Raritäten only: Das ist das Motto des diesjährigen Rossini-Festivals in Pesaro. Und so gab es gleich zum Auftakt die selten gespielte Oper "Eduardo e Christina", von einem Musikwissenschaftler dereinst als "Instant-Oper" geschmäht. In Pesaro tritt man den Gegenbeweis an.
Bildquelle: colourbox.com
Dem Gründungsimpuls, wenig bekannte Werke Giacchino Rossinis neu zu erschließen und neu zu erkunden, kommt das seit 1980 in Rossinis Geburtsstadt bestehende Festival dieses Jahr besonders entgegen. 2023 zeigt es ausschließlich Raritäten. Neben einer Neuproduktion von "Adelaide di Borgogna" und einer Wiederaufnahme von "Aureliano in Palmira" nun zur Eröffnung – erstmals in Pesaro – "Eduardo e Christina".
Zuvor war dieses "Dramma in musica" allerdings schon beim deutschen Rossini-Festival in Bad Wildbad gezeigt worden. In Italien hatte man lange gezögert, zunächst weil es kein Originalmanuskript gab, vor allem aber, weil diese Oper eine Art Pasticcio ist und das Libretto über das schwedische Liebespaar Eduardo und Christine und deren uneheliches Kind fast ausschließlich von Rossini mit Arien und Chören aus früheren Opern bedient wurde. Die Uraufführung 1819 in Venedig war zwar ein sensationeller Erfolg (das Publikum habe, schreibt Lord Byron, Rossini danach wie einen Kaiser gefeiert), doch Rossini-Forscher wie Richard Osborne nannten das Werk eine "Instant-Opera" – "geschmacklich vergleichbar einer Tüten-Suppe".
Aber liegt einer solchen Vorstellung nicht auch etwas antiquierter Werkbegriff zugrunde, wie nun die Aufführung in Pesaro überzeugend zeigen kann? Schon in der aus zwei Opern montierten Ouvertüre entwickelt Jader Bignamini mit dem Orchestra "Sinfonica Nazionale della RAI" eine pulsierende Dynamik, die das Werk durchzieht und ihm durchaus trotz Montage eine einheitliche Note verschafft.
Die Inszenierung, oder besser Installation von Stefano Poda unterstreicht dabei die abstrakte Struktur. Poda ist nicht nur Regisseur, Bühen- und Kostümbildner, sondern vor allem auch Choreograph eines Bewegungschores, der die Figuren umschleicht und umtanzt. Stefano Poda, der zuletzt in ähnlicher Weise in der Arena di Verona "Aida" inszeniert hat, distanziert sich programmatisch von jedem realistischen Konzept, mit der, wie er meint, unsere gegenwärtige Epoche im Theater "vergiftet" sei.
Die Bühne – ein Museum mit Skulpturen. Oder ist es eine Leichenhalle? Vorgeführt wird – bis auf die Hauptfiguren alle in weißen, hellgrauen oder schwarzen Gewändern und Gesichtsmasken – eine abstrakte Konstellation zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Tochter, sowie zwischen Mutter und Kind – jede Situation vom Tod existentiell bedroht. Eduardo und Christine sind das Paar schlechthin, so wie es Tristan und Isolde oder Romeo und Julia sind. Als Hintergrund dient eine bedrängende Kriegssituation: Die russischen Truppen sind vom schwedischen Heer geschlagen worden, beginnen einen Aufstand und werden schließlich in Stockholm erneut geschlagen.
Das Liebespaar ist dabei – nicht nur von der Stimmlage – gleichgeschlechtlich. Auch das scheint durchaus Rossinis Figurenkonstellationen nahe. Daniela Barcellona, die mit einer ähnlichen Rolle, dem Feldherrn "Tancredi", 1999 in Pesaro ihren Ruhm begründete und dort Publikumsliebling wurde, zeigt sich in der Rolle des Eduardo mit ungebrochener Strahlkraft. Das Gegenüber der erfolgreichen Sängerin: Anastasia Bartoli, eine Debütantin. Sie wird im Lauf des Abends immer überzeugender. Und schließlich ist da noch der hartherzige, die eigene Tochter aus juristischer Raison morden wollende Vater, ein harter finsterer Tenor: Enea Scala. Und im Hintergrund ein warmer Bass von Grigory Shkarupa als Giacomo, der vom Vater als Schwiegersohn gedacht war.
Wenn auch nicht alle im Publikum sich auf das – zugegeben – auch bisweilen ein wenig ermüdende abstrahierende Konzept von Stefano Poda einlassen wollten, am Ende überwiegend viel Zustimmung im Sportpalast in Pesaro. Es gibt also in Rossinis Bayreuth weiterhin Unerwartetes und Neues zu erkunden.
Sendung: "Piazza" am 12. August ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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