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Christoph von Dohnányi zum 90. Geburtstag Meinungsstarker und streitbarer Zeitgenosse

Dinosaurier am Dirigentenpult haben eine ganz besondere Aura. Gerade erst hat der 90-jährige Bernard Haitink in Luzern sein letztes Konzert gegeben. Christoph von Dohnányi, der am 8. September seinen 90. Geburtstag feiert, denkt wie sein 92-jähriger Kollege Herbert Blomstedt gar nicht ans Aufhören – Dohnányis Konzertkalender jedenfalls reicht erstmal bis ins Frühjahr 2020. Für BR-KLASSIK gratuliert Fridemann Leipold zum 90. Geburtstag.

Der Dirigent Christoph von Dohnányi | Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com

Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com

Der gebürtige Berliner Christoph von Dohnányi hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Erst im Januar, als er mit einem spannenden Programm beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu Gast war, stellte er seiner zweiten Heimat USA kein gutes Zeugnis aus. "Die Frage ist ja immer: Was ist typisch amerikanisch? Gott sei Dank nicht Herr Trump. Typisch amerikanisch ist eigentlich Offenheit, und die kann eben auch zu Unglück führen wie jetzt. Offenheit dem Neuen, dem Experiment gegenüber. Offenheit auch dem scheinbar Sinnlosen gegenüber: Denn man muss ja erstmal erklären, worin beispielsweise der Sinn einer Marslandung liegt. Und trotzdem ist es großartig, dass es Menschen gibt, die dafür offen sind."

Die Frage ist ja immer: Was ist typisch amerikanisch? Gott sei Dank nicht Herr Trump.
Christoph von Dohnányi

Offen gegenüber Neuem

Dem Neuen gegenüber aufgeschlossen war Dohnányi schon lange, bevor er 1984 als Nachfolger von Lorin Maazel die Leitung des Cleveland Orchestra übernahm und in seiner knapp 20-jährigen Ära weiter an der Brillanz des Toporchesters feilen konnte, eines der "Big Five" in den USA. Die Musik von Charles Ives hat er in Cleveland schätzen gelernt – und klangvoll auf CD eingespielt. Bei seiner Vorliebe für die klassische Moderne ist Dohnányi aber nie stehen geblieben. Uraufführungen von György Ligeti, Harrison Birtwistle oder John Adams gehörten für ihn ganz selbstverständlich dazu. Außerdem hat Dohnányi zwei der erfolgreichsten Opern von Hans Werner Henze aus der Taufe gehoben: "Der junge Lord" und "Die Bassariden".

Sponsoring ist eine gute Sache

Wenn sich Dohnányi den Klassikbetrieb bei uns so anschaut, kann er dem amerikanischen Finanzierungssystem von Kunst und Kultur doch einiges abgewinnen. "Ich kenne viele Leute, die sich mit großer Vehemenz, Kenntnis und Energie für ein reiches Konzertleben einsetzen. Ich kenne natürlich auch viele (und das sind nicht die schlechtesten, weil sie meistens das Geld geben), die sagen: Wir wollen ein schönes Konzert und dann was Schönes essen gehen. Der Präsident der USA sagte bei einem Treffen, nachdem er in der Elbphilharmonie die Neunte von Beethoven gehört hatte: Ich habe gerade eine schöne Oper erlebt … Das gibt’s natürlich auch. Aber ich bin ein großer Fan des Sponsorings – es ist wirklich unglaublich, was in den angloamerikanischen Ländern gesammelt und letzten Endes für Musikkultur ausgegeben werden kann."

Viele Jahre in der Oper zuhause

Der Dirigent Christoph von Dohnányi | Bildquelle: AndreasGarrels / NDR Bildquelle: AndreasGarrels / NDR Zwar hat Dohnányi zu Beginn seiner Karriere das damalige Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester geleitet, zuletzt das NDR Sinfonieorchester. Und sich früh schon die klassisch-romantische Symphonik draufgepackt. Seinen Namen verbindet man aber in erster Linie mit der Oper. Schließlich war er ja auch mal mit einer Opernsängerin verheiratet, mit der Sopranistin Anja Silja. Nach Stationen als Generalmusikdirektor in Lübeck und Kassel übernahm Dohnányi 1972 in Frankfurt auch die Intendanz. Genauso wie 1977 an der Hamburgischen Staatsoper. Dass er schon in Frankfurt mit Mitstreitern wie Gerard Mortier den Opernbetrieb entstaubt hatte und sich für zeitgenössisches Musiktheater stark machte, gefiel nicht allen. Mit Schauspiel-Regisseuren wie Rudolf Noelte, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy oder dem Maler Achim Freyer sorgte Dohnányi für eine neue Bühnenästhetik. Nach Spannungen mit dem Philharmonischen Staatsorchester und der Administration warf er in Hamburg vorzeitig das Handtuch und entfloh in Richtung Cleveland.

Dohnányis Familie – musikalisch und politisch

Bis heute ist Dohnányi ein weltoffener, fortschrittlicher, meinungsstarker und auch streitbarer Zeitgenosse geblieben. Schon als junger Mann wetterte er gegen ein rückwärtsgewandtes Kulturverständnis, da konnte schon mal das Wort "Spießertum" fallen. Schließlich stammt Dohnányi aus einer couragierten Familie: Sein Vater Hans von Dohnányi und sein Onkel Dietrich Bonhoeffer wurden 1945 als Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten hingerichtet. Nach seinem Münchner Studium hat sich Dohnányi in den USA noch bei seinem Großvater, dem berühmten ungarischen Komponisten, Pianisten und Dirigenten Ernst von Dohnányi, weitergebildet. Und sein ein Jahr älterer Bruder, der SPD-Politiker Klaus von Dohnányi, war in den 1980er-Jahren Hamburgs Erster Bürgermeister.

Ambivalenter Blick auf die heutige Zeit

Christoph von Dohnányi ist Jahrgang 1929, hat also in einer politisch hellwachen Familie den Hitler-Faschismus und den Zweiten Weltkrieg hautnah miterlebt. Aus dieser Erfahrung heraus beurteilt er unsere vermeintlich abgesicherte Existenz durchaus ambivalent: "Ich habe unglücklicher- oder glücklicherweise die Not des Krieges noch erlebt – und die Menschen, die heute alles vom Staat fordern, sind mir manchmal ziemlich unverständlich. Denn wenn damals elf Millionen Flüchtlinge kamen, wurden die eben aufgenommen, ohne dass irgendjemand über Rente geredet hat. Die Sicherheit, in der wir heute leben, ist natürlich viel größer, aber auch gefährdet. Und das beginnt sich langsam in den Köpfen der Menschen zu etablieren. Unsere sozialen Errungenschaften haben eben auch viel von der Fähigkeit, mit Not umzugehen, getötet. Insofern bin ich, obwohl schon sehr alt, dieser Zeit gegenüber doch in Sorge."

Menschen, die heute alles vom Staat fordern, sind mir manchmal ziemlich unverständlich.
Christoph von Dohnányi

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