Es ist ein ungewöhnliches Bild: Campino, der Frontmann der Toten Hosen, steht vor einem Orchester und lauscht bedächtig den symphonischen Klängen. Im Interview mit BR-KLASSIK erzählt der Punkrocker von dem Gemeinschaftsprojekt mit der Musikhochschule Düsseldorf, das an ein dunkles Geschichtskapitel erinnert.
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BR-KLASSIK: Das Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf hat 2013 der "entarteten Musik“ drei Konzertabende gewidmet - mit prominenter Unterstützung der Toten Hosen. Jetzt ist die CD dazu erschienen. Campino, wie kommen Sie als Frontmann einer Rockband auf die Idee, sich mit entarteter Musik zu beschäftigen?
Campino: Die Ausstellung "Entartete Musik" fand 1938 in Düsseldorf statt - Joseph Goebbels hat sie damals eingeweiht - insofern gab es dort schon immer einen lokalen Bezug. Dem Prorektor der Robert Schumann Musikhochschule Thomas Leander war es wichtig, eine Düsseldorfer Formation anzusprechen, um das Projekt zu unterstützen. Er ist dann relativ schnell auf uns gekommen. Er hat mich angerufen, wir sind zusammen Kaffee trinken gegangen – und ich war von der Idee sofort dermaßen begeistert, dass wir kaum nachdenken mussten, um zuzusagen.
BR-KLASSIK: Was hat Sie so begeistert an dieser Idee?
Campino: Ich finde es nach wie vor wichtig, an diese schreckliche Ausstellung zu erinnern, um sich bewusst zu machen, was wir - auch kulturell - für einen großen Verlust erfahren haben durch das Terrorregime der Nazis. Gleichzeitig ist es wichtig zu beweisen, dass die Musik diese schreckliche Zeit überlebt hat, dass sie stärker ist, als all das, was an bösen Gedanken damals ausgesendet wurde.
BR-KLASSIK: Wie war die Zusammenarbeit als Rockband mit einem großen Symphonieorchester?
Campino: Wir mussten erst Mal eine gemeinsame Sprache finden. Wir sind es ja nicht gewohnt, mit einem Dirigenten zu arbeiten. Wir mussten uns auch einfügen in dieses System "Orchester": Wenn 120 Mann zur Probe kommen, dann dürfen sie sich nicht verspäten. Da kann man nicht auf den Einzelnen warten, bis der sein Käsebrot aufgegessen hat. Und diese Disziplin, die man da einhalten muss - das war für uns schon etwas Neues. Wir sind ja nur fünf Mann, und wenn da mal einer zu spät kommt in den Proberaum - dann ist es nicht so ein dickes Ding. Wir mussten bei diesen Proben die Disziplin aufrechterhalten und die Sprache des Dirigenten verstehen lernen. Er hat uns da auf eine sehr gute Art integriert und über eine deutliche Zeichengebung auch leicht gemacht, mit den anderen auf Augenhöhe zu bleiben.
BR-KLASSIK: Die CD kommt in einer Zeit raus, in der Ausländerfeindlichkeit, die Straftaten gegen Asylbewerber und deren Wohnheime zunehmen. Welche Rolle können Sie als Musiker und welche Rolle kann die Musik spielen, um gegen diese Strömungen anzukommen?
Campino: Ich glaube, das ist eine Sache der ganzen Gesellschaft. Jeder kann dazu beitragen, das Problem in Schach zu halten. Wir werden es nie ausradieren können, es wird immer Extremisten geben - rechts und links. Und wir sollten es auch nicht ignorieren. Aber man muss darüber den Mut nicht verlieren. Jeder kann in seinem Bereich was tun. Man sieht es ja auch jetzt, dass in den Asylbewerberheimen und Flüchtlingsunterkünften Menschen freiwillig als Dolmetscher arbeiten, bei der Kleider- und Essensverteilung helfen und so weiter. Wir sind nun mal Musiker, unsere Werkzeuge sind die Instrumente - so versuchen wir uns auf unsere Weise einzubringen. Und in diesem Fall fanden wir es wichtig, diese Musik, die damals so gedisst wurde, in Erinnerung zu bringen. Das ist völlig schlüssig, dass wir da auf diese Weise versuchen unseren Beitrag zu leisten.
Uns ist klar, dass wir über die Musik niemals einen überzeugten Rechtsradikalen zum Nachdenken bewegen. Wir haben unsere Musik auch nie so verstanden. Wir wollten immer Soundtrack für die Leute sein, die ähnlich denken wie wir und über unsere Musik denen Mut machen. Und wenn bei einem Konzert von den Toten Hosen 20.000 Leute "Willkommen in Deutschland" singen und jeder einzelne merkt: "Huch, Menschen neben mir schreien das genauso innbrünstig wie ich. Ich bin nicht allein, wir sind eine Mehrheit. Wir sind sehr viele Menschen, die etwas dagegen haben, dass die Rechtsradikalen Überwasser kriegen" - dann ist das die Aufgabe, die sich uns stellt.
BR-KLASSIK: Eine Aufgabe, die aber auch sicherlich mit viel Gegenwind verbunden ist. Ich kann mir vorstellen, dass Sie auch Anfeindungen oder Hetzte, sogar Hass zu spüren bekommen.
Campino: Das ist in jedem Fall so, aber über das Internet erleben das ja mittlerweile sehr viele Institutionen. Wenn man den "Spiegel“ zum Beispiel beobachtet: In seinen Artikel über Flüchtlinge kann er sich nicht mehr erlauben, ein Forum offen zu lassen. So wie viele andere Zeitungen oder Radio- und Fernsehsender auch mit üblen Kommentaren zu diesem Thema überhäuft werden. Insofern stehen wir in der selben Reihe und Tradition. Auch wir werden angegriffen, aber wir können es aushalten. Wir sind es ganz anders gewohnt und haben ja auch schon Mitte der 80er Jahre auf den Straßen, in den Jugendzentren diese Auseinandersetzungen mit Rechtsradikalen gehabt.
Das Interview für BR-KLASSIK führte Sebastian Ottowitz
Bildquelle: Die Toten Hosen
Das Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule & Die Toten Hosen spielen "Entartete Musik". Willkommen in Deutschland - ein Gedenkkonzert.
Im Oktober 2013 veranstalteten Die Toten Hosen und das Sinfonieorchester der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf drei Konzerte in der Tonhalle Düsseldorf. Unter dem Titel "Willkommen in Deutschland" wollten die Musiker an die Reichsmusiktage und die Ausstellung "Entartete Musik" im Düsseldorfer Ehrenhof 75 Jahre zuvor erinnern.
Die Konzerte wurden live aufgezeichnet und erschienen am 30.10.2015 als Doppel-CD mit einer Begleit-DVD.
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