der tschechischen Volksmusik durch. Das Stück unterscheidet sich schon sehr von der emotionalen Musik eines Puccini oder Verdi. Zusammen mit dem Dirigenten Tomàš Hanus versuchen wir, den authentischen Klang und die Musikalität herauszuarbeiten.
BR-KLASSIK: Was ist denn für Sie in der "Verkauften Braut" stimmlich die größte Herausforderung?
Selene Zanetti: Herauszufinden, wie ich auf Deutsch singen muss. Es ist ganz schön schwer, in einer anderen Sprache als der eigenen zu singen. Als Italienerin bin ich gewohnt, das Legato über die Vokale zu singen. In dieser Oper musste ich lernen, das Legato über die Konsonanten zu singen. Ich musste mir angewöhnen, andere Muskeln einzusetzen. Das war sicher die größte Herausforderung. Und so zu singen, dass die 2000 Leute im Publikum jeden einzelnen Konsonanten auch verstehen können.
Ich wäre sehr gern Chirurgin geworden.
BR-KLASSIK: Sie haben mit vier angefangen Klavier zu spielen, später aber damit aufgehört. Wieso haben Sie zum Gesang gewechselt?
Selene Zanetti: Ich liebte die Musik und auch das Klavierspielen. Aber ich hatte nicht so viel Durchhaltevermögen, um zehn Stunden am Tag zu üben. Trotzdem habe ich weitergemacht. Mit 17 habe ich mir dann bei einer dummen akrobatischen Übung in der Küche meinen Arm gebrochen – und zwar ziemlich schwer. Man hat sogar befürchtet, dass ich ihn womöglich nicht mehr würde bewegen können. Jedenfalls konnte ich ein Jahr lang nicht mehr Klavierspielen. Stattdessen habe ich die Übungen gesungen. So habe ich angefangen zu singen.
Bildquelle: Alescha Birkenholz
Joshua Owen Mills (Tenor) und Selene Zanetti (Sopran)
"C'est le ciel qui m'envoie" aus "La belle Hélène" von Jacques Offenbach (Lounge am Lenbachplatz 2017)
BR-KLASSIK: Gab es für Sie noch eine andere Option, als Sängerin zu werden?
Selene Zanetti: Ja, ich habe auch Medizin studiert. Ich habe das Studium nicht abgeschlossen, weil ich ja hierher gekommen bin. Ich habe vormittags die Kurse in Medizin besucht und bin nachmittags ins Konservatorium gegangen. Ich wäre sehr gern Chirurgin geworden – und jetzt bin ich Sängerin.
Marie ist mir irgendwie ähnlich.
BR-KLASSIK: Marie in Smetanas "Verkaufter Braut" wird von ihren Eltern mittels Heiratsvermittler verkuppelt – an einen Mann, den sie nicht liebt. Und einen anderen, den sie liebt, soll sie nicht kriegen. Sie wird regelrecht verschachert. Was ist Marie für ein Charakter?
Selene Zanetti: In der Oper und auch in dieser Inszenierung ist Marie eine sehr starke Frau. Sie weiß genau, was sie will. Obwohl ihre Eltern möchten, dass sie einen Mann heiratet, den sie nicht liebt, will sie nur Hans. Sie ist voller Hoffnungen und Wünsche und sehr liebevoll zu Hans. Zugleich will sie das Beste für sich selbst. Als sie erfährt, dass Hans sie verkauft hat, wird sie sehr wütend. Ich muss über die ganze Bühne springen und ihn anschreien und bedrohen. Marie ist mir irgendwie ähnlich. Diese Figur ist sehr italienisch, mit emotionalen Ausbrüchen und starken Gefühle für den Mann, den sie liebt.
BR-KLASSIK: Regisseur David Bösch lässt "Die verkaufte Braut" in einer ländlichen Umgebung spielen. Da gibt es aber nicht nur Maschinen, Traktoren und Menschen auf der Bühne ...
Selene Zanetti: Ja, Willi ist ein echtes Schwein. Diese Inszenierung muss ja auch realistisch sein. Willi ist echt süß. Ich muss mit ihm spielen. Es ist Wenzels Schwein. Er bringt es als Hochzeitsgeschenk. Er weiß aber gar nicht, dass ich eigentlich seine zukünftige Frau sein soll, und ich will ihn auf keinen Fall heiraten. Deshalb versuche ich, ihn davon zu überzeugen, sich eine andere Frau zu nehmen. Das Schwein bleibt die ganze Zeit bei uns. Wir füttern es mit Äpfeln und Karotten und streicheln es. Es geht ihm sehr gut bei uns.
Günther Groissböck hat ein Foto von uns mit dem Schwein gepostet, denn es ist doch irgendwie genial, dass wir Tiere auf der Bühne haben. Wir behandeln sie dabei nicht schlecht. Es geht ihnen sogar richtig gut bei uns. Ein Tierschutzverein [die Tierrechtsorganisation PETA, Anm. d. Red.] hat sich in einer Email darüber beschwert, dass Tiere auf der Bühne sind. Dabei passiert das in vielen Opernhäusern. Auch hier in München kamen schon andere Tiere auf die Bühne. In "Tannhäuser" zum Beispiel konnte man ein Pferd sehen. Aber wie schon gesagt, wir gehen sehr respektvoll mit ihnen um.
BR-KLASSIK: Und alle diese Tiere kommen von einer Agentur, die darauf spezialisiert ist, Tiere für die Bühne auszubilden und als Begleiter den Sängern und Schauspielern auf die Bühne mitzugeben.
Selene Zanetti: Sie lernen es natürlich nicht richtig, aber sie werden daran gewöhnt. Ich würde eher sagen, dass hier ein Schwein vor dem Metzger gerettet wird, der dann ein Steak oder Würstel daraus machen würde. Als wir zum ersten Mal eine Probe mit ihm hatten, kam es zehn Minuten zu spät auf die Bühne. Wir haben alle gelacht und über seine Diva-Allüren gescherzt.
BR-KLASSIK: Sie sind bekannt für ihr großes stimmliches Volumen und Ihre Spielfreude. Was treibt Sie an, auf die Bühne zu gehen?
Selene Zanetti: Freude und Liebe für diesen Beruf. Wenn ich singe, kommt es direkt vom Herzen. Es ist einfach ein großes Vergnügen. Wenn ich auf der Bühne stehe und singe, fühlt es sich an wie eine warme Decke um mich herum. Es ist wunderbar, selbst Musik hervorbringen zu können. Unser Körper ist für uns Sänger unser Instrument. Dadurch, dass wir unser eigenes Instrument sind, schwingen wir direkt mit der Musik mit. Das ist ein unglaubliches Gefühl. Wir spüren alle Energie um uns herum. Das ist eine einzigartige Erfahrung. Der Wunsch nach dieser Empfindung treibt mich auf die Bühne.
Sendung: "Leporello" am 18. Dezember 2018, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Die Premiere von Smetanas "Verkaufter Braut" überträgt BR-KLASSIK am 22. Dezember ab 18:00 Uhr live.
Ab 17:30 Uhr sind in unserer Sendung "Foyer" bereits Stars der Produktion bei Dorothea Hußlein zu Gast.
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