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Ärger über Kultur-Lockdown wächst Sie sind wütend

Die Corona-Pandemie hat die Kultur weiter fest im Würgegriff: Seit November dürfen keine Veranstaltungen mit Publikum mehr stattfinden. Vielen Künstlerinnen und Künstlern brechen dadurch sämtliche Einnahmen weg. Die Geigerin Anne-Sophie Mutter spricht von Berufsverbot, andere wollen sogar klagen. Ein Stimmungsbild.

Bildquelle: © Monika Höfler

"Man ist teilweise sehr wütend, dass Fußballer mit ihren Millionengehältern weiterarbeiten dürfen", sagt Sängerin Anna Prohaska. Im Interview mit BR-KLASSIK erscheint sie aufgewühlt, aber auch kämpferisch angesichts der angespannten Situation im Kulturbereich. "Es wird weiter Geld in Industrien mit fossilen Brennstoffen investiert, in die Luftfahrt und in die Autoindustrie. Die Sektoren, die besonders schützenswert sind, wie die Gastronomie oder die Künste, die werden unter den Bus geworfen." Damit bringt die Sängerin auf den Punkt, was vielen Kulturschaffenden gerade durch den Kopf geht. Zwar gibt es Hilfsprogramme wie "Neustart Kultur", doch angesichts monatelanger Veranstaltungsverbote sind sie oft nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn Anna Prohaska dann Studienergebnisse sieht, wonach das Infektionsrisiko durch Veranstaltungen eher gering ist, mache sie das noch wütender, so die Sängerin. "Man wird von der Regierung in Geiselhaft dafür genommen, wie sich die Menschen privat vor und nach Veranstaltungen verhalten. Das ist extrem unfair und eigentlich auch undemokratisch."

Ich empfinde eine Mischung aus Ohnmacht und Wut.
Sängerin Anna Prohaska

Kultur: der wirtschaftliche Pandemie-Verlierer

Seit November sind die Ränge in Theatern und Konzerthäusern leer. | Bildquelle: BR/ dpa-Bildfunk Wie verheerend der Lockdown für die Kultur ist, untermauerte zuletzt eine Studie aus Frankreich, der zufolge die Gewinne aus Kultureinnahmen im vergangenen Jahr europaweit um 31 Prozent eingebrochen sind. Damit fallen die Verluste im Verhältnis größer aus als in der Tourismusbranche. Im Bereich Bühnenkunst mussten Kulturschaffende sogar Einbußen um neunzig Prozent hinnehmen, im Bereich Musik waren es 76 Prozent.

Kultur als Risikoraum für Superspreader

Die Geigerin Anne-Sophie Mutter, die sich im vergangenen Jahr mit dem Coronavirus infizierte, krisisiert ebenfalls regelmäßig den strengen Umgang der Politik mit der Kulturbranche. Ihrer Meinung nach stellt die Politik den kulturellen Raum als "Superspreader-Raum" dar. Dass Musikerinnen und Musiker ein Berufsverbot auferlegt bekommen hätten, habe nichts mit einer positiven Entschleunigung zu tun, sagte Mutter jüngst in einem Interview mit der Badischen Zeitung. "Für die rund 50.000 Soloselbständigen in der Branche sind die Zeiten ruinös, zumal die sogenannten Novemberhilfen bis Ende Januar noch nicht geflossen sind." Die prominente Geigerin erwartet zumindest, dass bei den ersten Lockerungen auch die Konzerthäuser wieder öffnen dürfen.

Einfluss auf politische Entscheidungen zu gering

Kulturstaatsministerin Monika Grütters | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Jens Kalaene Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters fordert im Interview mit BR-KLASSIK, dass die Kultur bei ersten Lockerungen berücksichtigt werden muss. "Ich finde, die Museen müssen die Ersten sein, die wieder öffnen können. Denn dort kann man sich so gut wie nicht anstecken." Monika Grütters hat ihr Büro im achten Stock des Kanzleramts und sitzt mit ihrem Ressort ganz nah an den wichtigen Entscheidungsträgern. "Das sagt auch symbolisch was aus über die Stellung der Kultur und ihre Bedeutung." Angesichts der Ankündigungen verschiedener Theater und Opernhäuser, frühestens nach Ostern wieder zu öffnen, scheint der Einfluss der Kulturstaatsministerin jedoch gering.

Angela Merkel hilft mir sehr, unsere Forderungen durchzusetzen.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Künstler erwägen rechtliche Schritte gegen Lockdown

Dirigent Thomas Hengelbrock | Bildquelle: F. Grandidier "Wo sind denn die öffentlichen Institutionen, die Intendanten und die Chefs, die vorangehen und sagen: 'Liebe Leute, wir machen es anders. Wir haben tolle Konzepte, es muss weitergehen'", fragt sich Thomas Hengelbrock im BR-KLASSIK-Interview. Der Dirigent hatte sich bereits im April letzten Jahres in einem offenen Brief gegen den Lockdown ausgesprochen. Und da ist er nicht der Einzige: Mindestens 25 Bühnenkünstlerinnen und –künstler, darunter der Bariton Christian Gerhaher, hatten im Dezember angekündigt, gerichtlich gegen die pauschale Schließung von Konzert- und Opernhäusern zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorzugehen. Eine mögliche Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München wurde aufgrund des hohen Infektionsgeschehens zwar wieder zurückgezogen, doch angesichts des momentan stetig sinkenden Inzidenzwerts, ist das wieder Thema. Die Münchner Initiative "Aufstehen für die Kunst", bei der neben Christian Gerhaher auch Sängerin Diana Damrau und Oboist Albrecht Mayer aktiv sind, könnte rechtlich gegen den Kultur-Lockdown vorgehen. Denn dieser sei – so deren Argumentation – verfassungswidrig, systemgefährdend und widerspreche wissenschaftlicher Realität. Immerhin definiert sich der Freistaat Bayern gemäß des dritten Artikels der eigenen Verfassung als Kulturstaat.

Diese Politik ist nicht länger hinnehmbar.
Dirigent Thomas Hengelbrock

Hilfsprogramme gehen an Lebensrealität der Kulturschaffenden vorbei

Der Tenor Julian Prégardien kritisiert im Interview mit BR-KLASSIK, dass Künstler in der Pandemie auf sich allein gestellt seien. "Der Staat hat sich leider als nicht fähig erwiesen, selbständigen Künstlern genügend zu helfen." Die Unterstützung der Kulturschaffenden sei "ein Witz". Prégardien hat das Gefühl, die deutsche Kulturpolitik wisse nicht um die Lebensrealität selbständiger Künstler und Musiker. Bei der Beantragung und Auszahlung der finanziellen Hilfen seien andere europäische Länder viel schneller und unbürokratischer, vergleicht der Tenor: "In Belgien zum Beispiel ging das im März gleich los mit Sofortzahlungen von, ich glaube, 1.200 Euro. Und ab Oktober waren es Sofortzahlungen von 2.500 Euro, die jeder als selbständig Registrierter vom Staat bekommen hat."

Existenzsorgen bei bayerischen Musikerinnen und Musikern

"Die finanzielle Lage vieler Musikerinnen und Musiker ist äußerst schwierig und prekär", sagt Andrea Fink, Geschäftsführerin des Tonkünstlerverbands Bayern. Der Verband vertritt etwa 3000 Mitglieder, von denen circa siebzig Prozent Musikpädagoginnen und –pädagogen sind. Diese haben zwar oft die Möglichkeit, online zu unterrichten, doch sind sie oft auf zusätzliche Live-Auftritte angewiesen, um von den Einkünften leben zu können. Wenn man von den wenigen Stream-Angeboten der Rundfunkorchester absieht, sind die Kirchen die einzigen Orte, an denen derzeit noch gespielt werden darf. "Viele Musiker kommen nur über die Runden, indem sie auf ihre Altersvorsorge zurückgreifen", sagt Fink. Dies sei umso gravierender, als sich die prekäre Lage der Künstler auch nach Corona nicht gleich verbessern dürfte. "Die Veranstalter werden nach der Pandemie sparen", meint Fink. Öffentliche Fördergelder für Musikprojekte könnten wegfallen und Honorare schrumpfen.

Die finanzielle Lage vieler Musikerinnen und Musiker ist prekär.
Andrea Fink vom Tonkünstlerverband Bayern

Existenzsorgen um die Theater- und Orchesterlandschaft

Sopranistin Anna Prohaska | Bildquelle: picture-alliance/dpa Auch Sängerin Anna Prohaska hat diese Befürchtung: "Wir wissen alle, dass nach dieser Zeit sehr große Kürzungen auf uns zukommen werden", sagt sie. Für sie selbst und ihre Karriere seien es gerade eigentlich die "goldenen Jahre", die sie aber nicht nutzen kann. Ihr Blick zielt jedoch vor allem auf das große Ganze: "Betroffen ist am Ende dieses unglaubliche Ökosystem aus Theatern und Orchestern, das ja sogar zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO gehört. Das ist etwas, was wir verteidigen und schützen sollten."

Sendung: "Leporello" am 29. Januar ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK