Medienzirkus ist dem Pianisten Krystian Zimerman ein Gräuel. Die Zahl seiner Alben ist überschaubar, auch, weil er sie schon mal nicht freigibt, wenn sie seinem hohen Anspruch nicht genügen. Dass er sich jetzt für seinen wenig bekannten Landsmann Karol Szymanowski stark macht, ist ein Statement. Zimermans Querschnitt durch Szymanowskis Klavierwerk ist grandios.
Bildquelle: Deutsche Grammophon
Der CD-Tipp zum Anhören
Krystian Zimerman spielt Karol Szymanowski
Die Musik von Karol Szymanowski schillert in vielen Farben. Sie kann von geradezu narkotisierender Süße sein, so, dass befreundete Literaten dem bedeutendsten polnischen Komponisten zwischen Chopin und Witold Lutoslawski voller Bewunderung bescheinigten, vor ihm sei niemals „so unverschämt metaphysisch unanständige Musik“ komponiert worden. Was seine Kritiker ähnlich sahen, wenn auch unter anderen Vorzeichen: Eine schwüle, dunstige Sinnlichkeit entsteige Szymanowskis Werken. Der betörende Duft eines zu schweren Parfums, eine anrüchige Erotik seien förmlich zu hören.
In Szymanowskis Musik kreuzen sich ganz unterschiedliche Prägungen. Das mediterrane Licht Nordafrikas und Siziliens faszinierte ihn ebenso wie später die Volksmusik der Goralen, einer ethnischen Gruppe in Polen, der er auf Reisen in die Tatra begegnete. Sie beeinflusste ihn wie zuvor Debussy, Strauss oder Skrjabin. Der literarischen Bewegung Junges Polen, die vehement einen Aufbruch in der Kunst forderte, stand Szymanowski nahe. Dem feingeistigen, homosexuellen Bohemien ging es um kompositorische Freiheit, um eine tiefgreifende Neuorientierung der polnischen Musik. National solle sie sein, schrieb er 1920, aber nicht provinziell. Für seine eigene Musik gilt das ganz sicher.
Dieses Album hat gefehlt, weil …
… sich damit endlich einmal wieder einer der ganz großen Pianisten für einen immer noch zu wenig gespielten Komponisten einsetzt.
Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… hier fantastische Klavierspiel auf ein tolles Repertoire trifft.
Dieses Album wird lieben, wer …
… immer schon ahnte, dass es in Chopins polnischer Heimat doch sicher einen würdigen Nachfolger gegeben haben muss.
Davon ist auch der große Pianist Krystian Zimerman überzeugt. Er stellt Szymanowski, was seine Bedeutung für die Klaviermusik angeht, an die Seite Chopins. Seit Jahrzehnten fasziniert Zimerman das Oeuvre seines polnischen Landsmanns, einige Stücke auf seinem jetzt veröffentlichten Szymanowski-Album, die "Masques" op.34, nahm er schon 1994 auf. Zimerman liefert einen klugen und charakteristischen Querschnitt durch Szymanowskis Klavierwerk, von ganz frühen Werken wie den Préludes op.1 und den Variationen über ein polnisches Volksthema über die im Ersten Weltkrieg komponierten Masques bis hin zu den späten, eben von der Volksmusik der Goralen beeinflussten Mazurken op.50.
In seinen Memoiren beschrieb der große Pianist Artur Rubinstein den mit ihm befreundeten Szymanowski als "sensitive, zarte Natur". Über Rubinstein lernte Zimerman die raffinierte, harmonisch oft nicht eindeutige, scheinbar ziellos freie Musik Szymanowskis kennen und lieben. Er spielt sie extrem sensitiv und zart, zaubert Klänge, die glasklar, zugleich unendlich sinnlich und mystisch wirken. Ein ganz wichtiges Album eines fantastischen Pianisten. Unbedingt hörenswert.
Karol Szymanowski:
Préludes op. 1, Nr. 1, 2, 7, 8
"Masques" op. 34
Mazurken op. 50, Nr. 13-16
Variationen über ein polnisches Volksthema op. 10
Krystian Zimerman (Klavier)
Label: Deutsche Grammophon
Sendung: "Piazza" am 22. Oktober 2022 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK