SWEET SPOT.
Neugierig auf Musik
Schon als Baby lauscht Maria Rui gebannt, wenn der Vater – ein klassischer Sänger – auf der Bühne steht und seine Partie schmettert. Die ersten paar Schritte hat sie gerade hinter sich, da tanzt sie im Kinderzimmer zur Ouvertüre aus Mozarts „Entführung aus dem Serail“. In der Schule daheim in der portugiesischen Metropole Porto sind die Lehrer begeistert von ihrer Singstimme, sie ist diejenige, die man bei den Schulfeierlichkeiten auf der Bühne hören will. Nur: Maria Rui selbst ist sich nicht so sicher, ob sie eine Sängerin sein will.
Bildquelle: Murxen Alberti
Das gleiche machen wie der Vater, klassisch Gesang studieren – und vom Namen des Vaters profitieren? Kommt für sie nicht in Frage. Sich im Pop-Business „als Produkt vermarkten lassen“? – auch nicht. Also was ganz anderes: Luft- und Raumfahrttechnik. Der Traum vom Fliegen. Ein Studium in München. Blöderweise hat der Uni-Chor nur auf sie gewartet, könnte man meinen. Ja, der Uni-Chor ist schuld. Dass Maria nun doch wieder singt. Und die Zweifel sind da: Soll sie doch auf ihre Begabung setzen, und nach dem technischen Studium noch ein Gesangsstudium draufsetzen? Nach Gesangsstunden an der Volkshochschule bewirbt sie sich bei der bayerischen Chorakademie – das Urteil fällt entmutigend aus. Man sagt ihr klar, sie sei zu schlecht und fragt, was ihrer Gesangslehrerin einfalle, sie überhaupt zum Vorsingen zu schicken. Irgendeinen Ausgleich braucht es aber, zum „rechnen, rechnen, rechnen“ im Studium, auch wenn ihr Mathe Spaß macht und sie es schon immer cool fand, dass Maschinen aus Menschenhand fliegen können. Sie malt, hobbymäßig. Der Öffentlichkeit die Bilder zeigen – das will sie aber nicht.
Es war gar kein Plan dahinter
Und dann eines Tages fliegt er ihr einfach zu, ein Song. Der erste. Da waren ein paar Töne im Kopf. Zwei Akkorde. Da huscht ein Summen über die Lippen. Nur für den Text zur Melodie braucht Maria einen Monat. Es geht um Liebe und darum, dass man denkt, man möchte etwas nicht und im Nachhinein, wenn man es nicht mehr hat, merkt man, wie sehr man es haben will. Klassisch. „Das Problem war: Wenn man anfängt zu schreiben, möchte man, dass es gut wird. Man schreibt Sachen und denkt dann: Es ist voll Sch… Oder man traut sich erst gar nicht Sachen zu schreiben, die man schreiben will – es könnte ja vielleicht kitschig sein oder so“, erinnert sich Maria Rui an ihre ersten Schritte als Songschreiberin. Sie habe dann gelernt, einfach drauflos zu schreiben – hinterher was ändern, das geht immer. Und dann war die Hemmschelle weg.
Am Valentinstag steht sie zum ersten Mal mit ihren Songs auf der Bühne vor Publikum – „das war ein Riesenstress“. Dann geht alles ganz schnell: Musiker sprechen sie an, laden sie ein. Sie knüpft erste Kontakte zu Veranstaltern. Sie braucht eine Band – „es ging alles spontan. Ok: jetzt hab ich einen Auftritt, vielleicht sollte ich eine Facebookseite machen. Keiner kann sich meinen Namen merken – ok, vielleicht sollte ich Flyer machen. Die ersten Aufnahmen waren nur als Demo geplant – und dann hat ein Lokal-Radiosender in Porto angefangen, sie zu spielen. Und dann das Nationalradio. Es war gar kein Plan dahinter.“ Maria Rui sagt, sie „war total überfordert.“ Und fand es mega cool.
Bildquelle: Barbara Goyri
Jetzt singt sie also, wenn das Geld auf dem Konto der studierten Luft- und Raumfahrttechnikerin auch hauptsächlich (noch?) von einem „BWL-mäßigen“ Job in England stammt.
"Atlantisch" nennt Maria Rui selbst ihre Musikrichtung. Einflüsse aus Brasilien, Afrika und ihrer Heimat Portugal, eine Prise Fado, feinfühlige Texte. Und eigentlich ist es egal, dass man die Texte nicht versteht, wenn man des Portugiesischen nicht mächtig ist. Denn es ist auch so klar: die Frau mit dem Lockenkopf und einer zuckersüßen Zahnlücke singt von ganz großen Gefühlen. Und irgendwie funktioniert es auch in ihrer Musik, das mit der Aerodynamik und den Luftströmen und dem unwahrscheinlichen Traum vom Fliegen: Zumindest, wenn man die Augen zu macht und lauscht.
Außerdem: U21 beschäftigt sich mit einer der heftigsten Emotionen: dem Ekel. Normalerweise sollte kein Musiker scharf darauf sein, ausgerechnet dieses Gefühl beim Publikum hervorzurufen. Doch wie sieht es mit dem Ekel-Faktor in der Welt der Musik aus? Material gibt es genügend: tropfende Speichelreste bei den Bläsern, entzündete, aufgeriebene Hautstellen bei den Geigern, Blutblasen an den Fingern bei den Harfenisten. In der ersten Folge schauen wir uns die Blockflötensammlung von Stefan Temmingh an und suchen nach schimmligen Spuckeresten. Igiiiiitttttt.
"U21 - Deine Szene. Deine Musik" mit Annekatrin Schnur & Clemens Nicol.
Kommentare (0)