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ARD-Musikwettbewerb 2016 - Rückblick Harfe 1245 Minuten Nervenkitzel

Zehn Tage Wettbewerb sind vorbei, drei Preisträgerinnen im Fach Harfe gefunden. Virtuosität und Nervenstärke, Musikalität und technische Perfektion, romantischer Klangreichtum und kristallklare Töne: BR-KLASSIK-Reporterin Kathrin Hasselbeck blickt zurück auf vier spannende Spielrunden - Siegen und Scheitern inklusive.

Bildquelle: © Daniel Delang

ARD-Musikwettbewerb 2016

Finale Harfe - Video

Ich hab mal nachgerechnet: Etwa 1245 Minuten habe ich in Harfenvorspielen gesessen - das sind über 20 Stunden. An dieser Stelle kann ich definitiv sagen: Ich liebe meinen Job! Andererseits … Manchmal war das schon auch anstrengend, eintönig. Vor allem, wenn immer wieder die gleichen Stücke kamen; das ist zwar gut zum Vergleichen, aber eben doch schlecht für die Abwechslung. Oder wenn ich nach den ersten fünf Minuten bei einer neuen Kandidatin ahnte: Das wird nichts - und dann aber noch weitere 30 bis 40 Minuten vor mir lagen.

Wettbewerb verdirbt den Charakter

Moment. Habe ich das wirklich gedacht? Leider ja. Ich bin normalerweise kein Fan von Bewertungen - schon gar nicht in der Musik. In einem Konzert käme ich nie auf die Idee, einen Künstler mit dem anderen zu vergleichen, gar darüber nachzudenken, wen ich aussortieren würde. Daher bin ich froh, als mir Jurymitglied Stephen Fitzpatrick eben das im Interview bestätigt: "Wie kann man diese ganzen musikalischen Informationen anhören - und dann ein Ja oder Nein daraus machen? Das ist nicht menschlich. Ein Wettbewerb ist keine Wissenschaft, und Musik und Wettbewerb gehören eigentlich auch nicht zusammen." Aber wir lassen uns ja auch gerne auf das Spiel ein, es bringt Spannung - für uns als Publikum genauso wie für die Teilnehmer.

Es ist ein Spiel

Fast alle Harfenistinnen, mit denen ich spreche, landen irgendwann beim olympischen Gedanken und sagen etwas im Sinne von "Dabeisein ist alles". Viele erwähnen die Motivation, ein so umfangreiches und anspruchsvolles Repertoire zu erproben, ein Jahr lang auf ein Ziel hinzuarbeiten. Und ich habe den Eindruck, dass es den drei Finalistinnen mehr darum ging, einmal mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielen zu dürfen, als den Wettbewerb zu gewinnen.

Egal, wie man zum Bewerten, zu den Spielregeln steht - es macht etwas mit den Kandidaten. Zwei von ihnen, die beiden Französinnen Anaëlle Tourret und Maud Edenwald, scheitern an ihrer Nervosität. Beide spielen fantastisch, ich hätte sie gerne noch in weiteren Runden erlebt. Doch zu viele falsche Töne schleichen sich in das Vorspiel der einen, und ein Pedalfehler bringt die andere so sehr aus dem Konzept, dass bei beiden schon in der Vorrunde Schluss ist.

Auffallend gut

Natürlich gab es auch die Hinhör-Momente. Direkt in der ersten Runde ist sie mir aufgefallen: Agnés Clèment. Das mag am Kurzhaarschnitt liegen, der sie von den meisten unterscheidet, oder auch an ihrem konzentrierten, professionellen und nie fahrig oder nervös wirkenden Auftreten. In den ersten beiden Runden spielt sie stark, souverän, musikalisch. Im Semifinale überstrahlt sie alle. Und das, obwohl sie Los-Pech hatte und als letzte auftrat. Das Publikum hatte Debussys "Danse sacrée et danse profane" bereits fünf Mal gehört. Aber nicht so!

Agnés Clèment sucht den Kontakt zu den Musikern des Münchener Kammerorchesters, zwinkert dem Cellisten bei einer gemeinsamen Phrase zu, musiziert mit Lust an der Gemeinschaft. Dafür kommt sie ins Finale, und dafür erhält sie schlussendlich den ersten Preis und den Publikumspreis. Völlig verdient, auch ich habe für sie gestimmt. Die Jury-Vorsitzende Maria Graf schwärmt nach der Preisverleihung: "Ich denke, alle, die heute das Konzert gehört haben, haben gemerkt, wie sie musiziert. Sie fühlt die Linie von einem Holzbläser, und sie begleitet ihn in dem Moment, dann übernimmt sie die Linie und führt sie wieder fort. Das hebt sie heraus."

Die Gewinnerin: kein "überfördertes" Wunderkind

ARD-Musikwettbewerb 2016 Finale Harfe | Bildquelle: © Daniel Delang Die Gewinnerin des ARD-Musikwettbewerbs im Fach Harfe Agnés Clèment bei der Preisverleihung | Bildquelle: © Daniel Delang

Ebenfalls verdient ins Finale geschafft haben es Anaïs Gaudemard (2. Platz) und Rino Kageyama (3. Platz). Sehr unterschiedliche Typen: Die Französin, die sich mit großem Klangreichtum voller romantischer Seele in die Musik schmeißt und die Japanerin mit feinem, kristallklaren, fast schon verzauberten Spiel. Interessant, wie jeweils das Symphonieorchester ebenfalls anders klingt. Und am besonders lebendigen Orchesterklang merkt man dann auch nochmal die Qualität von Agnés Clèment: das gemeinsame Musizieren.

Nur durch Zufall erfahre ich, wo das herkommt: Ihre Mutter sitzt im Konzert neben mir und erzählt mir, dass sie neben Agnés noch vier Töchter und einen Sohn hat. Alle Kinder musizieren, fünf von ihnen leben davon, und auch der Vater ist Profi-Musiker. Agnés Clèment ist also kein "überfördertes" Wunderkind, sondern inmitten von Musik aufgewachsen. Sie erzählt mir: "Ich konnte noch nicht einmal wirklich Harfe spielen, nur drei Noten zupfen, als ich schon mit meiner Familie musizierte. Wir haben immer Kammermusik gemacht."

Na, wenn das mal nicht die beste Vorbereitung auf einen Wettbewerb ist: Statt im abgeschotteten Zimmer zu üben, ging sie noch diesen Sommer mit ihrem Familienensemble auf Kammermusik-Tournee. Obwohl sie schon andere Wettbewerbe gewonnen hat, vermittelt Agnés Clèment mir das Gefühl, dass es ihr ums gemeinsame Spiel geht und nicht darum, die Beste zu sein. Und bei ihrem nächsten Auftritt werde dann auch ich nicht mehr überlegen, ob sie nun besser oder schlechter war als andere. Deshalb freue ich mich besonders auf ihr Preisträgerkonzert, in dem ich entspannt ihrer Musizier-Lust zuhören werde.

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