Ist der Kultur-Lockdown verfassungswidrig? Eine Gruppe international renommierter Bühnenkünstlerinnen und -künstler um den Bariton Christian Gerhaher will diese Frage vom Bayerischen Verfassungsgericht klären lassen. Dazu will die Initiative "Aufstehen für die Kunst" Mitte dieser Woche eine Popularklage einreichen.
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Einen Teilerfolg verbucht die Initiative "Aufstehen für die Kunst" schon für sich: In der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten am 3. März wurde beschlossen, die Theater, Opern- und Konzerthäuser ab dem 22. März wieder für das Publikum zu öffnen. Diese Entscheidung sei auch "durch den juristischen, medialen und politischen Druck" ihrer Initiative zustande gekommen, sind sich die Initiatoren sicher. Dazu gehören unter anderem der Bariton Christian Gerhaher, der Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke und der Dirigent Hansjörg Albrecht.
"Die geplanten allgemeinen Öffnungsschritte zeigen zwar Perspektiven für die Theater auf, sind aus unserer Sicht aber immer noch verfassungswidrig, weil sie inzidenzabhängig sind und mit zahlreichen Auflagen versehen sind, die anderen Bereichen so nicht zugemutet werden", sagte Ablinger-Sperrhacke. Die Religion habe das nicht in diesem Maße aushalten müssen, so der Tenor. "Und wir sind vom Grundgesetz her auf dem gleichen Niveau."
Das bayerische Kabinett hat am 4. März beschlossen, dass ab dem 22. März Theater, Konzert- und Opernhäuser wieder öffnen können, wenn die 7-Tage-Inzidenz seit mindestens 14 Tagen unter 100 liegt und die Entwicklung stabil oder rückläufig ist. Bayerns Kunstminister Bernd Sibler (CSU) kündigte wenig später an, bei der Öffnung "weg von starren Zuschauerzahlen" gehen zu wollen. Stattdessen sollten die örtlichen Gegebenheiten entscheidend sein.
Friseursalons sind offen, Theater noch bis zum 22.3. geschlossen. Eine "verfassungsrechtliche Schieflage der Kunstfreiheit", so die Initiative. | Bildquelle: picture alliance / VIE7143 | Leopold Nekula Dazu konnten beispielsweise körpernahe Dienstleistungen wie Friseure und Fußpflege schon am 1. März öffnen, ohne an Inzidenzwerte gebunden zu sein und erneute Schließungen befürchten zu müssen. "Diese Ungleichbehandlung und sogar Bevorzugung verfassungsrechtlich nicht auf der gleichen Ebene geschützter Bereiche kommt zu der ohnehin seit November durchgehend und nur mit marginalen Einschränkungen weiteroperierenden Industrie hinzu", so die Initiative "Aufstehen für die Kunst" auf ihrer Webseite.
Die Initiative "Aufstehen für die Kunst" verweist auf Studienergebnisse, die das Infektionsrisiko in Theatern und Konzerthäusern bei angemessenen Hygienekonzepten für geringer halten als im Einzelhandel, in Schulen oder gar in Großraumbüros. Daher wird die Initiative nun in der Woche vom 15. März eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgericht einbringen, "um eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Klärung der Kunstfreiheit anzustoßen". Im Gespräch mit BR-KLASSIK erklärte Christian Gerhaher: "Die Kunst darf sich nicht rechtfertigen müssen."
Die Kunstfreiheit ist ein Grundrecht, das dem Schutz künstlerischer Ausdrucksformen dient. In Deutschland ist es in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes verankert: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung." Schon im Dezember und im Februar hatte die Initiative vor, mit einem Eilantrag vor Gericht zu ziehen, ihre Pläne dann aber verschoben. Sollten die Öffnungsperspektiven im Kulturbereich doch nicht Realität werden, oder gar erneute Schließungen vorgenommen werden, behält sich die Initiative "Aufstehen für die Kunst" vor, den Eilantrag jederzeit und umgehend einzubringen.
Sendung: "Allegro" am 12. März 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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