Etwa 45 Musikerinnen und Musiker spielen heute im Polizeiorchester Bayern. Zumeist an Hochschulen ausgebildete professionelle Instrumentalist*innen, die längst auf den großen Konzertbühnen angekommen sind und in ihren schicken blauen Konzertuniformen kaum mehr erahnen lassen, dass ihre ausschließlich männlichen Kollegen von einst tatsächlich auch eine Polizeiausbildung absolvieren mussten.
Bildquelle: Innsbrucker Promenadenkonzerte
12. November 1951: 30 Männer versammeln sich im vormaligen Augustinerchorherrnstift Rebdorf bei Eichstätt. Sie sind die ersten Anwärter für den Musikzug der Bayerischen Bereitschaftspolizei. Ein Jahr zuvor war auch in Bayern eine Bereitschaftspolizei aufgestellt worden, um die regulären Kräfte bei Großeinsätzen und besonders personalintensiven Ereignissen zu unterstützen – bei Katastrophenfällen, Demonstrationen, Haus- und Grundstücksbesetzungen, großflächigen Suchaktionen, aber auch bei Staats- und Papstbesuchen oder Fußballspielen.
Ähnliche Aufgaben hatten bereits die Landpolizeieinheiten von 1920, die nach dem 1. Weltkrieg aus der 1919 gebildeten Polizeiwehr als paramilitärische Unterstützungseinheiten für die junge Weimarer Republik rekrutiert wurden. Und auch 1919 gab es schon eine Musikkapelle der Bayerischen Landespolizei. Diese hatte bis 1935 Bestand, bis sie zusammen mit der seit 1928 bestehenden 'Schutzpolizei' im Zuge der Gleichschaltungsbestrebungen der Nationalsozialisten in der Reichswehr aufging.
Dieses Polizeiorchester diente zusammen mit den Militärmusikkapellen vorzugsweise der Repräsentation des Staates. Neben den protokollarischen Auftritten standen auch die beliebten, publikums- und publicitywirksamen Standkonzerte auf öffentlichen Plätzen im Mittelpunkt. Neu hinzu kamen Aufnahmen mit dem jungen Radio, das seit den 1920er Jahren die Breitenwirkung gerade auch der Musikkapelle der Landespolizei München zusätzlich beförderte.
Josef Kohmünch hieß der vormalige Musikmeister bei der Landespolizei. Nach Ende des 2. Weltkriegs wollte er 1947 an diese Tradition anknüpfen und erneut eine Polizeikapelle ins Leben rufen. Aber noch vier weitere Jahre sollten ins Land gehen, bis Kohmünch persönlich auf seine früheren Kollegen und auf Musiklehrer zugehen oder durch Aushänge auf die beabsichtigte Gründung eines "Musikzuges der Bayerischen Bereitschaftspolizei" aufmerksam machen konnte.
1954: Das Orchester spielt bei einer Sternfahrt der Bayerischen Bereitschaftspolizei | Bildquelle: Bayerische Bereitschaftspolizei Keinen Dienstrang erhielt, wer aus den freien Berufen kam. Wer schon vorher im Polizeidienst war, wurde als Polizeimeister oder Polizeihauptwachtmeister übernommen – ganze drei Bewerber. 1954 wurde der Musikzug an seinen heutigen Standort nach München verlegt. Kennzeichnend für diese Zeit war die alltägliche Finanznot. So musste das individuelle Üben der Musiker ein einem einzigen Raum stattfinden, so dass zwischen einem übenden Fagottisten, Trompeter oder Klarinettisten als räumliche Trennung nur ein Schrank oder eines der damals üblichen dreistöckigen Etagenbetten stand.
Außerdem gab es so gut wie keine Dienstinstrumente. Auch das Notenmaterial musste vielfach privat beschafft werden. Oft genug waren die ergatterten Ausgaben unvollständig. So stand das Notenschreiben, das Kopieren und Ergänzen von Stimmen an der Tagesordnung. Für den damaligen Dirigenten des Musikzuges der Bayerischen Bereitschaftspolizei, Fritz Übelacker, bedeutete das, seine Konzertprogramme oftmals nicht nach seinen Vorstellungen gestalten zu können, sondern sich von dem leiten zu lassen, was an Notenmaterial vorhanden oder verfügbar war. Trotz dieser widrigen Umstände wagte man sich schon am 17. Dezember 1951 erstmals in die Öffentlichkeit.
Donnerstag, 6. Januar 2022, auf BR-KLASSIK: "Vom Musikzug der Bayerischen Bereitschaftspolizei zum sinfonischen Vorzeigeorchester" - Stephan Ametsbichler im Gespräch mit der Trompeterin Gloria Aurbacher und dem Dirigenten Johann Mösenbichler.
Über die Jahre entwickelte sich aus dem Musikzug von einst ein immer wieder den Erfordernissen der Zeit angepasstes Konzertorchester. Denn was sich in der Polizei insgesamt als Abbild der Gesellschaft widerspiegelte, sollte sich auch im Repertoire eines Polizeiorchesters und nicht zuletzt auch den Auftrittsorten niederschlagen. Spielte der Musikzug in den ersten beiden Jahrzehnten unter seinen Dirigenten Fritz Überlacker (1951–1964) und Josef Böhm (1965–1969) vor allem Standkonzerte im Freien oder bei Eröffnungsfeiern öffentlicher Bauwerke und Infrastruktureinrichtungen, verlegte sich das Wirkungsfeld in der Folgezeit mehr und mehr in den Konzertsaal.
Willi Koenen (1970–1987) verkörperte als musikalischer Chef das Lebensgefühl der 70er Jahre. Und da waren neben klassischen Bearbeitungen und gehobener Unterhaltung nun vermehrt auch Arrangements moderner Unterhaltungsmusik gefragt. Ende der 70er Jahre wurden nur noch Musiker mit abgeschlossenem Musikstudium aufgenommen, wodurch nun auch ein tatsächlich professionelles musikalisches Niveau erreicht werden konnte.
Nach Alfred Romeis (1987–1994) war es Markus Theinert (1997–2006) in den 90er Jahren, der der sinfonischen Blasmusikliteratur im engeren Sinne, vor allem mit Originalwerken, auch breiteren Raum einräumte. Nicht zuletzt deshalb und aufgrund seines erweiterten Wirkungskreises war das Orchester 1990 in Musikkorps des Bayerischen Polizei umbenannt worden.
2011: Das Polizeiorchester Bayern | Bildquelle: Bayerische Bereitschaftspolizei Seit 2006 entwickelt Johann Mösenbichler die Aufbauarbeit seiner Vorgänger weiter. Auch mit der Umbennung in Polizeiorchester Bayern zum 1. Ma 2010 hat er dem Ensemble ein zeitgemäßes Profil gegeben. Unter seiner Leitung wurden aus anfänglich 14 Konzerten pro Jahr heute 53, die Konzertauslastung stieg währenddessen von etwa 30% auf annähernd 90%. Mösenbichler legt Wert auf eine Mischung aus hohem musikalischen Anspruch und traditionell gepflegter Bürgernähe. Die grundsätzlich als Benefizkonzerte angelegten Engagements bringen jährlich bis zu 300.000 Euro für wohltätige und gemeinnützige Zwecke ein.
Für Johann Mösenbichler ist es als Generalmusikdirektor der Bayerischen Polizei aber auch wichtig, die Diversität unserer heutigen Gesellschaft abzubilden. Schulkonzerte mit pädagogischen Ambitionen gehören für ihn damit genauso selbstverständlich zum Aufgabengebiet seines Orchesters wie die Uraufführung von Werken wegweisender zeitgenössischer Komponisten. Sonderprojekte mit Chören und Solisten zeugen vom Mut und vom Willen, das Publikum auch mit schwierigen Themen zu konfrontieren. Dazu gehören die spektakuläre Aufführung der "Mass for Peace" von Karl Jenkins in einer Blasorchesterfassung oder die Konzerte zum Gedenken an Terroranschläge und Attentate. Die von Mösenbichler initiierten Neujahrskonzerte sprechen im Gegenzug ein Publikum an, dias einfach nur gerne gute Musik hören und "sich von gehobener Unterhaltung auf höchstem Niveau verzaubern lassen will", so Mösenbichler.
Und so bleibt dem Polizeiorchester Bayern heute, abgesehen von der überschaubaren Anzahl protokollarischer Aufgaben, ein vergleichsweise großer künstlerischer Gestaltungsspielraum. In den letzten 15 Jahren nutzte Johann Mösenbichler diesen ganz geschickt, um das Polizeiorchester immer wieder ins Rampenlicht und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Daraus ist unter allen deutschen Polizeiorchestern ein sinfonischer Klangkörper mit Vorzeigecharakter entstanden.
Sendung: 70 Jahre Polizeiorchester Bayern, 6. Januar 2022, 14.05-15.00 Uhr