Das Klavier ist zweifellos ein tolles Instrument. Es hat nur ein kleines Problem: Jeder Ton wird leiser. Immer. Unumkehrbar. Einmal angeschlagen, ist der Klavierton schon auf dem Weg ins Verklingen, und nichts und niemand holt ihn zurück. Natürlich kann das ganz wunderbar satt und voll tönen. Aber sobald sie auf dem Klavier singen sollen, müssen Pianisten tricksen - oder sagen wir lieber: zaubern.
Bildquelle: Telos Music
CD-Tipp 23.02.2017
Der CD-Tipp zum Anhören
Denn die menschliche Stimme kann auf jedem Ton anschwellen. Für den gesanglichen Ausdruck ist das sogar unerlässlich. Nur leider auf dem Klavier unmöglich. Und doch - irgendwie müssen es die Pianisten schaffen, ihr Instrument zum Singen zu bringen. Manchen gelingt das so gut, dass ihr Ton fast ebenso beseelt klingt wie bei großen Liedinterpreten. Etwa der aus Usbekistan stammenden Pianistin Evgenia Rubinova. Sie hat auf ihrer neuen CD Beethovens Liederzyklus "An die ferne Geliebte" eingespielt - ganz ohne Gesangsstimme: nämlich in der Transkription für Klavier solo von Franz Liszt.
Mit viel Klangphantasie, perfekt kontrolliertem Anschlag und genau dosiertem Einsatz des Pedals lässt Evgenia Rubinova die melodischen Linien aufblühen. Dabei ist ihr die wunderbare, wenig bekannte Klaviertranskription von Franz Liszt eine dankbare Vorlage. Der wusste eben, was auf dem Klavier funktioniert. Anders als bei manchen seiner Schubert-Transkriptionen, die teilweise sehr virtuos sind, hat sich Liszt bei seiner Bearbeitung von Beethovens "An die ferne Geliebte" zurückgehalten. Die Lieder bleiben in der Klavierfassung so innig, intim und berührend wie im Original. Evgenia Rubinova spielt sie in Liszts romantischem Geist, sehr gefühlvoll, dabei nie larmoyant. Viel direkter ist sie, passenderweise, bei Beethoven im Original.
Die beiden Klaviersonaten op. 10, Nr. 1 und Nr. 2 bieten ein funkelndes Spiel voller Kontraste und Ideen. Die eine in dramatischem c-Moll, die andere in blendend gelauntem F-Dur. Evgenia Rubinova reagiert hellwach auf alle Überraschungen, gibt den Phrasen Relief, lässt Melodien atmen und hat Sinn für Beethovens trockenen, manchmal übermütigen Humor. Etwa im Finale der F-Dur-Sonate, ein im Presto abschnurrendes Perpetuum mobile in Form einer kunstvollen Fuge, bei der man sich fragt, ob Beethoven damit wirklich kontrapunktische Gelehrsamkeit demonstrieren wollte oder sich nicht viel eher darüber lustig macht.
Schade, dass Evgenia Rubinova nur zwei der drei Sonaten Opus 10 eingespielt hat - denn eigentlich bilden sie einen kleinen Zyklus. Dafür wird man mit hörenswerten Entdeckungen entschädigt, die man kaum je im Konzert erlebt: Beethovens Variationen op. 76 und den Wranitzky-Variationen.
Eine tolle CD - das kleine, feine Label Telos Music hat mit Evgenia Rubinova eine erstklassige Pianistin gewonnen. Für das, was sie kann, ist sie eindeutig noch zu wenig bekannt.
Ludwig van Beethoven (teilweise arr. Franz Liszt):
"An die ferne Geliebte"
Klaviersonaten op. 10, Nr. 1 und Nr. 2
Variationen op. 76
12 Variationen über den Russischen Tanz aus Wranitzkys Ballett "Das Waldmädchen"
Capriccio alla Turca
Evgenia Rubinova (Klavier)
Label: Telos Music