Was der österreichische Dichter Hugo von Hofmannsthal dem bajuwarischen Komponisten Richard Strauss zur Vertonung übergeben hat, gehört zu den klügsten und feinsinnigsten Libretti überhaupt – inhaltlich und sprachlich. An verschiedenen Stellen der Oper greift der Klangzauberer aus Garmisch in seine Lieblingsschublade: Sie trägt das Etikett "Tränendrüse" – auf die hat er es beim Publikum abgesehen. Innerhalb der gut dreistündigen Oper mindestens fünf Mal – voila:
Bildquelle: Bayerische Staatsoper/W. Hösl
Eine Frau ist deprimiert von den Falten in ihrem Gesicht. Wo ist ihre Jugend hin? Hat sie nicht gerade noch einen jungen Mann bei sich gehabt, eine gemeinsame Liebesnacht genossen? Plötzlich ist ihr danach, über das Altern nachzudenken – und das Voranschreiten der Lebenszeit, und über die Vergänglichkeit des Glücks. Die Frau gesteht sich ein, nachts manchmal aufzustehen und die Zeiger der Uhr anzuhalten. Auch musikalisch waltet abgrundtiefe Melancholie.
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Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding...
Der junge Mann steht da, mit einer silbernen Rose in der Hand – als Heiratsantrag soll er sie einem Mädchen überbringen, das er nicht kennt. Nicht er selbst soll heiraten, sondern ein älterer Herr ohne Manieren. Was sich aber hier und jetzt ereignet, wo das Mädchen dem jungen Mann erstmals unter die Augen tritt, ähnelt der sprichwörtlichen Liebe auf den ersten Blick: Der junge Mann ist wie verzaubert von dem Mädchen. Umgekehrt liegt der Fall ganz ähnlich. Orchester und Gesang heben förmlich vom Erdboden ab, mutieren zu sinnlichster Süße.
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Mir ist die Ehre widerfahren . . .Ich kenn' Ihn schon recht wohl
Der ältere Herr hat gerade erkennen müssen, dass er körperlich nicht mehr in bester Verfassung ist: Im Duell mit dem jungen Mann war er jedenfalls unterlegen. Was für eine Blamage! Selbstmitleid scheint einzig angemessen. Da ist die Überraschung groß, als der Herr plötzlich brieflich die (fingierte) Einladung zu einem Rendezvous bekommt. Alles beginnt sich zu drehen – im Kopf des Herrn jedenfalls. Es scheint, als kehre ein Stück Jugend zurück. Dazu mehr und mehr Musik in unverkennbarem, schwerfälligem, aber doch mitreißendem Walzertakt.
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Kurt Moll: Der Rosenkavalier - Baron Ochs - Da lieg ich
Die Frau sieht ein, dass sie den jungen Mann als Geliebten an eine jüngere Rivalin verloren hat. Soll sie um ihn kämpfen? Aber nein. Die Frau will die Trennung mit Fassung tragen – mit der Würde des Alter(n)s. Beim Rückzug bleibt eine leise Hoffnung: dass die Geste des Verzichts großzügig wirkt. Schließlich gehört Reife dazu, Charakterstärke. Als sich alle drei Beteiligten gegenüberstehen, scheint es, als jubiliere das Mädchen innerlich – als habe es aber auch Mitleid mit der verlassenen Frau. Der junge Mann ist die Verlegenheit in Person. Und aus der schillernden Situation wird ein Terzett für die Ewigkeit.
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Marie Theres'! . . . es ist ein Traum
Der junge Mann kann sein Glück kaum fassen. Seine alte Liebe hat ihn tatsächlich freigegeben! Keine Hindernisse mehr auf dem Weg zu seinem Mädchen, dem neuen Objekt der Begierde! Vielleicht die Frau fürs Leben? Mit der die Tage und Nächte wie im Flug vergehen, Wochen so schnell wie Monate und Jahre? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Für den Moment zählt nur der Augenblick. Und das sieht das Mädchen offenbar genauso. Es stellt sich heraus: Musikalisch lässt sich das erregende, unmittelbar vorangehende Terzett nicht mehr toppen. Dafür gewährt uns das Schluss-Duett, ganz entspannt, einen Hör-Blick auf die Insel der Seligen.
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"Ist ein traum" - Lucia Popp & Brigitte Fassbaender