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Album der Woche – Leiv Ove Andsnes spielt Liszt Via crucis

Bekannt ist Franz Liszt als Klassikstar seiner Zeit, der durch Europa tourte und sein Publikum mit horrend anspruchsvollen Virtuosenstücken begeisterte. Auch wenn die religiöse Seite von Liszt in den letzten Jahren immer wieder thematisiert und hörbar gemacht wurde, steht sie nach wie vor im Schatten. Die Kreuzweg-Kantate Via Crucis zeigt jedoch, wie ernsthaft Liszt katholische Kirchenmusik schrieb. Das gefeierte Vokalensemble The Norwegian Soloists' Choir und der Pianist Leif Ove Andsnes haben das Spätwerk jetzt eingespielt.

Bildquelle: Sony Classical

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Reduzierte Klänge, karg gesetzt für ein Klavier mit Vokalensemble, mal schroff, dann wieder meditativ. Kaum jemand würde diese Musik dem Virtuosenmeister Franz Liszt zuschreiben, so ungewöhnlich ist dieses Werk. Die Kreuzweg-Kantate "Via crucis" ist ein Spätwerk. Liszt arbeitet an ihr über einen längeren Zeitraum bis 1878. Zu seinen Lebzeiten wurde sie nie vor Publikum gespielt. Erst 1929 kam es in Budapest zur Uraufführung an einem Karfreitag.

Liszt führt katholische und protestantische Traditionen zusammen

Erzählt wird der Leidensweg Christi von der Verurteilung durch Pontius Pilatus bis zum Tod am Kreuz und der Grablegung. Zum Klavier tritt über die 14 Stationen hinweg das Vokalensemble, das teils mit lateinischen, teils mit deutschen Texten das Geschehen kommentiert. Absolut bemerkenswert: Katholische und protestantische Traditionen werden dabei zusammengeführt, quasi ökumenisch verknüpft. Denn inmitten der katholischen Andacht singt der Chor in der sechsten Station einen protestantischen Klassiker: Paul Gerhardts "O Haupt voll Blut und Wunden", einen Choral, den Liszt musikalisch auch als Hommage an Bachs "Matthäus-Passion" integriert. Je dramatischer das Leiden und Mitleiden in die Passion Christi voranschreitet, desto reduzierter wird der Klavierpart. Modern und expressiv klingt das, kompromisslos und streng, grell-dissonant, wenn Jesus in der elften Station ans Kreuz geschlagen wird.

Packend und unprätentiös wird hier musiziert

"Für mich fühlt sich 'Via crucis' an wie eine Begegnung mit Liszts Seele: ein Mann, der sich mit Fragen des Glaubens, der Erlösung und des menschlichen Leidens auseinandersetzt", schreibt Leif Ove Andsnes im Beiheft. Faszinierend sei die emotionale Wirkung des Werkes: "Es ist gleichermaßen Gebet und Musik". Intensiv und in perfekter Balance zwischen Klavier und Chor erkundet der Pianist zusammen mit dem großartigen Norwegian Soloist"s Choir unter der Leitung von Grete Pedersen das absolut außergewöhnliche Ausdrucksspektrum dieses Werkes. Packend und unprätentiös wird hier musiziert, so dass sich die Musik schön, nachdenklich und verinnerlicht entfaltet und immer wieder staunen lässt, wie spektakulär gegenwärtig sie wirkt. Ergänzt wird diese etwa 40-minütige Kantate mit solistischer Klaviermusik, den sechs "Consolations" und zwei Stücken aus dem Zyklus "Harmonies poétiques et religieuses".Leif Ove Andsnes spielt diese ruhigen, stellenweise innig gestalteten Stücke klanglich sehr differenziert und rundet damit dieses besondere Liszt-Album eindrucksvoll ab. Großartig!

Infos zur CD

Franz Liszt:
Via crucis (Version für Soli, Chor & Klavier)
Consolations Nr. 1-6
Harmonies poetiques et religieuses Nr. 8 & 9

Leif Ove Andsnes (Klavier)
The Norwegian Soloist's Choir
Leitung: Grete Pedersen

Sendung: "Piazza" am 19. April 2025 ab 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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