Als "unverwechselbare Stimme unter den herausragenden Komponisten unserer Zeit" würdigt die Ernst von Siemens Musikstiftung den griechischen Komponisten Georges Aperghis. Am 22. Februar 2022 bekommt Aperghis den oft als Nobelpreis der Musik bezeichneten Ernst von Siemens-Musikpreis 2021 in der Münchner Muffathalle verliehen – pandemiebedingt ein Jahr verspätet. Preisgeld: 250.000 Euro. Ausgezeichnet wird damit einer der Großen der Neuen Musik, der sich nie wirklich einer bestimmten Strömung zuordnen ließ – und einer, von dessen Menschlichkeit und Wärme seine Mitmenschen immer wieder schwärmen.
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Zärtlicher Revoluzzer
Der Komponist Georges Aperghis
Komponieren als Selbsttherapie, als schöpferisches Bei-sich-Sein – diese Erfahrung zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Georges Aperghis. Schon als Kind habe er viel Zeit für sich gebraucht, sagt der 75-jährige Grieche. Dabei komponiert er natürlich längst nicht nur zum eigenen Seelenheil. Er schreibt auch an gegen die Einfalt, gegen die blutleere Langeweile des Immergleichen. Aperghis weiß um die süße Bequemlichkeit des Vertrauten – und fordert: "Man muss bereit und offen sein für alles."
"Für mich ist Komponieren eine Art Medikament, ein Medikament gegen die Gewalt des Lebens." Georges Aperghis
Zuhause in der Bastille: Der griechische Wahlpariser Georges Aperghis | Bildquelle: Rui Camilo EvS Musikstiftung
Aperghis liebt das Zerbrechliche und Flüchtige. Ihn bewege eine zärtliche Aufmerksamkeit für vernachlässigte, angeblich wertlose Klänge, sagt er. Das Bedürfnis, die Dinge umzuwerten, sie umzukehren, prägt sein künstlerisches Selbstverständnis ganz generell: aus Gesellschaftlichem Intimes machen, aus Klanglichem Visuelles, aus Theater Konzert, aus Worten Musik.
Bei aller inneren Einkehr liebt Aperghis jedoch auch das bunte Leben, die belebte Straße in der Pariser Bastille, in der er seit vielen Jahren wohnt. Eine Straße voller Cafés, Nachtclubs, Tanzlokale. Mit viel Stoff für Theater im Kopf. Überhaupt: Theater. Mehr als zwanzig Opern und Musiktheaterstücke hat George Aperghis geschrieben.
Möglich, dass die Wurzeln dieser Aufgeschlossenheit – gegenüber dem Leben wie gegenüber anderen Künsten – auch in seiner Kindheit liegen. Geboren wird Georges Aperghis 1945 in Athen, als Giorgios Aperghis. Kunst ist im Elternhaus allgegenwärtig. Die Mutter malt, der Vater ist Bildhauer. Und Giorgios tritt in ihre Fußstapfen, organisiert schon mit zwölf erste Ausstellungen. Die Musik schleicht sich eher nebenbei in sein Leben. Vor allem in Form klassischer Symphonien, die aus dem Radioapparat knistern – begleitet von den Hammerschlägen, die aus dem väterlichen Atelier tönen und dem polyphonen Stimmgewitter das von der Straße heraufdringt: eine Wunderkammer der Klänge, aus der Aperghis später noch schöpfen wird.
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Georges Aperghis im Interview
"Komponieren ist für mich wie Essen und Trinken"
Zu seiner ganz eigenen Stimme im Stimmgewitter der Pariser Avantgarde findet Aperghis spätestens mit seinen Récitations für Stimme solo aus dem Jahr 1978. Aperghis arbeitet darin nicht mit Noten und Tonhöhen, sondern mit Silben und Phonemen, zerlegt die Sprache in ihre Einzelteile. Man mag darin eine Nähe zur zeitgenössischen Philosophie erkennen. Zur poststrukturalistischen Linguistik, die die Wörter ebenfalls in ihre Bestandteile auflöst, auf der Suche nach ihren Elementen, den Atomen, aus denen ihre Bedeutung entsteht. Aperghis interessiert sich jedoch nicht für den Sinn, sondern für den Klang der Worte: das geheime Alphabet aus Klangfarben und Schattierungen, das man überhört, wenn man aufs Begreifen aus ist.
Georges Aperghis bei einer Probe der musica viva im Münchner Herkulessaal | Bildquelle: Astrid Ackermann Das Interesse für das Verhältnis von Sprache und Klang bleibt eine Konstante in der Arbeit von Georges Aperghis. Genauso seine Vorliebe für die kleine Form: Vokal-, Klavier- und Kammermusik dominieren sein Schaffen. Orchesterwerke bleiben die Ausnahme. Darunter seine Études, die 2015 in München zur Uraufführung kommen, befreit von allem postromantischen Pathos, ausgedünnt und gelichtet im Klang. Ihm gelingt das Kunststück, dass das Orchester, dieses musikalische Schwergewicht, zart leuchtet. Georges Aperghis spricht kein Deutsch, aber ein deutsches Wort ist ihm beim Komponieren einmal begegnet und seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen: Augenblick. Mit dem Ernst von Siemens-Musikpreis ist auf jeden Fall ein großer für ihn gekommen.
Den ganzen Festakt zur Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreis 2021 vom 22. Febuar 2022 können Sie hier als Video-Stream sehen.
Sendung:
"Allegro" am 22. Februar 2022 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Preisverleihung – Festakt am 22. Februar 2022 ab 18:30 Uhr auf BR-KLASSIK
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