Der Dirigent und Pianist Christoph Eschenbach ist das Gegenteil eines herkömmlichen Pult-Matadors. Statt zu herrschen, möchte er lieber die Musiker auf seine Seite ziehen. 2015 erhielt er – nicht zuletzt für seine Verdienste um die Zeitgenössische Musik – den Ernst von Siemens Musikpreis; am 20. Februar wird er wird er 80 Jahre alt.
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"Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an". Wohl kaum einer wird diese Worte von E. T. A. Hoffmann besser verstehen als Christoph Eschenbach. Denn schon seit früher Kindheit ist ihm die Musik Zuflucht, Heimat und Ausdrucksmittel geworden. Eschenbachs Mutter starb bei seiner Geburt im Jahre 1940. Der Vater, ein Musikwissenschaftler, fiel kurz darauf an der Front. Auf der Flucht aus Eschenbachs Heimatstadt Breslau starb auch die Großmutter, die den Jungen aufgenommen hatte. Eschenbach war mit fünf Jahren Vollwaise und einer der letzten Überlebenden in einem Flüchtlingslager, in dem der Typhus grassierte. Nach einigen Wochen fand eine Cousine der Mutter den traumatisierten Jungen. Doch Eschenbach blieb stumm: "Ich habe die Musik gehört und sie aufgesogen", erinnert er sich. "Ich habe sie als mein ideales Mittel zum Ausdruck erkannt"
Neue Musik ist eine Herausforderung der guten Art.
Bildquelle: Eric Brissaud Auf die Frage seiner Adoptivmutter, ob er Klavier lernen wolle, fand er zu einem ersten Wort zurück: "Ja!" Neben Klavier begann Christoph Eschenbach Geige zu spielen. Mit elf hörte er sein erstes Konzert mit Furtwängler - und wusste: Musik würde sein Leben bestimmen. Musik zu machen begreift Christoph Eschenbach bis heute als Herausforderung: "An mich selber – dass ich mich eigentlich jeden Tag herausfordere, um das Beste zu leisten und um auch der Musik zu genügen, die ich mache – dann als Herausforderung den Musikern gegenüber, und schließlich als Herausforderung des Publikums, wenn ich zum Beispiel Neue Musik mache. Das ist eine Herausforderung der guten Art: zuzuhören, sich damit zu identifizieren und damit zu leben."
Bereits mit zehn gewann Christoph Eschenbach den Steinway Klavierwettbewerb. 1962 wurde er beim ARD-Musikwettbewerb in München ausgezeichnet, drei Jahre später gewann er den Clara-Haskil-Wettbewerb in Luzern. Vladimir Horowitz nannte den jungen Eschenbach einen der "hoffnungsvollsten Nachwuchspianisten". Doch den jungen Musiker zog es mehr und mehr zum Dirigieren. George Szell, mit dem er als Pianist viel gearbeitet hatte, wurde sein Mentor. "Von ihm habe ich gelernt, wie man ein Orchester transparent und luzide klingen lässt, wie man phrasiert bis zum Exzess, aber nicht übertrieben. Und auch, wie man das Wort 'Diktion' auf das Orchester und eine Partitur überträgt."
Macht auszuüben, das liegt dem zierlichen Mann gar nicht. Statt despotisch aufzutreten, möchte Eschenbach die Orchestermusiker zu sich ziehen, gemeinsam mit ihnen eine Lesart schaffen. In Proben unterbricht er nur ungern, liefert stattdessen hernach eine gründliche Analyse, was noch zu verändern ist. Mit dieser leise-unnachgiebigen, akribischen Art hat er in den 1980ern als Chef mit dem Tonhalle-Orchester Zürich gearbeitet, so kennen ihn die Musiker des NDR Sinfonieorchesters in Hamburg, das er ab 1998 leitete, und so brachte er das Philadelphia Orchestra ab 2003 zu einer bis dahin lange nicht mehr gekannten Form. Daneben ist Eschenbach immer wieder als Kammermusikpartner oder als Liedbegleiter zu erleben. Klavierüben gehört dazu – jeden Tag. Eschenbach also ein absoluter Workaholic? "Ich mag dieses Wort nicht", sagt er dazu. "Ich betrachte meine Arbeit nicht als Arbeit, sondern als Verpflichtung, die ich mir der Musik gegenüber auferlegt habe. Mir macht das einen Riesenspaß!"
Sendung: "Allegro" am 20. Februar 2020 ab 16:05 auf BR-KLASSIK