Kosmopolit mit offenen Ohren: Der Dirigent und Pianist Christoph Eschenbach wird 80. Im Interview erzählt er, warum ihn das Flüchtlingsthema so sehr bewegt. Und: warum er, nach Jahren im Ausland, in Berlin einen Neuanfang wagt.
Bildquelle: © Manu Theobald
BR-KLASSIK: Christoph Eschenbach, Sie haben in den letzten 15 Jahren überwiegend im Ausland gearbeitet. Vor allem in den USA und in Frankreich. Seit Herbst sind Sie wieder zurück in Deutschland als Chefdirigent des Konzerthausorchesters in Berlin. Nun hat sich in den letzten zehn Jahren hierzulande ja viel verändert, politisch und gesellschaftlich. Die sogenannte Flüchtlingskrise hat zu einem Erstarken rechter Kräfte geführt, zu einer Verschärfung der politischen Tonlage. Hat sich in Ihrer Perspektive, der Perspektive des Rückkehrers, das gesellschaftliche Klima stark verändert?
Christoph Eschenbach: Mich geht vor allem das Flüchtlingsthema stark an, muss ich sagen. Ich bin ja selbst Flüchtling gewesen am Ende des Krieges und habe ganz schlimme Zeiten erlebt. Deshalb schlägt mein Herz für diese Flüchtlinge, beispielsweise für die Menschen, die aus Syrien kommen. Vor einem Monat hatte ich die Chance mit dem Griechischen Staatsorchester ein Konzert für Flüchtlingskinder zu geben. Die Situation dort ist ja besonders dramatisch, wo die Flüchtlinge sozusagen in Lagern vegetieren. Dieses Engagemen ist ein Anfang. Und ich plane, mehr in dieser Richtung zu unternehmen. Das ist ja ein Thema, das weltweit eine Rolle spielt. In Amerika soll die Grenze zu Mexico mit einer Mauer befestigt werden, was ich absolut fürchterlich finde. Was da von Trump kommt, halte ich für sehr, sehr negativ.
Mich geht das Flüchtlingsthema stark an.
BR-KLASSIK: Weil Sie Trump ansprechen, derzeit hat ein bestimmter Politikertypus wieder Konjunktur, der Typ des autoritären Führers: Putin in Russland, Erdogan in der Türkei, Orban in Ungarn. Nun könnte man sagen: In gewisser Weise schlüpft auch der Dirigent in die Rolle eines Anführers. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass Sie in dieser Rolle auf ganz andere Dinge Wert legen als die zuletzt genannten Herren?
Christoph Eschenbach: Ja, absolut! Ich würde das Wort "Führer" sowieso vermeiden. Selbst wenn es in Verbindung mit einem anderen Vorwort daher kommt. Ich sehe den Dirigenten nicht als Führer, ich sehe ihn mehr als Inspirator. Der Dirigent leitet das Orchester in Richtung seiner Interpretation. Aber diese Interpretation muss so offen sein, dass sie Ideen des Orchesters und der Musiker aufnehmen kann. Das ist bei mir immer so gewesen. Und nun auch in Berlin, bei meinem neuen Orchester.
Ich sehe den Dirigenten nicht als Führer sondern als Inspirator
BR-KLASSIK: Diese Offenheit gegenüber den Ideen anderer – das ist ein Stilprinzip, das sie auch als Mentor pflegen. Sie sind ein großer Förderer junger Musiker*innen. Anlässlich Ihres 80. Geburtstags treten mit Ihnen oder für Sie auft: Midori, Lang Lang, Ray Chen, Nils Mönkemeyer. Erleben sie denn in der Auseinandersetzung mit diesen Musiker*innen, die sämtlich ein bis zwei Generationen jünger sind, manchmal auch Differenzen, die mit den unterschiedlichen Lebensaltern zu tun haben? Kommt da gelegentlich das Gefühl auf: Irre, der- oder diejenige schaut ganz anders auf die Welt, als ich das tue?
Christoph Eschenbach: Nein, eigentlich nicht. Denn die Musik ist ja etwas Weltumfassendes, eine Sprache die jeder versteht. Das verhindert, dass da generations- oder altersbedingte Konflikte entstehen. Die Musik verbietet das geradezu. Und ich bin auch da sehr offen: Was von den jungen Musikern kommt, das nehme ich auf und entwickle es weiter. Und gleichzeitig ist mir die Mentorenrolle sehr wichtig: Dass wir den jungen Leuten ein Beispiel geben und sie fördern.
BR-KLASSIK: Seit Herbst sind sie Chefdirigent beim Berliner Konzerthausorchester. Ein Neuanfang mit knapp 80 Jahren. Spielte bei der Entscheidung nach Berlin zu gehen denn auch der Gedanke der Rückkehr eine Rolle?
Christoph Eschenbach: Der Gedanke der Rückkehr war da – aber nicht der Rückkehr nach Deutschland, sondern nach Europa. Ich bin wirklich ein ausgesprochener Europäer! Das war mein Ansporn.
Sendung: Leporello am 20. Februar 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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