Die Corona-Pandemie hat die Kultur weiter fest im Würgegriff: Seit November dürfen keine Veranstaltungen mit Publikum mehr stattfinden. Vielen Künstlerinnen und Künstlern brechen dadurch sämtliche Einnahmen weg. Die Geigerin Anne-Sophie Mutter spricht von Berufsverbot, andere wollen sogar klagen. Ein Stimmungsbild.
"Man ist teilweise sehr wütend, dass Fußballer mit ihren Millionengehältern weiterarbeiten dürfen", sagt Sängerin Anna Prohaska. Im Interview mit BR-KLASSIK erscheint sie aufgewühlt, aber auch kämpferisch angesichts der angespannten Situation im Kulturbereich. "Es wird weiter Geld in Industrien mit fossilen Brennstoffen investiert, in die Luftfahrt und in die Autoindustrie. Die Sektoren, die besonders schützenswert sind, wie die Gastronomie oder die Künste, die werden unter den Bus geworfen." Damit bringt die Sängerin auf den Punkt, was vielen Kulturschaffenden gerade durch den Kopf geht. Zwar gibt es Hilfsprogramme wie "Neustart Kultur", doch angesichts monatelanger Veranstaltungsverbote sind sie oft nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn Anna Prohaska dann Studienergebnisse sieht, wonach das Infektionsrisiko durch Veranstaltungen eher gering ist, mache sie das noch wütender, so die Sängerin. "Man wird von der Regierung in Geiselhaft dafür genommen, wie sich die Menschen privat vor und nach Veranstaltungen verhalten. Das ist extrem unfair und eigentlich auch undemokratisch."
Ich empfinde eine Mischung aus Ohnmacht und Wut.
Die Geigerin Anne-Sophie Mutter, die sich im vergangenen Jahr mit dem Coronavirus infizierte, krisisiert ebenfalls regelmäßig den strengen Umgang der Politik mit der Kulturbranche. Ihrer Meinung nach stellt die Politik den kulturellen Raum als "Superspreader-Raum" dar. Dass Musikerinnen und Musiker ein Berufsverbot auferlegt bekommen hätten, habe nichts mit einer positiven Entschleunigung zu tun, sagte Mutter jüngst in einem Interview mit der Badischen Zeitung. "Für die rund 50.000 Soloselbständigen in der Branche sind die Zeiten ruinös, zumal die sogenannten Novemberhilfen bis Ende Januar noch nicht geflossen sind." Die prominente Geigerin erwartet zumindest, dass bei den ersten Lockerungen auch die Konzerthäuser wieder öffnen dürfen.
Angela Merkel hilft mir sehr, unsere Forderungen durchzusetzen.
Diese Politik ist nicht länger hinnehmbar.
Der Tenor Julian Prégardien kritisiert im Interview mit BR-KLASSIK, dass Künstler in der Pandemie auf sich allein gestellt seien. "Der Staat hat sich leider als nicht fähig erwiesen, selbständigen Künstlern genügend zu helfen." Die Unterstützung der Kulturschaffenden sei "ein Witz". Prégardien hat das Gefühl, die deutsche Kulturpolitik wisse nicht um die Lebensrealität selbständiger Künstler und Musiker. Bei der Beantragung und Auszahlung der finanziellen Hilfen seien andere europäische Länder viel schneller und unbürokratischer, vergleicht der Tenor: "In Belgien zum Beispiel ging das im März gleich los mit Sofortzahlungen von, ich glaube, 1.200 Euro. Und ab Oktober waren es Sofortzahlungen von 2.500 Euro, die jeder als selbständig Registrierter vom Staat bekommen hat."
"Die finanzielle Lage vieler Musikerinnen und Musiker ist äußerst schwierig und prekär", sagt Andrea Fink, Geschäftsführerin des Tonkünstlerverbands Bayern. Der Verband vertritt etwa 3000 Mitglieder, von denen circa siebzig Prozent Musikpädagoginnen und –pädagogen sind. Diese haben zwar oft die Möglichkeit, online zu unterrichten, doch sind sie oft auf zusätzliche Live-Auftritte angewiesen, um von den Einkünften leben zu können. Wenn man von den wenigen Stream-Angeboten der Rundfunkorchester absieht, sind die Kirchen die einzigen Orte, an denen derzeit noch gespielt werden darf. "Viele Musiker kommen nur über die Runden, indem sie auf ihre Altersvorsorge zurückgreifen", sagt Fink. Dies sei umso gravierender, als sich die prekäre Lage der Künstler auch nach Corona nicht gleich verbessern dürfte. "Die Veranstalter werden nach der Pandemie sparen", meint Fink. Öffentliche Fördergelder für Musikprojekte könnten wegfallen und Honorare schrumpfen.
Die finanzielle Lage vieler Musikerinnen und Musiker ist prekär.
Sendung: "Leporello" am 29. Januar ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK