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Operette "Die Polnische Hochzeit" Joseph Beer - von den Nazis um den Erfolg gebracht

Joseph Beer ist Mitte der 30er-Jahre ein Shooting Star der Operette. Und mit seiner "Polnischen Hochzeit" steht ihm der ganz große Durchbruch bevor. Doch die Nazi-Herrschaft bedeutet einen tragischen Einschnitt für seine Karriere. Nach seinem Tod haben seine Ehefrau und die beiden Töchter fast 20 Jahre versucht, Joseph Beer und sein Werk wieder ins Rampenlicht zu bringen. Das Münchner Rundfunkorchester führte Joseph Beers „Polnische Hochzeit“ in konzertanter Fassung endlich komplett auf - die Produktion wird auch auf CD erscheinen.

Bilder zu Polnische Hochzeit | Bildquelle: Suzanne Beer

Bildquelle: Suzanne Beer

"Überraschungen auf dem Gebiete der Operette sind selten geworden. Die Erfolge der letzten Jahre sind an einige Namen geknüpft, die man an den Fingern einer Hand aufzählen kann. Und nun kommt plötzlich ein junger Mann von 24 Jahren, Joseph Beer, und legt ein Werk vor, das von außerordentlichem musikalischen Reiz ist, reichhaltig und persönlich in der Erfindung, sicher in der Durchführung und köstlich klingend in der Instrumentation." Das war im April 1934 in einer österreichischen Zeitschrift zu lesen. Die Überraschungsoperette war Der Prinz von Schiras, Beers exotisches Erstlingswerk, das bald in halb Europa nachgespielt wurde. Nur wenige Monate vorher war Giuditta, das letzte Werk des beinahe 40 Jahre älteren Franz Lehár, an der Wiener Staatsoper uraufgeführt worden – der krönende Abschluss einer Operettenepoche, die sich spürbar dem Ende zuneigte. Die Zeit war also reif für einen Generationswechsel.Und Joseph Beer schien der geeignete Komponist dafür zu sein.

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Musik schien seine Zuflucht zu sein
Joseph Beers Ehefrau Hanna im Interview

Seit er sich 1927 an der Wiener Staatsakademie für Musik vorgestellt hatte, eilte Joseph Beer der Ruf eines kompositorischen Wunderkinds voraus. Damals hatte er die Prüfungskommission so beeindruckt, dass ihn erlaubt wurde, die ersten vier Studienjahre zu überspringen. Direktor Joseph Marx nahm ihn umgehend in seine Meisterklasse auf, die Beer 1930 mit Auszeichnung abschloss. Das überzeugte auch seinen Vater, der für den Sohn eigentlich ein Jurastudium vorgesehen hatte. Er war ein wohlhabender Bankier und wohnte mit seiner fünfköpfigen Familie im damals österreichischen Lemberg (heute Lwiw/Ukraine). Doch schon dort besuchte Joseph parallel zum jüdischen Gymnasium auch das Konservatorium. Seine Mutter hatte seine Begabung früh erkannt und gefördert, nachdem sie entdeckte hatte, dass der gerade Siebenjährige ein eigenes Notationssystem entwickelt hatte, ohne zu wissen, dass es bereits eines gab. Schon damals hatte er zu komponieren begonnen und sich in allen musikalischen Gattungen versucht. Dass er sich schließlich der Operette zuwandte, mochte seinen Lehrer und Mentor Joseph Marx zwar enttäuscht haben, dennoch unterstützte er seinen früheren Vorzeigeschüler weiterhin. So vermittelte er ihm nach dem Examen eine Stelle als Korrepetitor der Ballettklasse, mit der Beer auch auf Tournee ging, u. a. nach Palästina. Ausgerechnet dort nahm Beers Schicksal dann die entscheidende Wendung. Er wurde  nämlich gebeten, die Werke einiger befreundeter Kollegen von dort bei Fritz Löhner-Beda, dem erfolgreichsten Operettenlibrettisten Wiens, vorzuspielen. Zurück in Wien präsentierte ihm Beer, wie versprochen, die Kompositionen aus Palästina. Erst als der sichtlich desinteressierte Löhner-Beda die Sitzung beenden wollte, wagte Beer zu fragen, ob er ihm einige eigene Stücke vorspielen dürfe. Was er dann hörte, begeisterte den Librettisten so sehr, dass er Beer die sofortige Zusammenarbeit anbot. Nicht nur weil daraus der Prinz von Schiras hervorging, wurde Löhner-Beda zum entscheidenden Kontakt seiner Karriere, sondern weil dieser ihm die wichtigsten Türen im Operettengeschäft öffnete. Und das befand sich damals aus verschiedenen Gründen in der Krise.

Du warst der selige Traum

Da war zum einen der erwähnte, bislang ausgebliebene Generationswechsel, und da war zum anderen die Weltwirtschaftskrise, die in Wien zur Schließung renommierter Operettenbühnen wie des Carl- oder des Johann-Strauß-Theaters geführt hatte. Letzteres wurde in ein Kino umgewandelt, wo überdies der GesangsTonfilm dem Bühnengenre gewaltig Konkurrenz machte. Und da war schließlich die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, die den meist jüdischen Wiener Autoren ab 1933 ihren wichtigsten Markt verschloss. In Wien selbst blieb nur noch das traditionsreiche Theater an der Wien übrig, das allerdings finanziell so angeschlagen war, dass es sich nicht an die Uraufführung eines Stücks aus der Feder eines jungen, unbekannten Komponisten wagte.

Bilder zu Polnische Hochzeit | Bildquelle: Suzanne Beer Bildquelle: Suzanne Beer Dies übernahm dann das Stadttheater Zürich, wo Der Prinz von Schiras am 31. März 1934 herauskam. Der Erfolg ermutigte nun auch Hubert Marischka, den Direktor des Theaters an der Wien, zu einer Aufführung. Er engagierte dafür die Staatsopernsängerin Lillie Claus, die künftige Gattin von Beers Kollegen Nico Dostal, und den Tenor Serge Abramowic. Letzterer musste den Schlager "Du warst der selige Traum", der, wie die Neue Freie Presse monierte, "von Tauber-Lehár sein könnte, aber von Joseph Beer ist, [...] gleich viermal – nach bekanntem Muster – teils mit ganzer Stimme, teils mezza voce mit jedes Mal geändertem Schluss" vortragen. Die "für den ernsten Musiker wertvolle Seite" der "symphonischen Singspiel-Operette (die keine Operette im gewöhnlichen Sinn des Wortes ist)" lag für seinen Lehrer Joseph Marx hingegen darin, dass Beer, wie er in einem Brief an seinen Schüler schrieb, "die klassische Polyphonie" kenne und "Figuratives und Kontrapunkt zu unterscheiden wisse, was sehr berühmte Operettenkomponisten nicht können. Darin liegt Ihre Stärke und Ihre – Zukunft!" Die Wiener Kritiken beurteilten den Prinz von Schiras trotzdem reserviert und bescheinigten, wie etwa das Neue Wiener Journal, Beer zwar "ein beachtliches Talent, das allerdings erst einen Wechsel auf Sicht ausgestellt" habe. Das Publikum hingegen bereitete dem jungen Komponisten "einen stürmischen Erfolg, der sich zu Riesendimensionen steigerte. Die Autoren wurden nach den Aktschlüssen unzählige Mal hervorgerufen". Die Wiener Premiere wurde über Kurzwelle live übertragen und war auch in Lemberg zu hören, wo Familie Beer gespannt vor dem Radio saß. Der Vater maß, die Stoppuhr in der Hand, sogar die Dauer des Applauses und kam bei Abramowics Dacapos des "Seligen Traums" auf 17 Minuten. Der Prinz von Schiras wurde, von Stockholm bis Madrid, in ganz Europa nachgespielt. Und sein Komponist war ein gefragter Mann, sodass Löhner-Beda für das nächste gemeinsame Operettenprojekt mit dem Titel Polnische Hochzeit Alfred Grünwald, den langjährigen Librettisten Emmerich Kálmáns, als Mitarbeiter gewinnen konnte. Das erfolgreichste Autorenduo der Wiener Operette arbeitete nun also für Joseph Beer. Das hatten die beiden bisher nur für Paul Abraham getan, den sechzehn Jahre älteren ungarischen  Komponisten, dessen Viktoria und ihr Husar die Operettenwelt 1930 revolutioniert hatte.

Mit Abraham hat Beer viel gemeinsam, vor allem die freche Stilmischung von Folklore und Jazz. Auch seine Musik scheut weder drastische Komik noch Sentimentalität, weder große Gesten noch kleine Brüche, kennt die leuchtenden Orchesterfarben. Alle Merkmale der Gattung sind bei Beer in gedrängter Form noch einmal vereint. Folkloristische Buffoduette in der Art Kálmáns stehen neben opernhaften Finali à la Lehár und Abraham'schen Tanzschlagern. Für die Polnische Hochzeit schrieben die Librettisten ein melodramatisches Vorspiel, das ganz bewusst dem von Viktoria und ihr Husar enon polnischen Flüchtlingen gesungen wird. In Abrahams Viktoria waren es noch sibirische Gefangene, die dergestalt "Mütterchen Wolga" beschworen. Wie dort tritt dann auch in der Polnischen Hochzeit ein junger Mann in den Vordergrund, für den es nur "ein Mädel auf der Welt" gibt. Auch er besingt seine große Liebe, die zuhause auf ihn wartet: "In der Heimat blüh'n die Rosen – nicht für mich, den Heimatlosen!"

Bravo, ein weiblicher Figaro!

Dass das Thema Flucht und Vertreibung bald auch ihr Werk einholen würde, konnten die Librettisten freilich nicht ahnen. Vielmehr stellten sie trotz besagtem tragischen Vorspiel endlich wieder Komiker ins Zentrum der Handlung. "Bravo, ein weiblicher Figaro!", jubelte Silvio Mossé vom Théâtre du Châtelet in Paris: "Endlich haben der liebe Grünwald und der liebe Beda verstanden, dass das Publikum es satt hat, immer wieder nur schmachtende Liebhaber und Liebhaberinnen zu sehen und – leider zu hören." Dabei bedienten sich die beiden ausgiebig aus dem Fundus der Operettengeschichte: Boleslav, der junge polnische Freiheitskämpfer inkognito ist ein Bruder des Bettelstudenten aus dem gleichnamigen Stück, Suza, die wilde Verwalterin, stammt aus Polenblut und das Milieu schließlich aus Gräfin Mariza. Und auch Beer spielt mit musikalischen Versatzstücken, beherrscht das Vokabular des Genres virtuos und fasst es noch einmal zusammen. Hatte Der Prinz von Schiras einen Neuanfang versprochen, so wirkt die Polnische Hochzeit eher wie das Resümee einer Ära – erstaunlich für einen gerade einmal 28-jährigen Komponisten. Für ihn freilich markierte das Werk den Höhepunkt seiner Karriere.

Bilder zu Polnische Hochzeit | Bildquelle: Suzanne Beer Bildquelle: Suzanne Beer Wieder fand die Uraufführung in Zürich statt, und wieder war der Erfolg einhellig. Die Polnische Hochzeit wurde in acht Sprachen übersetzt und von über 40 europäischen Bühnen nachgespielt. Die aufwendigste Neuproduktion war für den 1. Oktober 1939 im besagten Théâtre du Châtelet geplant – mit dem Titel Les noces polonaises und dem damaligen Tonfilm-Traumpaar Jan Kiepura und Marta Eggerth. Zwar kam sie wegen des Zweiten Weltkriegs nicht zustande, doch sie rettete Beer das Leben. Als die Nationalsozialisten in Österreich einmarschierten, ermöglichte ihm Maurice Lehmann, der Direktor des Châtelet, die Flucht nach Paris. Dort hielt sich Beer mit Orchesterarrangements und Musik zu dem Film Festival du monde über Wasser. Er wollte so schnell wie möglich in die USA, um dort "an ein Musical College als Lehrer zu gehen", wie er an Joseph Marx schrieb. Doch er kam nur bis Nizza. Auf der Flucht vor der deutschen Besatzung gelang es ihm hier, bis Kriegsende unterzutauchen. In seinem Versteck komponierte er allen Widrigkeiten zum Trotz seine dritte Operette, Stradella in Venedig. Titelheld war der Renaissance-Komponist Alessandro Stradella, dessen skandalumwittertes Leben schon Friedrich von Flotow zu einer Oper inspiriert  hatte. Zweifellos identifizierte sich Beer mit dem zeitlebens – wenn auch aus erotischen Gründen – verfolgten Italiener. Nachdem die Operette unter dem verkürzten Titel Stradella 1949 am Stadttheater Zürich uraufgeführt und gut aufgenommen worden war, wurde die "komische Oper von höchstem Niveau", wie Kurt Pahlen in seiner Kritik geschrieben hatte, von André Roussin, einem Mitglied der Académie française, ins Französische übersetzt. Doch eine Aufführung kam nicht zustande, und Beer zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Späte Wiedergutmachung für den Heimatlosen

Die Nachricht vom Tod seiner Eltern und seiner Schwester in Auschwitz hatte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Auch sein Mentor und Librettist Löhner-Beda war dort ermordet worden. Die meisten seiner früheren Mitarbeiter waren emigriert und über die ganze Welt verstreut. Und mit denen, die geblieben waren, wollte Beer nichts mehr zu tun haben. Trotzdem komponierte er weiterhin täglich instrumentale und geistliche Werke – ohne je an deren Aufführung zu denken. Vom Bruch, den das Dritte Reich in seiner Biografie hinterlassen hatte, blieb sein Schaffen weitgehend unberührt. Wie viele seiner Generation hielt er der Operettenwelt seiner Jugend die Treue und nahm von den radikalen Entwicklungen der zeitgenössischen Musik so gut wie keine Notiz. Zur Freude seines Lehrers Joseph Marx war Beer zeitlebens ein glühender Verfechter der Tonalität.

Anfang der 1950er-Jahre heiratete er die Holocaust-Überlebende Hanna Königsberg aus München und lebte mit ihr und den zwei gemeinsamen Töchtern Suzanne und Béatrice zurückgezogen in Nizza. Er nahm das Studium der Musikwissenschaft an der Pariser Sorbonne wieder auf, das er vor dem Krieg begonnen hatte, und vollendete 1966 seine damals bei P.M. Masson begonnene Doktorarbeit über die "Entwicklung des harmonischen Stils im Werk von Skrjabin". Trotz einer "mention très honorable" und der Ermutigung seines Professors Vladimir Jankélévitch sah er von einer Veröffentlichung ab. Erst im Alter schrieb Beer wieder für die Bühne, zwei Singspiele: 1977 La polonaise über Napoleons Affäre mit der polnischen Gräfin Maria Walewska und zehn Jahre später Mitternachtssonne über ein von Fabelwesen bewohntes Norwegen der 1930er Jahre – vielleicht eine Geste der Dankbarkeit an ganz Skandinavien. Denn dort war seine Polnische Hochzeit unter dem Titel Masurkka längst ins Operettenrepertoire eingegangen und wurde bis zu Beers Tod im Jahre 1987 immer wieder gespielt.

Es sollte 75 Jahre dauern, bis die Stadt, für welche die Polnische Hochzeit eigentlich komponiert wurde, das Werk zu sehen bekam. Die posthume Erstaufführung fand beim Wiener Operettensommer 2012 statt – eine späte Wiedergutmachung für den Heimatlosen.

Sendungstipp

Sonntagskonzert - 13.12.2015, 19:05 bis 22:00 Uhr
Joseph Beer: "Polnische Hochzeit"
Operette in drei Akten
Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz und Solisten, Münchner Rundfunkorchester, Leitung: Ulf Schirmer
Aufnahme vom 22. November 2015 im Münchner Prinzregententheater

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