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Die Sängerin und Dirigentin Barbara Hanningan Eine Musikerin mit Prinzipien

Als Dirigentin und Solistin war die Sopranistin Barbara Hanningan am 14. und 15. Januar zu Gast bei den Münchner Philharmonikern. Über diese spannende Doppelrolle, aber auch über die derzeit aktuelle "Me Too"-Diskussion spricht sie im BR-KLASSIK-Interview.

Die kanadische Sopranistin Barbara Hannigan | Bildquelle: Elmer de Haas

Bildquelle: Elmer de Haas

BR-KLASSIK: Ihre Programme sind immer sehr originell, jetzt verbinden Sie ein Solo-Werk für Flöte von Claude Debussy, ein Werk für Sopran und Orchester von Jean Sibelius, eine Haydn-Symphonie, Schönbergs "Verklärte Nacht" und George Gershwin: "Girl crazy". Total unterschiedliche Musik, in einem relativ engen Zeitraum entstanden. Ich habe lange überlegt, was könnte das Verbindende sein und bin auf eine provisorische Lösung gestoßen: Es geht um Frauenbilder, um Bilder von der Verbindung zwischen Mann und Frau. War das auch Ihre Idee?

Barbara Hannigan: Ich glaube, es ist die Idee vom Erschaffen, und in der ersten Hälfte die Idee der Sehnsucht - das kommt stark durch. Der Abend beginnt mit diesem sehr intensiven Ton von einer einzigen Flöte. Ein Instrument, eine Stimme - Debussys "Syrinx". Ich möchte das so umsetzen: Es soll dunkel sein, das Orchester sitzt bereits auf der Bühne, der Flötist spielt von irgendwo im Saal.

BR-KLASSIK: Nicht auf der Bühne?

Sopranistin und Dirigentin Barbara Hannigan | Bildquelle: © Musacchio Ianniello Accademia Nazionale di Santa Cecilia Steht auch am Pult: die Sopranistin Barbara Hannigan | Bildquelle: © Musacchio Ianniello Accademia Nazionale di Santa Cecilia Barbara Hannigan: Nein, nicht auf der Bühne, irgendwo anders, vielleicht sogar im Dunkeln, wenn er das Stück auswendig spielt. Das soll uns fokussieren, als Gruppe zusammenführen. Der gesamte Saal soll sich fragen: "Okay, was werden wir heute Abend hier bezeugen?" Und wenn "Syrinx" dann vorbei ist, erscheine ich auf dem Podium - ohne Applaus, ohne Pause zwischen den beiden Werken, als ob es ein Stück wäre. Dann spielen wir "Luonnotar" von Jean Sibelius, ein Stück über Schöpfung, aber, wie ich finde, auch über Großzügigkeit. Luonnotar ist ein Geist des Meeres - und sie fühlt sich sehr einsam. Sie fleht ihren Gott Ukko um Hilfe an. Und was macht Ukko? Er sendet ihr eine Ente, die nach einem Ort sucht, an dem sie ein Nest bauen und ihre Eier legen kann. Luonnotar, die zu diesem Zeitpunkt 700 Jahre lang im Meer herumgeschwommen ist, hebt ihr Knie aus dem Wasser heraus, damit die Ente ihr Nest auf ihrem Knie bauen kann. Ein Akt der Großzügigkeit. Die Ente legt dann ihre Eier, aber Luonnotar kann ihr Knie nicht ruhig halten, sodass die Eier herunterfallen und zerbrechen. Aber in dem Moment, als Schale, Dotter und Eiweiß aufprallen, fliegen sie in die Luft und erschaffen den Himmel - Sonne, Mond und Sterne. Ein wunderschöner, magischer Ausgang, den niemand erwarten würde. Wir starten mit einer Solo-Flöte, und 15 Minuten später erreichen wir den Himmel.

Wir sehen Frauen traditionell nicht so oft als Schöpferinnen großer Kunst, sondern eher als Musen oder Interpretinnen. Aber ich denke, wir brauchen einander.
Barbara Hannigan

BR-KLASSIK: Es geht also um Schöpfung, aber Schöpfung aus der weiblichen Kraft des Gebärens. In der Musikgeschichte ist schöpferisches Tun immer traditionell männlich konnotiert, die Frauen waren ausgeschlossen, sie waren als kompositorische Schöpfer nicht vorgesehen.

Barbara Hannigan: Das stimmt, wir sehen Frauen traditionell nicht so oft als Schöpferinnen großer Kunst, sondern eher als Musen oder vielleicht als Interpretinnen. Aber ich denke, wir brauchen einander, das wird in diesen ersten beiden Stücken klar. Und dann kommt die Haydn-Symphonie in D-Dur, der Tonart, die zur Zeit der Entstehung mit Sieg in Verbindung gebracht wurde, mit Triumph. Aber der zweite Satz steht in g-Moll, und das, wie damals jeder wusste, ist die Tonart der reinen Liebe, der Hoffnung und der Unschuld. Und in diesem Satz geht Haydn durch all die Tonarten, die für verschiedene Leidenschaften stehen. Diese Symphonie Nr. 96 macht so viel Spaß! Und ich denke dabei über Beziehungen nach.

BR-KLASSIK: Genauso wie in "Verklärte Nacht" von Schönberg, wo es ja darum geht, dass eine Frau ein Kind von einem anderen Mann empfangen hat, mit dem sie nicht verheiratet war, den sie noch nicht mal liebte. Das war damals skandalös! Und der neue Mann sagt: Ich liebe dich und ich will das Kind wie mein eigenes aufziehen, und dann kommen sie zusammen.

Barbara Hannigan: Für mich geht es in "Verklärte Nacht" um ein Geschenk, das sich zwei Menschen machen. Es ist als würden sie einander durch die Liebe und das Risiko neu erschaffen - "Verklärung" eben. In der ersten Hälfte des Stücks spricht sie, sie geht das Risiko ein, ihm zu vertrauen, das ist musikalisch sehr komplex, Schönberg drückt ihren Schmerz darin aus. Und dann, plötzlich, als der Mann zu antworten beginnt, entspannt sich das Stück harmonisch. Beide rücken zusammen: Sie geben sich einander hin, und zusammen sind sie ineinander neu geboren. Und dazu gibt es noch das Kind.

Vielleicht ist 'Girl crazy' von Gershwin das erste, das dafür geschrieben wurde, gleichzeitig zu singen und zu dirigieren.
Barbara Hannigan

BR-KLASSIK: Dann, am Schluss, "Girl crazy": noch ein anderes Bild von Weiblichkeit, vielleicht ein etwas oberflächliches. Sie werden auch wieder singen und dirigieren gleichzeitig - wie schon bei "Luannotar" von Sibelius.

Barbara Hannigan: Ja, vielleicht ist dieses Stück von Gershwin das erste, das dafür geschrieben wurde, gleichzeitig zu singen und zu dirigieren. Ich habe den Broadway-Komponisten Bill Elliott gebeten, diese Suite speziell für mich zu arrangieren. Schönberg und Gershwin werden also in der zweiten Konzerthälfte zusammengebracht. Die haben übrigens in L. A. zusammen Tennis gespielt! Die Kombination der beiden Stücke funktioniert sowohl musikalisch als auch dramaturgisch. Dramaturgisch geht es in der "Girl crazy"-Suite um Liebe, Sehnsucht, Verlust, Verlangen, Leidenschaft - und Freude. Aber auch die dunkle Seite Gershwins kommt raus. Es ist das erste Mal, dass ich "Verklärte Nacht" und die Gershwin-Suite kombiniere, ich bin gespannt, wie das beim Publikum ankommen wird, und gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es zusammenpasst.

Allein schon auf das Wort Maestro reagiere ich allergisch.
Barbara Hannigan

Me too - auch in der Klassikwelt

BR-KLASSIK: Die klassische Musikwelt diskutiert über "Me too" - wie in allen anderen Bereichen auch. Es geht um Machtmissbrauch, und es geht um Personen, die unantastbar scheinen. Was müssen wir daraus lernen? Vielleicht müssen wir uns ein anderes Bild von dieser Machtfunktion machen, die ein Dirigent zum Beispiel innehat?

Barbara Hannigan | Bildquelle: Marco Borggreve Barbara Hannigan | Bildquelle: Marco Borggreve Barbara Hannigan: Allein schon auf das Wort Maestro reagiere ich allergisch. Denn durch diese Bezeichnung stellt man den Dirigenten über alle anderen. Und das macht dann eine Begegnung und Unterhaltung auf Augenhöhe fast schon unmöglich. Es gibt den Dirigenten und es gibt die Musiker - alle haben sie ihre Aufgaben und sollten miteinander arbeiten. Aber sobald wir den Dirigenten Maestro nennen, heben wir diese Person in eine höhere Position. Vor Kurzem habe ich eine Diskussion verfolgt, wo Musiker meinten, niemand solle nach einer Probe allein ins Dirigentenzimmer gehen oder sich alleine mit dem Maestro unterhalten, denn dafür gäbe es keinerlei Grund. Ich für meinen Teil sehe das komplett anders: Wenn ich dirigiere und wir nach sechs Stunden intensiver Arbeit alle erledigt sind - wo bitte soll da das Problem liegen, hinterher noch für 15 oder 20 Minuten mit dem Soloflötisten, Schlagzeuger oder irgendeinem anderen Musiker aus dem Orchester in aller Ruhe an bestimmten Stellen weiterzuarbeiten? Derzeit arbeite ich zufällig mit einer Assistentin zusammen. Natürlich kommt sie nach der Probe ins Dirigentenzimmer oder in mein Hotelzimmer, damit wir in aller Ruhe die Partitur durchgehen können. Und so mache ich das auch, wenn ich mit anderen Dirigenten unterwegs bin. Wo sollten wir uns sonst zusammensetzen? Ich kenne kein Restaurant, wo man ohne Lärm oder Hintergrundmusik konzentriert an einer Sache arbeiten könnte. Egal, ob zwei Frauen, zwei Männer oder eine Frau und ein Mann - ich sehe kein Problem darin. Wir sollten alle ganz einfach höchsten Respekt vor unserer Arbeit haben: dem Musizieren.

Die Dirigenten, mit denen ich arbeite, sehe ich als meine Kollegen. Nicht mehr und nicht weniger.
Barbara Hannigan

BR-KLASSIK: Wie könnte man diese "Maestro-Unantastbarkeit" abschaffen oder zumindest abmildern? Müsste dafür nicht unser Rollenbild des Dirigenten tiefgreifend umgewandelt werden?

Barbara Hannigan: Nicht wirklich - oder besser gesagt, ich sehe das gänzlich anders. Die Dirigenten, mit denen ich arbeite, sehe ich als meine Kollegen, nicht mehr und nicht weniger. Und das war auch nicht anders, als ich noch mit Lorin Maazel, Pierre Boulez oder jemand anderem aus der älteren Garde gearbeitet habe. Ich bevorzuge die Zusammenarbeit. Natürlich übernimmt mal der eine, mal der andere die Führungsrolle. Klar hat der Dirigent per se auch eine - sagen wir - administrative Position, aber gleichzeitig sollte diese Position auch Inspiration sein. Und das bedingt doch nicht automatisch seine Allmacht.

BR-KLASSIK: Glauben Sie, dass sich irgendetwas ändern wird, wenn es mehr Dirigentinnen gibt - wie Sie?

Barbara Hannigan: Nein, damit hat es meiner Meinung nach nicht zu tun. Und es gibt auch jede Menge männlicher Dirigenten, die sehr kollegial sind. Ich denke, es ist auch jetzt schon einiges in Bewegung hin zum Besseren; immer mehr Dirigenten begreifen sich als musikalische Partner. Aber es ist in der Tat verstörend festzustellen, was da über Jahre stattgefunden hat und auch unter den Teppich gekehrt wurde. Und da müssen sich auch die Orchestervorstände und -manager an die eigene Nase fassen und eingestehen, dass sie Bescheid wussten und Dinge vertuscht haben - um beispielsweise jemanden wie James Levine zu decken. Ich sehe es als deren Pflicht, denen zur Seite zu stehen, die den Mut aufbrachten, mit ihren negativen Erlebnissen und Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen.

Ich gebe meinen Schülern mit an die Hand, wie man sich bei sexueller Belästigung verhalten sollte.
Barbara Hannigan

BR-KLASSIK: Sie geben auch Meisterklassen, in denen Sie mit jungen Sängerinnen arbeiten. Geben Sie denen etwas mit, wie man mit solchen unangemessenen Situationen umgehen kann?

Barbara Hannigan: Ja, ich gebe meinen Schülern seit einigen Jahren auch mit an die Hand, wie man sich bei sexueller Belästigung verhalten sollte. Ich versuche, ihnen folgendes zu vermitteln - und das ist auch meine eigene Überzeugung: Wir als Sängerinnen und Sänger werden engagiert, weil wir Talent haben und weil wir nun einmal sehr gut singen und schauspielern können. Und sollte es dann wirklich vorkommen, dass der Dirigent auch etwas anderes im Schilde führt, schmälert das in keinster Weise unser Können. Ich will einfach, dass den jungen Musikern durch solche Vorkommnisse nicht ihr Selbstvertrauen genommen wird.

Konzert-Info

Sonntag, 14. Januar, und Monatg, 15. Januar 2018, jeweils 19:00 Uhr
Philharmonie im Münchner Gasteig

Claude Debussy: "Syrinx" für Flöte solo
Jean Sibelius: "Luonnotar" für Sopran und Orchester op. 70
Joseph Haydn: Symphonie Nr. 96 D-Dur Hob. I:96 "The Miracle"
Arnold Schönberg: "Verklärte Nacht" op. 4
George Gershwin: Suite aus "Girl Crazy"

Barbara Hannigan, Solistin und Dirigentin
Münchner Philharmoniker

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