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Meinung – Das Regietheater hat die Oper gerettet Lebenselixir für die Oper

Jahrzehnte ergingen sich die Feinde des Regietheaters in düsteren Drohungen: Wenn die Regisseure weiter alles so verhunzen, geht keiner mehr hin! Nun zeigt sich: Die Institution Oper hat ausgerechnet in den Ländern die größten Probleme, in denen die Regie am konservativsten ist: in den USA und in Italien. Was das für die Zukunft der Oper bedeutet.

Frank Castorf trieb das Regietheater auf die Spitze. Hier: Wagners "Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen 2015 | Bildquelle: picture alliance / dpa | Enrico Nawrath

Bildquelle: picture alliance / dpa | Enrico Nawrath

Frank Castorf trieb das Regietheater auf die Spitze. Im Bild zu sehen: seine Inszenierung von Wagners "Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen 2015.

Als ich mit 13 zum ersten Mal in eine Aufführung von Wagners "Walküre" geschleift wurde, war ich vom Stück mindestens so überwältigt wie von der Wut der Buhrufer. Die Regisseurin Ruth Berghaus hatte eine geniale Deutung von Wagners "Ring" erarbeitet. Keine Bärenfelle, keine germanischen Helme mit Hörnern dran, stattdessen eine Welt der Symbole.

Die Wut der Regietheater-Hasser

Regietheater! Damals, 1986 in Frankfurt, eine sehr neue, sehr heiße Sache. Und ich sah erwachsene Menschen in Anzug und Abendkleid (für mich als 13-Jährigen eigentlich Inbegriff von Seriosität und Langeweile), die förmlich ausflippten. Was war da los? Die Buh-Salven wurden mit einer eruptiven Aggression abgefeuert, die mich irritierte und zugleich irgendwie erregte. Es war meine erste Begegnung mit der Wut der Regietheater-Hasser. Seither höre und lese ich ihre düsteren Drohungen: Wenn diese Regisseure alles verhunzen, geht keiner mehr hin! Macht nur so weiter, bald sind alle Opernhäuser komplett leer!

Buh-Rufen bleibt ein heiliges Recht

Ich kann gar nicht zählen, wie oft ich das gehört und gelesen habe, früher in Leserbriefen, heute auf Facebook. Keine Missverständnisse: Selbstverständlich gibt es halbgelungene, misslungene, hohle und bescheuerte Inszenierungen. Selbstverständlich bleibt es ein heiliges Recht des Publikums, Buh zu rufen, wenn es nicht gefallen hat. Und ja, das Wort "Regietheater" ist ein weißer Schimmel. Trotzdem weiß jeder, was gemeint ist. Mittlerweile ist selbst in Wien, bis vor kurzem eine der letzten Regie-konservativen Bastionen im deutschen Sprachraum, das Publikum längst viel wacher und neugieriger als gedacht, wie sich unter dem neuen Staatsoperndirektor zeigt.

Konservative Regie bringt Oper in die Krise

Doch die eigentliche Pointe ist: Umgekehrt wird ein Schuh draus. Das Publikum bricht gerade dort weg, wo sich die Bühnenästhetik in den letzten Jahrzehnten nicht oder wenig verändert hat. Richtig in der Bredouille sind die Opernhäuser ausgerechnet in den Ländern, in denen die Regie am konservativsten ist: in den USA und Italien. Dort wird die Oper wird als veraltet, elitär und irrelevant regelrecht angefeindet. Natürlich hat das vielfältige Gründe. Aber der wichtigste ist: Stillstand ist Tod. Die Aufregung der Buh- und Bravo-Kämpfe, die ich als 13-Jähriger erlebt habe, war damals bitterernst. Aber rückblickend kann man nur sagen: Zum Glück! Sie hat sich als Lebenselixier der Kunstform Oper erwiesen.

Sendung: "Allegro" am 20. Mai 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (8)

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Mittwoch, 25.Mai, 22:55 Uhr

Sibylle

Regietheater

So ein Unsinn! In Wien gibt es seit langer Zeit sogar kurzfristig noch Karten, oft viele Plätze frei. Die erwünschten Jungen verstehen nicht, wenn auf der Bühne etwas Anderes passiert als sie in Google gelesen haben, besonders im neuen Tristan! Die Zeiten des ausverkauften Hauses sind trotz Touristen und Ende der Corona- Beschränkungen vorbei!

Mittwoch, 25.Mai, 22:41 Uhr

Henning Höppe

Weitgehend teile ich diese Meinung

Regietheater eröffnet neue Einblicke in (oft) alte Werke, verdeutlicht zentrale Aussagen, die zeitlos gelten. Trotzdem sollte eine Inszenierung weitgehend selbsterklärend bleiben, Zuschauer*in ohne dezidiertes Studium des Programmhefts auskommen. An diesen Kriterien bemesse ich, ob ich eine Inszenierung gut, gar packend finde.

Allerdings mag manchem Neuling der Einstieg in alte Opern schwerfallen, wenn hinter einer ambitionierten Inszenierung der alte Stoff undeutlich bis zur Unverständlichkeit wird.

Montag, 23.Mai, 10:26 Uhr

W. Viereck

Unverständlich...

..., dass Herr Neuhoff das Regietheater so gut findet, jede Art von Manierismus bei der musikalischen Gestaltung aber ablehnt - unsachliche Seitenhiebe auf andere Interpreten inklusive. Was mich interessieren würde: Wo setzt Herr Neuhoff beim Regietheater die Grenze zwischen gelungenen und "halbgelungenen, misslungenen, hohlen und bescheuerten" Inszenierungen? Dieser Satz klingt sehr widersprüchlich zu dem, was der Artikel ansonsten aussagen soll. Zumal ich von Herrn Neuhoff bisher nur entweder Lobeshymnen oder Verrisse über Inszenierungen gelesen habe - aber nichts dazwischen.

Sonntag, 22.Mai, 14:49 Uhr

Steven Cool

Lebenselixier...

Die meisten gehen in Deutschland trotz und nicht wegen des Regietheaters in die Oper und hoffen auf bessere Zeiten. In den USA und in Italien sind die Kartenpreise sehr viel höher. Die Opernhäuser hätten mit Inszenierungen wie hier, noch weniger Besucher.

Sonntag, 22.Mai, 07:27 Uhr

Martina

Regie

Die Frage lautet: Wieviel trägt der Staat (Bürger Steuergelder) dazu bei, dass diese "selbst verherrlichten Regien" überhaupt gespielt werden können??? Und von wg Auslastung. Sie jaben sich zum Großteil alles "schön geschrieben"

Sonntag, 22.Mai, 07:20 Uhr

Martina

Regietheater

Ein Unsinn dieser Kommentar! Das Theater/Oper hat schon vor über 20 Jahren begonnen mit diesen "gestörten, zu aufarbeitenden Regien" die Kunst zu ruinieren ! Wenn man sich die Auslastung von damals und heute ansieht, waren die Zahlen der Auslastung von damals mit den "verstaubten Regien" um vieles besser, die Häuser waren sehr git besucht. Wenn man jetzt in die Oper oder Theater mit diesen sog selbstverherrlichten Regien geht, sieht man förmlich, dass ein Großteil der Bestuhlung leer ist!!! Und Sie hätten auch in dem Bericht erwähnen müssen, dass ein Theater nur mit Unterstützung des Staates(Steuergelder des Bürger) überleben kann! In Amerika gibt es keine staatliche Förderung /Unterstützung, da sind die Sponsoren tätig. Und die spielen so, dass Geld in die Kasse fließt. Und dies funktioniert nicht mit selbstverherrlichten Regien!

Sonntag, 22.Mai, 01:13 Uhr

Tim Theo Tinn

Lebenselixir für die Oper

Für aktuellen Sachstands fehlt semantische Ausrichtung (Sinnzusammenhänge, Bedeutungen und Kontexte), Vermögen übergreifend zu argumentieren, jeder seriöse journalistische Versuch einer Argumentation . … soll Sachstand gegenwärtiger Kulturansprüche sein? - der Schluss ist unwahr.… zu solchen Inszenierungen wird dem Publikum pauschal „wachere, neugierigere“ Aufnahme angedichtet. Realität sind Buhsalven,Schwund des Stammpublikums Befürworter sind immer noch Minderheit
„ ... halbgelungene, misslungene, hohle, bescheuerte Inszenierungen.“ die sind im„Regietheater“, . Wer soll hier gebauchpinselt werden, wem biedert sich der Autor an? Staatsintendant Serge Dorny kann es nicht sein. letzte 2 Inszenierungen der MSTO waren werkimmanent. Wobei der großartige „Peter Grimes“ (s. TTT - Außerordentliches Musiktheater ohne Mätzchen: umsichtig, fundiert, zukunftsträchtig! Programmatik Dornys greift), schon allein die substanzlosen Behauptungen des BR aushebelt.

Anm. d. Red.: Unser Autor hat die Inszenierung von Peter Grimes ebenfalls sehr gelobt. Möglicherweise haben Sie diesen Kommentar missverstanden?

Samstag, 21.Mai, 13:45 Uhr

Wiener Opernfreund

Zwei Seiten einer Medaille

Die USA haben auch eine ganz andere Sozialstruktur und gerade eine große kulturelle Krise. Der Schwund des Publikums kann man dort auch auf andere Faktoren zurückführen.
Als Staatsoperngeher kann ich nur sagen, dass die aktuelle Saison eher das Stammpublikum verscheucht hat, aber auch die Jungen (U27er) bei den Inszenierung konservativer Ansätze( ich plaudere meist in den Pausen) bevorzugen. Aus meiner subjektiven Wahrnehmung sieht man kaum wo mehr junge Leute, als beim Schenk Rosenkavalier, obwohl dort teilweise weniger preisgeschleudert wird(beim Tristan gab es trotz Premiere gleich mehre U27 20 Euro Termine)
Roscics Werkwahl für die kommende Saison ist aber exzellent und sehr publikumsgefällig (Wagner, Mahler, Strauß, Mozart), ich bin gespannt, wie das Publikum dann reagiert und die Zahlen sich entwickeln. Solange Leute gerne in die Oper gehen, bin ich froh und wenn es nachhaltige Begeisterung ist, um so besser.

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