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Neugierig auf Musik

CD des Monats: März Junge Deutsche Philharmonie & Antoine Tamestit: Gubaidulina & Bruckner

Junge Deutsche Philharmonie & Antoine Tamestit: Gubaidulina & Bruckner | Bildquelle: Achim Reissner

Bildquelle: Achim Reissner

Die höchsten Töne bohren sich förmlich ins Ohr. Sie kratzen, sie flirren, sie tun weh. Manchmal wirkt es so, als ob Antoine Tamestit nicht mit dem Bogen über die Saiten seiner Bratsche streicht, sondern mit den Fingernägeln über eine Tafel scharrt. Doch das ist gut so. Denn die Intensität, mit der Antoine spielt, lässt die Musik beim Hören am ganzen Körper spürbar werden. Er reißt das Orchester mit, das in jedem Moment sofort auf ihn reagiert.

Und das, obwohl diese Live-Aufnahme die erste Zusammenarbeit von Antoine Tamestit und der Jungen Deutschen Philharmonie ist. Seit mehr als 40 Jahren ist das Orchester der absolute Hotspot der jungen Musikszene: Zusammen mischen die besten Musikstudenten Deutschlands die Konzertszene ordentlich auf – national und international. Statt dem ewigen und doch oft recht faden Mozart-Beethoven-Bach-Programm trauen sie sich auch mal an Komponisten, die man sonst nicht allzu oft hört: Goebbels, Messiaen, Sánchez-Verdú, Zimmermann. Und jetzt auch Sofia Gubaidulina.

Mit ihrem Viola-Konzert hat sich das Orchester ein Stück ausgesucht, das alles andere als gewöhnlich ist. Neben der üblichen Besetzung werden hier auch noch eine Menge anderer Instrumente aufgefahren – Wagner-Tuben, Zimbeln und ein extra Streichquartett. Besonderer Effekt: das Streichquartett ist einen Viertelton tiefer gestimmt als der Rest des Orchesters. Wenn Streichquartett und Bratsche aufeinanderprallen, entstehen schrille und fast schon kreischende Akkorde. Auch das ist nicht immer angenehm zu hören und sorgt an manchen Stellen erst einmal für Irritation - durch die Verfremdung wird die Musik nicht unbedingt greifbarer, aber noch spannender und intensiver.  

Die Viola fasziniert mich unglaublich! Sie ist sozusagen ein ganz anderes Tier. Viel mehr verwandt mit dem Kontrabass als mit der Violine, wie mir scheint.
Sofia Gubaidulina

Junge Deutsche Philharmonie & Antoine Tamestit: Gubaidulina & Bruckner | Bildquelle: Achim Reissner Bildquelle: Achim Reissner Direkt zu Beginn zeigt Sofia Gubaidulina wie faszinierend sie die Bratsche findet: Antoine Tamestit spielt am Anfang alleine – immer den gleichen Ton d. Er variiert ihn allerdings, schickt ihn durch alle Lagen. An den tiefsten Stellen hört es sich tatsächlich so an, als ob ein Kontrabass am Werk wäre. Nach und nach kommen dann die Vierteltöne des Quartetts dazu, bis schließlich das ganze Orchester einsteigt. Aus diesem Beginn spinnt die Komponistin das ganze Konzert weiter – sie stellt die Bratsche in den Mittelpunkt und mach ganz deutlich: hier geht es um ein Individuum, das vom Orchester getragen wird. 

Ein krasser Kontrast zum Viola-Konzert ist Bruckners Neunte: statt Individuum heißt es hier eher Masse. Mit dieser Sinfonie packt die Junge Deutsche Philharmonie ein überraschend konventionelles Stück auf die CD.

Einen anderen Ansatz finden das Orchester und Dirigent Jonathan Nott trotzdem: Statt der sonst so oft üblichen Anbetung an Bruckners letzte Sinfonie und weihrauchdurchdrungener Atmosphäre gibt es eine stringent und frisch dirigierte Version. An manchen Stellen wird es schon auch mal ordentlich laut, aber nie so, dass es knallt.

Wenn ihr eine CD einfach nur nebenbei hören wollt, solltet ihr von dieser Aufnahme eher die Finger lassen. Für alle anderen gilt: Ohren auf und (auch wenn es vielleicht hier und da weh tut) genießen! Denn es sind wohl die schönsten Ohrenschmerzen die man sich vorstellen kann.

CD-Info

Junge Deutsche Philharmonie
Sofia Gubaidulina - Konzert für Viola und Orchester
Anton Bruckner - Sinfonie Nr. 9 d-Moll
VÖ: 05. Februar 2016

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