Bayreuth 1955 – das Jahr, in dem im Festspielpark die Wagner-Büste von Arno Breker aufgestellt wurde. Das Jahr des ersten Festspielbesuchs der Begum Aga Khan, die darauf zum Stammgast wurde. 1955 sang die große Martha Mödl die Rolle der Kundry schon im fünften Jahr auf dem Grünen Hügel, die Rolle der Brünnhilde im dritten Jahr. Zum 110.Geburtstag der Gesangslegende ist in der Edition Profil Günter Hänssler in Koproduktion mit BR-KLASSIK eine ungewöhnlich programmierte Doppel-CD erschienen: der dritte Aufzug des "Siegfried" und der zweite Aufzug des "Parsifal".
Bildquelle: Profil - Edition Günter Hänssler
Der CD-Tipp zum Anhören
Den dritten Aufzug des "Siegfried" mochte ich schon immer lieber als den ersten und zweiten – und den zweiten Aufzug des "Parsifal" schon immer lieber als den ersten und dritten. Hier gibt es Spannung pur statt "Durststrecken". Eine Doppel-CD, die sich aus dem 3.Aufzug des "Siegfried" und dem 2.Aufzug des "Parsifal" zusammensetzt, ist wie geschaffen für mich. Und diese Besetzung…
"Keine wie sie! Diese Frau kann fesseln wie keine andere!" Das meinte Wieland Wagner über Martha Mödl, die er eine "unpathetische Hochdramatische" nannte. Von der Siegfried-Brünnhilde meinte sie selbst, die Partie wäre gefährlich für sie, weil sie für ihre angestammte Mezzo-Tessitura eigentlich eine Terz zu hoch liegt. Dafür breitete ihre dunkel getönte Stimme gerade hier einen üppigen Farbenreichtum aus - und glühende Sinnlichkeit. Schließlich sind Wagners Heroinen zunächst und vor allem Frauen. Die Kundry der Mödl? Eine am Leben leidende Frau! Die Brünnhilde der Mödl? Eine vor Lebenslust leuchtende Frau!
Dieses Album hat gefehlt, weil …
… hier zwei Wagner-Opern voller "Durststrecken" endlich mal auf ihren jeweils spannendsten Akt reduziert sind.
Dieses Album wird lieben, wer …
… Wagners Gesangstexte gerne beim Hören unmittelbar versteht – ohne im Libretto mitlesen zu müssen.
Dieses Album führt bei Überdosis zu …
… der Überzeugung, dass Wagner für seine mythischen Frauen definitiv nur Martha Mödl – the one and only – im Ohr gehabt haben kann.
Sie besaß ein natürliches Pathos, mied gezielt jegliche Übertreibung. Ihren Partien lieferte sie sich auf Gedeih und Verderb aus. In ihre Charaktere drang sie bis auf den Grund vor. Kraftvolle Emotionalität verband sich mit schauspielerischen Instinkt. Gesang nicht als Selbstzweck verstanden, sondern als Mittel zur Realisierung des Dramas. So wurden Figurenporträts zu musiktheatralischen Elementarereignissen. Wenn die Mödl auf der Bühne stand, war das nie ein "als ob", sondern von einer Glaubhaftigkeit, die betroffen machte.
Dass es nicht einfach war, sich als Partner neben einer solch dominierenden Erscheinung zu behaupten, braucht da kaum noch begründet zu werden. Sprachgenauigkeit, Textverständlichkeit in Verbindung mit tragfähigen, strahlkräftigen Stimmen boten aber auch Wolfgang Windgassen als Siegfried oder Ramón Vinay als Parsifal. Was sind hier nur für Sänger versammelt! Auch Hans Hotter als Wanderer kommt dem Ideal, das es nicht gibt, sehr nahe. Und diese Transparenz im Festspielorchester – dieses schlanke, vorwärtstreibende Musizieren! Hans Knappertsbusch hatte 1955 seine vorübergehende Aversion gegen Wieland Wagners Entrümpelung der "Parsifal"-Bühne hörbar überwunden. Umwerfend auch, was von Joseph Keilberth für eine Frische ausging, welche Kurzweil‘ er verbreitete. Ein Stück wie der dritte Aufzug des "Siegfried" lässt sich von germanischem Ballast stärker nicht befreien. Chapeau!
Richard Wagner:
"Siegfried" (3. Aufzug) und "Parsifal" (2. Aufzug)
Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 1955
Martha Mödl, Sopran – Brünnhilde und Kundry
Maria von Ilosvay, Alt – Erda
Wolfgang Windgassen, Tenor – Siegfried
Hans Hotter, Bass – Wanderer
Ramón Vinay, Tenor – Parsifal
Gustav Neidlinger, Bass – Klingsor
Orchester der Bayreuther Festspiele
Leitung: Joseph Keilberth ("Siegfried"), Hans Knappertsbusch ("Parsifal")
Label: Edition Profil Günter Hänssler / BR-KLASSIK
Sendung: "Piazza" am 12. März 2022 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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