Prominente Nürnberger Komponisten gibt es einige: Johann Pachelbel kennen wohl die meisten, Hans Leo Haßler oder Hugo Distler schon weniger. Vor genau 100 Jahren wurde eine Komponistin in Nürnberg geboren, von der wahrscheinlich die wenigsten etwas gehört haben: Gerda Schloss – beziehungsweise: Chaya Arbel. Zu Unrecht! – meint BR-KLASSIK-Autor Arno Lücker.
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Gerda Schloss erblickte am 18. Juni 1921 das Licht der Welt. Mutter Diana war Kindergärtnerin, Vater Ludwig arbeitete als Kaufmann. Gerda und ihre zwei Schwestern wurden früh künstlerisch ausgebildet, Schwester Ruth wurde später eine anerkannte Malerin.
Nürnberg in der Hand der Nazis: Reichsparteitag 1936 | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Die kleine Gerda liebte das Klavierspielen – und war darin äußerst begabt. Doch in den 1930er-Jahren wird das Leben der jüdischen Familie Schloss in Nürnberg immer schwieriger. Allein die alljährliche Ausrichtung des Reichsparteitages, in dessen Rahmen jegliche "deutsche Kunst" (seit 1935 begann jeder Reichsparteitag mit einer Aufführung von Wagners "Meistersingern") von den Nationalsozialisten vereinnahmt worden war, muss auf die Familie Schloss bedrohlich gewirkt haben.
1936 – Gerda war 16 Jahre alt und auf dem Sprung, eine bekannte Pianistin zu werden – reiste Familie Schloss nach Palästina aus und begann dort, bei dem Aufbau des Kibbuz Ha-Ma'pil (etwa zwischen Haifa und Tel Aviv gelegen) mitzuwirken. Künstlerinnen und Künstler waren nicht gefragt, es ging um ganz praktische Talente: Ärztinnen und Ärzte, Handwerkerinnen und Handwerker. Gerda Schloss, die sich inzwischen "Chaya" (ein Name, der sowohl aus dem Kulturkreis der Roma als auch im Hebräischen bekannt ist) nannte, arbeitete von nun an für 25 ganze Jahre in der Landwirtschaft.
Erst in den 1960er-Jahren – Gerda war inzwischen über vierzig Jahre alt – studierte Chaya Arbel (sie trug den Nachnamen ihres zweiten Ehemanns bis zu ihrem Lebensende) in Tel Aviv bei Mordechai Seter, Abel Ehrlich und Leon Schidlowsky. Vor allem Schidlowskys Musik übte einen gewissen Einfluss auf sie aus. Ihre Kompositionen sind keineswegs epigonal, anbiedernd oder gar brav. Jahrelang beschäftigte sich Arbel mit allen bedeutenden stilistischen Strömungen des musikalischen 20. Jahrhunderts. Sie war eine informierte Komponistin ihrer Zeit!
Arbels Musik ist modern, aber erzählend – manchmal wütend, immer menschlich. In ihrem in den 80er-Jahren komponierten Stück "Das Tagebuch der Anne Frank" für Mezzosopran, Streichquartett und Klavier hören wir dunkle Tonballungen, die ein wenig an die Musik von Galina Ustwolskaja erinnern. Doch daraus entwickeln sich keine "feindlichen Klänge", sondern eine tragische – erzählte – Kurzgeschichte mit Linien, Strömen, Motiven.
Die Musik wirkt höchst gedankenvoll – so als bilde Chaya Arbels Musik die Klänge, Stimmen und Optionen im Kopf von Anne Frank ab. Die Instrumente "sprechen" dabei scheinbar weit mehr als die Gesangsstimme, die zu Beginn nur ein "Aaa" stammelt.
1966 gründete Chaya Arbel im Norden Israels eine eigene Kibbuz-Musikschule, erhielt viele Kompositionsaufträge und Preise für ihre Musik. Eine Oper schrieb sie nie, dafür ein halbes Dutzend symphonische Werke sowie Kammermusik und Solo-Klavierwerke. 2007 starb Chaya Arbel mit 86 Jahren. Und wir wissen immer noch viel zu wenig von ihr!
Sendung: "Leporello" am 17. Juni 2021 um 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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