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Buchtipp – "Schattenzeit" von Oliver Hilmes Gefördert. Gefeiert. Gehängt.

Schicksalsjahr 1943: Goebbels ruft den totalen Krieg aus, Fanatiker fantasieren vom "Endsieg". Gleichzeitig wird der aufstrebende Pianist Karlrobert Kreiten zum Tode verurteilt. Oliver Hilmes hat dem Musiker mit "Schattenzeit" ein literarisches Denkmal gesetzt.

Bildquelle: Siedler Verlag

Buchtipp

"Schattenzeit" von Oliver Hilmes

Karlrobert Kreiten gilt als Genie. 1943 ist der Pianist erst 26 Jahre alt, und doch wird sein Name bereits in einem Atemzug mit Walter Gieseking und Vladimir Horowitz genannt. Sein Lehrer Claudio Arrau bezeichnet ihn als "eines der größten Klaviertalente, die mir persönlich je begegnet sind." Bei der Konzertdirektion Curt Winderstein ist er unter Vertrag; die Telefunken plant Schallplatten-Aufnahmen mit ihm. Manchmal kann Kreiten das alles selbst nicht glauben.

Als Karlrobert Kreiten und eine Freundin sich kürzlich unterhielten, was die Zukunft wohl für sie bereithalte, nahm er nur zum Spaß ein Buch über die Kunst des Handlesens aus dem Bücherregal, das er dort zufällig entdeckt hatte. Lachend blätterten die beiden in dem Schmöker, verglichen ihre Handinnenlinien mit den Zeichnungen und lasen die entsprechenden Deutungen. Plötzlich stutzte Karlrobert: Meine Lebenslinie bricht jäh ab, ich muss demnach jung sterben.

Der Pianist Karlrobert Kreiten wird von einer Bekannten denunziert

Anfang 1943 trifft Karlrobert Kreiten auf eine Frau, von der er sich wünschen würde, ihr niemals begegnet zu sein: Ellen Ott-Monecke, bei der er in Berlin übergangsweise wohnt und Klavier üben kann.

Langsam dämmert ihm, was geschehen sein muss: Die Unterhaltung mit Frau Ott-Monecke, denkt er, deswegen wird sie ihn angezeigt haben. Noch bevor Karlrobert etwas sagen kann, fragt Feucht nach, ob er Gründe nennen können, die gegen die Glaubwürdigkeit dieser Dame sprächen. Nein, das könne er nicht, sagt Karlrobert kleinlaut und rutscht auf seinem Stuhl nervös hin und her. Er kenne sie ja im Grunde gar nicht.

Ellen Ott-Monecke war eine glühende Nationalsozialistin. Bei Kaffee und Kuchen hält Kreiten mit seiner Meinung nicht hinterm Berg: dass der Krieg nach der Kapitulation von Stalingrad längst verloren sei, der "Führer" geisteskrank, die Politgrößen des Regimes allesamt Verbrecher sind. Er rät ihr, besser schon mal die Hitler-Bilder von der Wand zu nehmen. Die Führer-gläubige Ellen Ott-Monecke denunziert ihn in der Nachbarschaft und zeigt ihn schließlich an.

KURZ UND BÜNDIG

Dieses Buch wird lieben, wer …
… mehr darüber erfahren möchte, welch große pianistische Begabung durch das NS-System zerstört wurde.

Dieses Buch liest man am besten …
mit Musik von Karlrobert Kreiten.

Dieses Buch ist wie geschaffen ….
… für Menschen, die sich für den Alltag und die Abgründe im Deutschland des Jahres 1943 interessieren.

Todesstrafe wegen "Wehrkraftzersetzung"

Anfang Mai wird Karlrobert Kreiten in Heidelberg am Morgen vor einem Konzertauftritt verhaftet. Es folgt ein sechsmonatiges Martyrium in verschiedenen Gestapo-Gefängnissen. Trotz Unterstützung zweier Anwälte kann er den Vorwurf der "Wehrkraftzersetzung" nicht entkräften. Selbst der Dirigent Wilhelm Furtwängler war als Fürsprecher angefragt. Doch das half alles nicht: Am 7. September 1943 legt der Henker dem inzwischen 27-Jährigen im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee eine Schlinge um den Hals. Mit der Todesstrafe für den aufstrebenden deutschen Pianisten mit niederländischer Staatsbürgerschaft hat niemand gerechnet. Doch Kreiten hat das Pech, von Robert Freisler, dem unerbittlichen Blutrichter am ersten Senat des Volksgerichthofes, abgeurteilt zu werden.

Alltag und Abgründe in Deutschland 1943

Der Autor und Historiker Oliver Hilmes setzt mit seinem neuen Buch "Schattenzeit – Deutschland 1943: Alltag und Abgründe" nicht nur dem Pianisten Karlrobert Kreiten ein Denkmal, sondern er bietet ein Mosaik Deutschlands des Jahres 1943. Niederschmetternd und berührend, was sich parallel in diesen dramatischen Monaten abspielte. In Stalingrad wird gestorben, Millionen Deutsche strömen ins Kino, um Hans Albers als "Münchhausen" zu erleben, oder lenken sich in Tanzpalästen ab. Magda Hain nimmt im März den "Capri-Fischer"-Schlager auf. Der NS-Jungjournalist Werner Höfer veröffentlicht einen hetzerischen Artikel über Karlrobert Kreiten. 44 Jahre später wird dies und sein Wirken in der NS-Zeit bekannt und Höfer, Gastgeber der ersten TV Polit-Talkshow Deutschlands "Der Internationale Frühschoppen", muss seine Karriere beenden.

Hilmes hat gründlich recherchiert und erzählt sehr lebendig und farbig. Es fällt leicht, an diesen unterschiedlichen Geschehnissen und Entwicklungen der Zeit teilzunehmen. Ein Buch, dass von Anfang an fesselt.

Infos zum Buch

Oliver Hilmes: "Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe"
Siedlerverlag
304 Seiten, Hardcover
Preis: 24,- Euro
Bestellnummer ISBN: 978-3-8275-0159-2

Sendung: "Allegro" am 25. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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