Am 25. Mai feiert der Komponist, Musikwissenschaftler, Buchautor und ehemalige Professor der Münchner Musikhochschule seinen 70. Geburtstag. Ein Mann, der nicht nur zehn Opern, diverse Musicals, Sinfonien, Oratorien und Orgelwerke schuf, sondern der auch über viele Jahre als Vorsitzender der GEMA kulturpolitisch aktiv war. Und auch mit 70 Jahren ist Enjott Schneider nach wie vor ein unermüdlich Schaffender – mit viel intellektuellem Engagement.
Bildquelle: Mathias Vietmaier
Mit der Musik zu Joseph Vilsmaiers Film "Herbstmilch" fing für Enjott Schneider vieles an. Zumindest seine international beachtete Karriere als Filmkomponist. Damals hieß der in Weil am Rhein geborene Schneider noch Norbert Jürgen mit Vornamen und bekleidete eine Professur für Musiktheorie an der Münchner Musikhochschule. Diese Professur wurde später umgewandelt zur ersten Filmmusik-Professur Deutschlands. Denn der Musikwissenschaftler Schneider erkannte, dass es hierzulande an einem derartigen Hochschulstudiengang fehlte und rief ihn kurzerhand ins Leben. Das war 1996 und steht exemplarisch für Schneiders Selbstverständnis als musikalischer Querdenker, der die Musik weniger als hegemoniales Betätigungsfeld sieht, sondern vielmehr als ein Spielfeld menschlicher Kommunikation.
Wenn ich komponiere, setze ich Vokabeln zusammen – wie beim Sprechen. Wenn man Musik von mir hört, findet immer Kino im Kopf statt.
In seinen Kompositionen setzt sich Enjott Schneider oft mit großen Meistern wie Mozart, Beethoven, Gesualdo, Vivaldi, Brahms, Schumann oder Wagner auseinander. Im musikalischen Dialog, durch das Spielen mit Motiven und Schlüsselstellen der Musikgeschichte, schafft Schneider eine Art Gegenentwurf zur romantischen Idee des Originalgenies: "Originalgenie ist eigentlich eine gefährliche Sache", sagt der Komponist. "Das ist nämlich die fortgeschrittene Ich-Haftigkeit. Ich bin vielmehr jemand, der die Kollektivität schätzt und das, was die Menschen verbindet. Deswegen ist für mich das Zitieren keine Armut an Ideen, im Gegenteil: Das ist für mich Dialogfähigkeit."
Neues ereignet sich nur, wenn sich Kulturkreise überlagern.
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Isolde & Tristan: V. Liebestod
Für die chinesische Erhu-Virtuosin Jiemin Yan und den Cellisten Wen-Sinn Yang schrieb Enjott Schneider ein Werk mit dem Titel "Isolde & Tristan". Neben seiner musikalischen Korrespondenz mit dem asiatischen Kontinent ist das Stück zugleich ein Dialog mit Wagners "Tristan & Isolde" – und damit prototypisch für Schneiders Selbstverständnis als Komponist. "CrossCulture" nennt er diesen Ansatz, der ihn bereits seit frühester Jugend begleitet. Gemeint ist damit sowohl die Auseinandersetzung mit der musikgeschichtlichen Linie wie die Faszination des ethno-kulturellen Austauschs. Kürzlich hat Schneider im Auftrag des chinesischen Staatspräsidenten Ji Jing Pi die abendfüllende Oper "Marco Polo" geschrieben, er ist Composer in Residence beim Sibirischen Staatsorchester und schrieb anlässlich von Pendereckis Tod im März 2020 ein Auftragswerk mit Publikumsbeteiligung. Enjott Schneiders internationale Ausstrahlung und Präsenz sind beeindruckend – und überflügeln fast seine Reputation daheim.
Sendung: "Allegro" am 25. Mai 2020 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK