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Kolumne - Nils Mönkemeyer Der merkwürdige Fall der Anna Karkowska

Der Bratschist Nils Mönkemeyer schreibt einmal im Monat für br-klassik.de über sein Leben als Musiker oder alltägliche Erlebnisse, die ihn bewegen. Im Dezember wundert er sich über ein Promotion-Video einer amerikanischen Musikerkollegin.

Nils Mönkemeyer | Bildquelle: Irène Zandel

Bildquelle: Irène Zandel

Ahmen Sie niemanden nach - seien Sie Sie selbst

"This above all: To thine own self be true" schreibt Shakespeare im Hamlet. Oder etwas profaner von Dale Carnegie: "Ahmen Sie niemanden nach - seien Sie Sie selbst". Es gibt wohl kaum einen Coach, Berater, Trainer etc., der diese einfache Wahrheit nicht predigt: Nur wer sich selbst treu ist, "authentisch" ist und über etwas spricht oder etwas tut, woran sie oder er glaubt, nur die oder der kann wirklich erfolgreich sein. Und mit der eigenen Aussage überzeugen. Es ist also ganz einfach: Sei Du selbst = Erfolg.

Vor einiger Zeit stolperte ich über ein Video der polnischen, in Amerika ansässigen Geigerin Anna Karkowska und traute meinen Ohren nicht. Schauen Sie selbst:

Wieso bitteschön spricht niemand über ihr Vibrato?

Nun, die gute Anna Karkowska macht doch laut Dale Carnegie alles richtig. Sie ist leidenschaftlich, sie steht hundertprozentig hinter ihrer Interpretation und sie macht etwas Spezielles, was sonst noch niemand getan hat. Um bei Dale Carnegie zu bleiben: "Glaubt ein Redner mit ganzem Herzen an eine Sache und trägt sie in vollem Ernst vor, so wird er Anhänger für seinen Fall gewinnen". Hat bei Frau Karkowska ja auch geklappt, jemand hat das London Symphony Orchestra für sie eingekauft, der Geigenhändler spricht als "Experte" über ihr fantastisches Spiel, und unter Tränen schluchzt sie in Teil drei noch "It's about american dream come true"...

Als allererstes frage ich mich allerdings, wieso bitteschön spricht NIEMAND im Video über ihr Vibrato? Sie wabbelt sich durch die Stücke, als gäbe es kein Morgen. Ein krasser Ausrutscher? Nein, ich fürchte, dahinter steckt Kalkül. Und es scheint aufzugehen. Klarer Fall, aus Marketing Sicht ist das ihr USP, ihr Unique Selling Point, trotzdem erwähnt es keiner der "Experten". Glaubt sie selbst wirklich daran, was sie da tut? Hier ist ein kurzer Ausschnitt von Sibelius' Violinkonzert, den ich auf ihrer eigenen Website gefunden habe und: Heureka!, sie spielt mit "ganz normalem" Vibrato. Was ist da passiert? Wieso hat sie ihr recht hübsches Vibrato in diese Katzenschleuder verwandelt??

Aus Können und einer Portion Zweifel entsteht große Kunst

Am meisten irritiert mich das doch recht ausgeprägte Selbstvertrauen, oder etwas freundlicher gesagt: ihr Mut. So muss man sich erstmal vor eines der besten europäischen Orchester hinstellen! Was auch immer Anna Karkowskas Bewegründe sind oder waren, es reicht eben doch nicht aus, "man selbst zu sein". Natürlich, für einen Musiker ist die Fähigkeit, im Moment des Konzerts eine starke und persönliche Aussage zu treffen eine der wichtigsten Voraussetzungen. Die absolute Hingabe und die innere Überzeugung müssen aber unterfüttert sein von Können und vor allem einer Portion Zweifel. Erst aus diesem Spannungsfeld kann meiner Meinung nach große Kunst entstehen.

Um die Liste an sinnfälligen Zitaten zu vervollständigen, hier noch ein wunderschönes von Rainer Maria Rilke:
"Und Ihr Zweifel kann eine gute Eigenschaft sein, wenn Sie ihn erziehen. Er muss wissend werden, er muss Kritik werden. Fragen Sie Ihn so oft er Ihnen was verderben will, weshalb etwas hässlich ist, verlangen Sie Beweise von ihm, prüfen Sie ihn, und Sie werden ihn vielleicht ratlos und verlegen, vielleicht auch aufbegehrend finden. Aber geben Sie nicht nach, fordern Sie Argumente und handeln Sie so, aufmerksam und konsequent, jedes einzelne Mal, und der Tag wird kommen, da er aus einem Zerstörer einer Ihrer besten Arbeiter werden wird - vielleicht der klügste von allen, die an Ihrem Leben bauen". Rainer Maria Rilke, in einem Brief an Franz Xaver Kappus (Briefe an einen jungen Dichter, Insel Verlag)

Kommentare (1)

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Samstag, 26.Dezember, 12:07 Uhr

Helmut Jüngling

So läuft's offenbar!

Herzlichen Dank an Nils Mönkemeyer für diesen klaren Kommentar - ehrlich gesagt, ich hätte, bevor ich das Video in Augenschein nahm, nicht gedacht, dass diese deutlichen Worte ("Katzenschleudervibrato") sogar noch eine Untertreibung darstellen.
Das Ganze zeigt in erschreckender Weise, mit welcher Unverfrorenheit die Plattenindustrie Stars zu generieren versucht. Ich hoffe noch insgeheim, das Video könnte eine kabarettistische Unternehmung sein, um die Vermarktungsmechanismen durch Karikieren zu entlarven. Groß ist die Hoffnung aber nicht...

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