Als einer der größten Missbrauchs- und Misshandlungsfälle in einer katholischen Einrichtung sind die Regensburger Domspatzen schon seit Jahren in den Schlagzeilen. Doch lange Jahre warteten Opfer vergebens auf Anerkennung des ihnen zugefügten Leids. Was macht die Aufarbeitung bei dem weltberühmten Knabenchor so schwer?
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stationen.Dokumentation vom 9. März
Verschwiegene Taten. Missbrauch in der katholischen Kirche
"Er setzt sich ans Bett, flüstert, um dir zu sagen, wie toll du seist. Und dann fasst er unter die Bettdecke, berührt dich, zieht dir die Schlafanzughose runter." Alexander Probst kann sich noch genau an den Präfekten W. im Internat der Domspatzen in Regensburg erinnern. Im Schuljahr 1970/71 kam der damals zehnjährige Probst nach Regensburg. Zuvor hatte er schon zwei Jahre die Vorschule des Knabenchors in Etterzhausen vor den Toren der Stadt besucht. Dort erlebte er wie viele andere Betroffene ein System der Gewalt und Misshandlung. Peter Schmitt, der Ende der 1960er Jahre in die Vorschule kam, spricht heute von der "schwarzen Pädagogik" unter Schuldirektor Johann Meier. Für ihn gab es ein Schlüsselerlebnis, das ihn bis heute verfolgt.
Dass ich gewürgt wurde und zwar so, dass ich gedacht habe, ich erlebe den nächsten Tag nicht.
All das wurde bereits im Jahr 2010 offen diskutiert, als der Missbrauchsskandal die katholische Kirche in Deutschland erreichte. Auch im Ettaler Klosterinternat hatte es Missbrauchsfälle gegeben. Auch dort wurden die Betroffenen zunächst nicht anerkannt, aber im Frühjahr 2011 kam dann doch der Durchbruch: Unter Vermittlung eines ehemaligen Verfassungsrichters und Mediatoren einigen sich Betroffene und das Kloster darauf, die Vorgänge wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Auch ein Entschädigungsfonds wurde eingerichtet.
In Regensburg ging dagegen für viele Betroffene erst mal nichts voran. Anfang 2015 nahmen TV-Dokumentationen dann Betroffene wie Alexander Probst in den Fokus. Ehemalige Domspatzen suchten in der Öffentlichkeit nach Unterstützung für ihren Kampf um Anerkennung. Tatsächlich kam nun Bewegung in die Angelegenheit: Ende Februar 2015 verkündete das Bistum, dass 72 Misshandlungsopfer ermittelt worden seien. Zwei Monate später präsentierten Bistum und Domspatzen den Rechtsanwalt Ulrich Weber als unabhängigen Sonderermittler.
Das alles fünf Jahre nach Bekanntwerden des Skandals - dabei hatten sich Alexander Probst und Peter Schmitt bereits 2010 an das Bistum gewandt, ohne dass ihnen ein Gespräch angeboten worden wäre. Das ändert sich nun. Peter Schmitt etwa bekam auf einmal einen Anruf. Und einen Termin für ein Gespräch beim Bischof.
Die Art und Weise, wie man jetzt damit umgeht, empfinde ich anders, wesentlich anders und wesentlich offener.
Mit Bischof Müller ist Gerhard Ludwig Kardinal Müller gemeint, Bischof in Regensburg von 2002 bis 2012. Müller, seit Juli 2012 Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan, ist nun an höchster Stelle auch für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der römisch-katholischen Kirche verantwortlich. Doch über die Regensburger Fälle möchte er nicht sprechen. Eine Interviewanfrage lehnt er ab.
Leider kann er wegen zahlreicher Verpflichtungen innerhalb und außerhalb der Glaubenskongregation Ihrem Ersuchen nicht nachkommen.
Der Jesuitenpater Hans Zollner leitet das Kinderschutzzentrum an der Päpstlichen Universität Gregoriana und ist in der Päpstlichen Kinderschutzkommission. Für ihn gibt es Gründe, weshalb sich die Kirche mit der Aufklärung immer noch schwer tut. Wenn katholische Institutionen versagen, entstehe sehr oft der Eindruck, man wolle das intern lösen. Draußen verstehe das niemand, sagt Hans Zollner.
Regensburgs neuer Bischof Rudolf Voderholzer | Bildquelle: picture-alliance/dpa/Erwin Elsner
Müllers Nachfolger, Bischof Rudolf Voderholzer, treibt die Aufarbeitung in Regensburg voran. Er sprach persönlich mit Opfern, auch mit Peter Schmitt. Und Voderholzer räumt am 24. Januar 2016 in einer Predigt ein, dass "die in der Vergangenheit immer wieder unternommenen Versuche einer Selbstkorrektur zu wenig wirksam" gewesen seien. Für die Taten gebe es keine Rechtfertigung. Sonderermittler Ulrich Weber legt schon am 8. Januar 2016 nach achtmonatigen Recherchen einen ersten Zwischenbericht vor. Darin spricht er von 231 Opfern körperlicher Gewalt, vor allem in der Vorschule Etterzhausen, und von mindestens 50 Betroffenen sexueller Gewalt, vor allem bis Ende der 1970er Jahre in Regensburg.
Seit Anfang Februar sitzen nun Betroffene mit dem Bischof und den Domspatzen-Verantwortlichen in einem paritätisch besetzten Kuratorium zusammen. Die ersten Gespräche lassen hoffen, dass nun - sechs Jahre nach dem Missbrauchsskandal - die Aufarbeitung gelingt. Eine Garantie dafür gibt es aber noch nicht, die Wunden sitzen tief. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob die Aufarbeitung wirklich gelingt.
Am 09. März, um 19.00 Uhr im Bayerischen Fernsehen. In der Reihe "stationen.Dokumentation"
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