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Kommentar Streit um Münchner "Karmelitinnen"-Produktion

Die Erben des Komponisten Francis Poulenc und des Autors Georges Bernanos wollen die Aufführung der Oper "Dialogues des Carmélites" an der Bayerischen Staatsoper verhindern. Sie fordern Änderungen der Inszenierung, andernfalls dürfe die Interpretation von Dmitri Tcherniakov nicht gezeigt werden, fordern die Erben. Zu Recht? Ein Kommentar von Peter Jungblut.

Bildquelle: Wilfried Hösl

Die Musik-Tradition will es so: Am Ende der Operette sind alle verheiratet, am Ende der Oper sind alle tot, jedenfalls alle Hauptdarsteller. Kein Wunder, dass sich die Regisseure und Teile des Publikums dabei auf Dauer furchtbar langweilten. Deshalb enden Opern mittlerweile nicht selten überraschend unblutig: In der Nürnberger "Götterdämmerung" stürzt sich Brünnhilde nicht in die Flammen, sondern meldet sich bei Facebook an, um die Welt zu verbessern. In Duisburg springt Tosca nicht von der Engelsburg, in Bayreuth sinkt Isolde nicht in sich zusammen, in Mainz stößt sich Madame Butterfly keinen Dolch in die Brust. Was soll also die Aufregung um die Münchener "Karmelitinnen", die in der Regie von Dimitri Tcherniakov am Ende nicht geköpft werden, sondern bis auf eine Nonne alle mit dem Leben davon kommen?

Massenhafter Märtyrertod

Peter Jungblut | Bildquelle: BR/Philipp Kimmelzwinger Peter Jungblut | Bildquelle: BR/Philipp Kimmelzwinger Es widerspricht zweifellos der historischen Wahrheit, und ist insofern ein Sonderfall, denn Komponist Francis Poulenc vertonte anders als Richard Wagner oder Giacomo Puccini nun mal tatsächliche Ereignisse. Die 16 Unbeschuhten Karmelitinnen von Compiègne wurden 1794 in der Französischen Revolution hingerichtet und später selig gesprochen. Gerade dieser massenhafte Märtyrertod erschütterte den überzeugten Katholiken Poulenc so sehr, dass er am Ende seiner düsteren Oper in den Choral der opferbereiten Nonnen immer wieder das Geräusch des heruntersausenden Fallbeils mischt. Dem Publikum bleibt also nicht erspart, jeden einzelnen Schnitt der Guillotine zu hören. 

Die Erben haben eindeutig ein Mitspracherecht.

Das zu ignorieren, ist ziemlich kühn, um nicht zu sagen dreist. Obendrein haben die Erben von Francis Poulenc eindeutig ein Mitspracherecht, denn der Komponist starb 1963, das Urheberrecht läuft in Deutschland also erst 2034 aus, 70 Jahre nach Poulencs Tod. Das mag für Regisseure unangenehm sein, ist aber nun mal Rechtslage. Die Gerichte in Frankreich haben einstweilen nur den Vertrieb der DVD-Aufzeichnung untersagt, die Inszenierung selbst aber nicht verboten. Das stärkt die Kunstfreiheit und ist insofern so erfreulich wie mutig, aber wirklich nur in diesem Sinne. Bezogen auf Poulencs "Karmelitinnen" ist die Entscheidung falsch und ärgerlich. Der Respekt vor der Geschichte und den Erben hätte mehr Sensibilität erfordert.

Juristisch berechtigte Einwände

Wie oft verhinderten die Erben von Bertolt Brecht zeitgemäße Inszenierungen, und wohl oder übel müssen die deutschen Theater auch damit noch bis 2027 klar kommen. Warum soll das für Francis Poulenc nicht gelten? Es geht nicht um die Frage, ob Dmitri Tcherniakovs Inszenierung der "Karmelitinnen" gut oder schlecht, experimentell oder werktreu ist. Es geht um die Frage, ob juristisch berechtigte Einwände geltend gemacht werden können und ob die Geschichte des 18. Jahrhunderts von Opernregisseuren kurzerhand umgeschrieben werden darf. "Die Toten sind nicht tot", sagte der großartige Dramatiker  Heiner Müller einmal, aber das heißt nicht, dass die Toten leben, sondern dass sie uns heimsuchen. Ein großer Unterschied, der in den Münchener "Karmelitinnen" leider nicht gemacht wird.

Wiederaufnahme an der Bayerischen Staatsoper

Die Oper "Dialogues des Carmélites" von Francis Poulenc in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov steht zwischen dem 23. Januar und 1. Februar 2016 insgesamt vier Mal auf dem Spielplan des Münchner Nationaltheaters.

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