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Ernst von Siemens Musikpreis 2022 Preisträgerin Olga Neuwirth im Porträt

Der Ernst von Siemens Musikpreis ist eine der wichtigsten Ehrungen der Musikwelt, gelegentlich auch der "Nobelpreis der Musik" genannt. Nachdem erst im Februar die coronabedingt verschobene Preisverleihung des letzten Jahres stattgefunden hat, steht nun schon die Preisträgerin für das Jahr 2022 fest: die österreichische Komponistin Olga Neuwirth.

Bildquelle: picture alliance/APA/picturedesk.com

Porträt

Die EvS-Preisträgerin Olga Neuwirth

"Eine der einflussreichsten Komponist_innen ihrer Zeit", so würdigte die Ernst von Siemens Musikstiftung die 53-jährige Komponistin Olga Neuwirth. Die Begründung für die Verleihung: In ihrem Schaffen verbinde sie Feminismus mit multimedialer Praxis, schlage radikale Wege ein und verleihe der zeitgenössichen Musik ein neues Gesicht. Ihre Klangsprache sei dabei schonungslos offen gegenüber anderen Kunstformen wie Film, bildender Kunst oder Literatur.

Erste Komponistin mit abendfüllendem Werk in Wien

Olga Neuwirth: Orlando, Szenenfoto der Uraufführung an der Wiener Staatsoper | Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn Ihre Oper "Orlando" bezeichnet Olga Neuwirth selbst als ihr "Opus summum". | Bildquelle: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn Musik ist ihr Werkzeug. Ein Hammer, mit dem die Komponistin Olga Neuwirth beständig und unnachgiebig auf gesellschaftspolitisch schiefe Verhältnisse einhämmert. Eine Schraube, mit der sie an der zeitgenössischen Musik etwas festdübelt, was vorher gefehlt hat, oder gleich: sich selbst festdübelt. Und wie! Preisbehangen, international gefragt. 2019 gelang es ihr als erster Komponistin überhaupt, ein abendfüllendes Werk an der Wiener Staatsoper zu platzieren. Ihren Orlando, ihr Opus summum, wie sie ihn selbst nennt. Das Werk, in dem alles zusammenkomme, was sie je interessiert habe: Genderfragen, Klimakatastrophe, Kindesmissbrauch, Holocaust. Außerdem: Punk und Flower-Power, Feminismus und die Kraft von Musik. Und die klingt bei Olga Neuwirth bunt und eklektizistisch, orchestral, poppig, elektronisch und jazzig.

Keine weiblichen Vorbilder in der Musik

1968 wird Olga Neuwirth in Graz geboren, wächst an der Grenze zu Slowenien auf, in einer Region, die sie fremdenfeindlich nennt. Sie wird Punk, spielt Schlagzeug in einer Band und schließlich Trompete. Ihr Elternhaus ist ein kulturelles Kleinod: der Vater ein bekannter Jazzer, der Onkel der Komponist Gösta Neuwirth. Schriftsteller, Künstler, Filmemacher, Komponisten und Theaterleute gehen ein und aus im Hause Neuwirth. Weibliche role models hingegen sucht Olga Neuwirth vergeblich. Eigentlich will sie Trompeterin werden, ein weiblicher Miles Davis, doch nach einem Autounfall mit Kieferbruch kann sie nicht mehr spielen und wird deshalb Komponistin. Weil sie keine weiblichen Vorbilder im Bereich der neuen Musik sieht, sucht sie sie woanders und findet Patti Smith oder die spätere Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. "Als ich 15 war, habe ich sie kennen gelernt und da habe ich durch viel Austausch und Gespräche meinen Horizont erweitert", erinnert sich Neuwirth, "und so hat man sich gegenseitig bereichert in vielen Diskussionen."

Internationaler Durchbruch mit Mini-Opern

Elfriede Jelinek | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Roland Schlager Die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist eine von Neuwirths weiblichen Vorbildern. | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Roland Schlager 1991, mit Anfang 20, wird Neuwirth mit Mini-Opern nach Texten von Jelinek international bekannt. Die beiden verbindet seither nicht nur eine jahrzehntelange Freundschaft und Zusammenarbeit, sondern auch das künstlerische Aufbäumen gegen chauvinistisches Machtgebaren, gegen männliche Zerstörungskraft und falsche Illusionen. Als junge Studentin nimmt Neuwirth an Gedenkmärschen für den schwulen Politiker und Aktivisten Harvey Milk teil. Sie studiert Musik, Malerei und Film in San Francisco, Paris und Wien, unter anderem bei Tristan Murail. Ihre Musiktheaterwerke, Texte, Drehbücher, Performances, Fotos, Klanginstallationen und Filmmusiken sind Metapherngewächse. Sie schreibt labyrinthische Katastrophenmusik, so Neuwirth selbst. Abgründig, pessimistisch, wild und wütend. "Jeder von uns hat die Kapazität von Gewalt und Hass in sich, und gleichzeitig gegen Gewalt und Hass zu sein. Und jetzt ist der Moment sich dafür zu entscheiden," so Neuwirth. "Es geht nicht um ein Wischiwaschi, es gibt keine Verharmlosung mehr. Jetzt muss man wissen, was man in seinem kleinen Moment in jeder Sekunde und jeder Minute tut und sagt."

Neuwirths Schaffen: zeitgebunden und zeitlos zugleich

Olga Neuwirths künstlerischen Schaffen ist eng angebunden an unsere Zeit und gleichzeitig absolut zeitlos. Ob mit einem androgynen Orlando in der verkrusteten Institution Oper, die sie als System kurz vor dem Zerfall sieht oder mit ihren sozialpolitisch aufgerauten Texten. Mit allem, was sie macht, setzt Olga Neuwirth Zeichen. Einmal Punk, immer Punk. Da könne man nichts machen, das sei nun mal so. Auch wenn sie jetzt in der Neuen Musik gelandet sei. Als weibliches Vorbild nennt Olga Neuwirth übrigens auch heute keine Frau aus dem Musikbetrieb, sondern die Sea Watch 3-Kapitänin und politische Aktivistin Carola Rackete.

Sendung: Allegro am 8. März 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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