Multitalent Romeo Castellucci zeichnet bei der aktuellen "Tannhäuser"-Produktion an der Bayerischen Staatsoper nicht nur für die Regie verantwortlich, sondern auch für Bühne, Kostüme und Licht. Im Interview verrät er seine Sicht auf das Werk, den Protagonisten und warum er das Morbide an Wagner so liebt.
Bildquelle: © Wilfried Hösl
Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: Romeo Castellucci, Sie sind bei dieser "Tannhäuser"-Produktion nicht nur für die Regie, sondern auch für Bühne und Kostüme verantwortlich. Passt Ihre Art der Arbeit zu Wagners Idee des Gesamtkunstwerks?
Romeo Castellucci: Ich hoffe schon, dass meine Arbeit gut mit Wagner zusammengeht. Wagner hat das moderne Theater in gewisser Weise erfunden. Ich möchte aber auch meine wundervollen Mitarbeiter erwähnen: die künstlerische Assistentin Silvia Costa, die Dramaturgin Piersandra di Matteo, den Beleuchter Marco Giusti und nicht zuletzt die Choreografin Cindy van Acker. Wir sind also ein ganzes Team.
Ich möchte in der Musik und in den Emotionen aufgehen.
BR-KLASSIK: Sie haben beschrieben, dass Sie Ihre Arbeit immer erst mit dem Hören beginnen. Sie lassen die Musik ganz emotional auf sich wirken, dann erst setzt die intellektuelle Analyse ein. Können Sie sich an Ihre ersten "Tannhäuser"-Emotionen erinnern?
Romeo Castellucci: Ja, natürlich kann ich mich an die Emotionen erinnern, die der "Tannhäuser" in mir ausgelöst hat. Ich kenne diese Oper ja schon seit meiner Jugend, also seit vielen Jahren. Wenn ich sie dann aber tatsächlich inszenieren soll, beginne ich meine Arbeit, in dem ich die Musik so oft anhöre, dass ich alles, was ich darüber schon weiß, wieder vergesse. Ich möchte in der Musik und in den Emotionen aufgehen. Anschließend beginnt die konzeptionelle Arbeit, die Entwicklung der Ideen und der Dramaturgie. Aber zuerst kommt die Emotion.
BR-KLASSIK: Und was waren das konkret für Emotionen?
Romeo Castellucci: Es handelt sich um ganz normale menschliche Gefühle und auch um deren Gegenteil. Eine einzige musikalische Phrase von Wagner kann verschiedene Temperaturen und Farben enthalten. Man fühlt Leidenschaft, aber zugleich auch Kalkül. Es gibt Opfer, die zur selben Zeit auch Mörder sein können. Die chemische Komplexität der Emotionen in Wagners Musik ist einzigartig in der musikalischen Welt. Oftmals führt einen die Musik einer Phrase in eine ganz andere emotionale Richtung als der Text. Aus meiner Sicht als Dramaturg entsteht dadurch eine unglaublich vielschichtige Spannungswelt. Das ist höchst interessant. Man kann ewig daran arbeiten. Wie in einer Mine kann man immer wieder neue Gefühlswelten entdecken.
Man kann von Wagners Musik krank werden. Ein wundervoller Effekt.
BR-KLASSIK: Sie gelten als Philosoph der Bühne. Muss man bei Wagner nicht auch Psychologe sein?
Romeo Castellucci: Es geht weniger um Psychologie im medizinischen Sinne, sondern eher um ein Verständnis der Seele. Man braucht Psychologie, aber vor allem, um die universellen Formen der Seele zu verstehen. Wir haben es nicht mit Einzelschicksalen zu tun, denn es spielt sich alles in der Welt der Mythologie ab. Es ist offener, nicht auf ein Individuum beschränkt, sondern eher allgemeingültig. Der Zuschauer wird direkt davon berührt.
Wagners Musik, die Geschichte und die Konflikte, die er uns da präsentiert, sind ein ernstgemeinter Aufruf an uns. Er berührt uns zutiefst, manchmal zu tief. Mitunter hat sie etwas Morbides. Man kann davon krank werden. Ein wundervoller Effekt. Ich finde es herrlich, so sehr von der Musik gefangen zu sein, die sich langsam wie eine Schlange um einen herum windet. Dadurch bekommt man einen Zugang zur Welt, der zugleich weitere Welten eröffnet. Man wird sich seiner größeren Bedeutung als Zuschauer gewahr. Der Zuschauer ist bei Wagner gegenwärtig. Das ist nicht nur eine Opernaufführung, eine Show. Ich kann nicht sagen, warum, aber da steckt mehr dahinter.
Die Zeit ist die falsche, der Ort ist auch falsch. Alles ist falsch.
BR-KLASSIK: Was ist für Sie der zentrale Konflikt, was sind die Themen, die Wagner im "Tannhäuser" verhandelt? Sicher nicht nur der Mann zwischen zwei Frauen, der Konflikt zwischen sinnlicher Erotik und hehrer Liebe?
Romeo Castellucci: Es gibt sehr viele Aspekte. Das macht es so interessant, denn es bleibt die ganze Zeit über mehrdeutig. Man kann sich nicht nur auf einen Aspekt konzentrieren, denn er verflüchtigt sich andauernd. Unsere Hypothese basiert auf der Idee, dass Tannhäuser ein Mann des Irrtums ist. Der Irrtum bestimmt seine Persönlichkeit. Tannhäuser liegt immer falsch. Die Zeit ist die falsche, der Ort ist auch falsch. Alles ist falsch. Das Falsche macht ihn so interessant. Vielleicht steht uns Tannhäuser deshalb heute auch so nahe? Er ist ständig verunsichert. Ich glaube nicht an die typische Dichotomie zwischen Amor sacro e amor profano (also: geistlicher und weltlicher Liebe). Für mich besteht Verlangen aus einer Verschmelzung beider Aspekte.
Die sexuelle Anziehung an sich ist sogar stärker als Venus. Tannhäusers "Zu viel, zu viel!" steckt voller Bedeutungen. Die Begierde kann hier nicht befriedigt werden, denn das Objekt muss immer weit weg sein von der Begierde, sonst ist es keine Begierde mehr. Elisabeth ist also hier das ideale Objekt der Begierde. Tannhäuser wird seine Liebe nie finden. Gemäß Wagners Philosophie können sie erst nach ihrer beider Tod zusammenkommen. Auf Erden ist Liebe unmöglich. Das ist ein sehr klares Statement über das Leben, über den Tod und über unser irdisches Schicksal.
BR-KLASSIK: Kirill Petrenko gilt als akribischer Arbeiter, auch Sie sind bekannt dafür, dass Ihre Szenarien bis aufs Detail ausgefeilt sind. Haben sich da zwei Seelenverwandte getroffen?
Romeo Castellucci: Für Maestro Petrenko ist es nicht einfach, alle Details in diesem akustisch so komplexen Werk zu erarbeiten. Auch wir müssen sehr viele Menschen auf der Bühne und jede Menge Bühnentechnik strukturieren. Wie immer fehlt es an Zeit. Aber das gehört tragischerweise zu unserer Arbeit. Man könnte jeden Tag etwas Neues entdecken. Aber die Realität ist mächtiger als unsere Ideen und unsere Wünsche. Wir müssen uns innerhalb des zeitlichen Rahmens bewegen. Er ist wie ein Käfig. Wir hätten gern mehr Zeit für das Licht, für die Gesten, denn jede kleinste Einzelheit ist wichtig. Aber ich hoffe, wir kommen hin.
Erfahrung kann die Grundlage für eine Neuausrichtung sein.
BR-KLASSIK: Sie arbeiten hier mit Solisten wie Anja Harteros und Christian Gerhaher zusammen, die alle viel Wagner-Erfahrung auch speziell in diesen Rollen mitbringen. Beflügelt und inspiriert das Ihre Arbeit?
Romeo Castellucci: Natürlich stütze ich mich auf ihre Erfahrung in den Rollen. Ich habe ihnen meine, eine etwas andere Sichtweise der Dinge vorgeschlagen, die sie mit Begeisterung angenommen haben. Gerade ihre Vertrautheit mit der Rolle macht eine neue Herangehensweise einfacher. Ihre vorangegangene Erfahrung kann die Grundlage für eine Neuausrichtung der Interpretation sein.
Die Fragen stellt Annika Täuschel für BR-KLASSIK.
Richard Wagners "Tannhäuser" wird für die Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper von Romeo Castellucci inszeniert; am Pult steht Kirill Petrenko.
Premiere ist am 21. Mai, weitere Vorstellungen gibt es am 15. und 28. Mai, am 4. und 8. Juni sowie am 9. Juli.
Die Premiere am 21. Mai wird ab 16.00 Uhr auf BR-KLASSIK live übertragen. Vorher gibt es ab 15.30 Uhr das Foyer mit Beteiligten der Produktion.