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Die Geigerin Carolin Widmann "Ligeti geht direkt ins Herz"

Am 21. April spielt Carolin Widmann in Nürnberg das Violinkonzert von György Ligeti. Im Interview spricht die Geigerin, die in diesem Jahr mit dem Bayerischen Staatspreis für Musik ausgezeichnet wird, über ihr Engagement für die zeitgenössische Musik - und warum sie sich vom Publikum mehr Offenheit wünscht.

Bildquelle: Lennard Ruehle

Das Interview zum Anhören

BR-KLASSIK: Carolin Widmann, Sie erhalten demnächst den Bayerischen Musikpreis; dazu möchten wir Ihnen gratulieren. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Carolin Widmann: Ich freue mich ungemein, dass ich aus meiner alten Heimat Bayern, in der ich bis zum Abitur gelebt habe, diese wunderschöne Auszeichnung bekomme - und dies auch noch in so illustrer Gesellschaft, mit Christian Gerhaher und Konstantin Wecker. Ich fühle mich wirklich sehr geehrt und bin sehr glücklich.

Die Neue Musik lag mir einfach schon immer am Herzen.
Carolin Widmann

BR-KLASSIK: Mit zeitgenössischer Musik Karriere zu machen - das ist bekanntermaßen nicht leicht. Sie aber haben es geschafft - und der Preis ist die Bestätigung dafür. Nehmen Sie diesen Musikpreis auch als eine Art Ritterschlag - in dem Sinne, dass Sie das Gefühl haben, dass sich dieser vielleicht unbequeme Weg doch gelohnt hat?

Carolin Widmann | Bildquelle: Lennard Ruehle Bildquelle: Lennard Ruehle Carolin Widmann: Dazu muss ich erst einmal sagen, dass ich niemals in einem Kontrollzentrum oder einem Schreibtisch gesessen und dort gesagt habe: So, jetzt mache ich Karriere mit Neuer Musik! (lacht) So hat das überhaupt nicht funktioniert. Die Neue Musik lag mir einfach schon immer am Herzen. Mein Bruder ist Komponist, und ich bin mit dieser Musik ganz normal aufgewachsen, wie mit Mozart, Haydn und Beethoven. Das lief einfach gleichberechtigt in unserem Haushalt. Und genauso ist es auch jetzt: Vor kurzem habe ich noch die Violinkonzerte von Korngold und Beethoven gespielt, und jetzt in Nürnberg ist es eben Ligeti. Das ist für mich die gleiche Tradition, und wenn man sich das Ligeti-Konzert anschaut, sieht man, dass es eben ganz klar aus dieser Linie der traditionellen abendländischen Musik kommt.

Carolin Widmann auf BR-KLASSIK

Freitag, 21. April, 18.05 Uhr
Klassik-Stars
Carolin Widmann spielt Berlioz, Bach, Mendelssohn und Ysaÿe

BR-KLASSIK: Aber die Neue Musik ist nicht so präsent wie die Klassische Musik …

Carolin Widmann: Ja, ich habe das Gefühl, die Musik ist die einzige Kunstform, in der die Gegenwart weniger präsent ist als die Vergangenheit. In allen anderen Kunstformen  - Architektur, Malerei, Tanz - ist die Gegenwart absolut populär und beliebt …

BR-KLASSIK: … und erzielt Spitzenpreise …

Carolin Widmann: Genau, so ist es. Nur bei der Musik hinkt das ein bisschen hinterher. Ich habe auch so meine Ideen, woran das liegen könnte. Aber letztlich gibt es keine wirklich plausible Erklärung oder gar Entschuldigung dafür.

BR-KLASSIK: Aber Ihre Ideen - die interessieren uns natürlich schon …

Carolin Widmann | Bildquelle: Lennard Ruehle Bildquelle: Lennard Ruehle Carolin Widmann: Ich glaube schon, dass es in der Geschichte der zeitgenössischen Musik für das Publikum eine harte Zeit gab - nämlich direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Publikum systematisch verschreckt wurde. Und wenn es das nicht wurde, dann konnte es auch keine gute Musik sein, sozusagen. Das war eine Phase, die für die Emanzipation der Neuen Musik vielleicht sogar wichtig war - aber ich glaube, dass diese Zeit vorbei ist. Wenn man heute zeitgenössische Musik hört - Wolfgang Rihm oder Pascal Dusapin etwa, aber auch Mark Andre oder Helmut Lachenmann, die ja weit avantgardistischer klingen -, dann ist das nichts mehr, was ein Publikum verschreckt oder verschrecken soll …

BR-KLASSIK: … aber die Leute haben immer noch die schwierigen Erfahrungen in den Knochen und trauen sich nicht. Oder wie meinen Sie das?

Carolin Widmann: Ich denke, wer offen und neugierig ist und wagt, dieser Musik eine Chance zu geben, wird mehr als reichlich belohnt werden. Es gibt großartige Werke, die sofort ansprechen - zum Beispiel eben das Ligeti-Violinkonzert. Da ist es von der ersten Note an klar, dass es ein faszinierendes und bewegendes Stück ist. Es gibt ja das Klischee, dass zeitgenössische Musik einen nicht berührt, dass der Hörer nicht versteht, was der Komponist ihm sagen will. Ligeti jedoch ist eine Musik, die direkt ins Herz geht.

Ligeti ist eine Musik, die direkt ins Herz geht.
Carolin Widmann

BR-KLASSIK: Was raten Sie denn Menschen, die auch nach mehreren Versuchen mit der zeitgenössischen Musik einfach nicht warm werden?

Carolin Widmann: Ich will wirklich niemanden dazu zwingen, aber ich glaube, es entgeht einem sehr viel, wenn man sich von vornherein gegenüber dieser Musik verschließt. Und wenn man sich als Konzertgänger kritisch beobachtet, erinnert man sich vielleicht daran, dass man eine Haydn-Symphonie auch schon einmal langweilig fand - sei es wegen der Interpretation oder weil man irgendwie abgeschaltet hat. Man sollte sich fragen: Ist es nicht nur ein Vorurteil, wenn man sagt, dass man die zeitgenössische Musik nicht "versteht"? Ist es denn so, dass wir Beethovens fünfte Symphonie richtig verstehen? Da würde ich doch gerne einmal mit den Leuten diskutieren, die denken, dass das so ist.

BR-KLASSIK: Also, Sie zwingen die Leute nicht, aber eine Missionarin sind Sie schon?

Carolin Widmann: (lacht) Ja, aber einfach, weil ich diese Musik so liebe. Natürlich nicht alles, aber es gibt so großartige Meisterwerke, die einem die Augen und Ohren öffnen können, dass ich gerne hätte, wenn sie auch gehört würden. Und ich fände es toll, wenn manche Leute beim Hören ein Aha-Erlebnis hätten und sich dächten: Meine Güte, so etwas habe ich im Leben noch nie gehört, und es ist großartig!

Die Fragen stellte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.

Sendung in "Leporello" am 20. April 2017, 16.05 Uhr.

Das Konzert in Nürnberg

Freitag, 21. April 2017, 20.00 Uhr
Nürnberg, Meistersingerhalle
Richard Wagner:
"Siegfried-Idyll"
György Ligeti:
Konzert für Violine und Orchester
Johannes Brahms:
Symphonie Nr. 4 e-Moll, op. 98

Carolin Widmann (Violine)
Staatsphilharmonie Nürnberg
Leitung: Marcus Bosch

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