Weiße Weihnachten? In Argentinien gibt es das nie. Das hindert Countertenor Franco Fagioli jedoch nicht am Feiern. Bei einem Konzert mit dem BR-Chor hat er nun auch den Winter in Bayern kennengelernt. Im Interview verrät er außerdem, warum Händels Musik nicht ins Museum gehört.
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BR-KLASSIK: Herr Fagioli, verraten Sie uns, wie Sie persönlich Weihnachten feiern?
Franco Fagioli: Das Lustige beim Thema Weihnachten ist für mich, dass ich es immer mit Sommer verbinde - mit 38 oder 40 Grad. Ich komme aus Argentinien, aus der Stadt Miguel de Tucumán, also aus der südlichen Hemisphäre. Ich finde es lustig, wenn ich zum Beispiel mit Menschen in Deutschland darüber spreche und sie frage, ob sie sich Weihnachten am Swimmingpool vorstellen können.
BR-KLASSIK: Haben Sie einen Weihnachtsbaum?
Franco Fagioli: Ja, wir haben auch einen Baum. Auch wenn bei uns an Weihnachten Sommer ist, feiern wir es so, als ob Winter wäre - in jeder Hinsicht. Wir haben auch die Krippe mit Maria und dem Jesuskind - und wir singen Weihnachtslieder. Auch das Essen ist "winterlich": Es gibt Trockenfrüchte oder Panettone. Argentinien ist ein Land mit großer europäischer Tradition. Wir feiern Weihnachten, wie man es aus dem Fernsehen kennt - nur eben bei 40 Grad Celsius.
BR-KLASSIK: Sie haben vor kurzem das Weihnachtskonzert mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks in der wunderschönen Klosterkirche der Benediktinerabtei Rohr in Niederbayern aufgezeichnet. In Bayern haben Sie dabei eine andere Art von Weihnachten kennengelernt. Hier ist es sehr kalt und winterlich. Wie hat Ihnen das gefallen?
Franco Fagioli: Ich mag es sehr. Am Tag des Konzerts hat es sogar geschneit. Es war eine pefekte Umgebung für dieses Weihnachtskonzert - ein großartiger Abend.
Ich empfinde mich als 'musikalischen Moderator'.
BR-KLASSIK: Bei ihrer neuen Händel-CD "Handel Arias" (erscheint im Januar 2018) haben Sie erstmals selbst dirigiert. Das ist ein ganz neuer Schritt für Sie in Ihrer Karriere, oder?
Franco Fagioli sieht sich als Musiker, nicht nur als Sänger. | Bildquelle: © Stephan Boehme Franco Fagioli: In Europa hatte ich das bisher noch nicht getan. Aber für mich persönlich ist es nicht neu. "Dirigieren" mag vielleicht das korrekte Wort sein, aber ich mag es nicht, wenn es sich um Musik von Händel oder Barockmusik ganz allgemein handelt. Denn damals gab es noch keine Dirigenten - jedenfalls nicht in dem Sinne, wie wir das ab dem 19. Jahrhundert kennen. Es war einfach nur der Komponist, der am Cembalo saß und die Musiker dirigierte. Was mich betrifft, würde ich lieber von einem "musikalischen Moderator" sprechen. Beim Händel-Album habe ich, wenn man so will, ein bisschen dirigiert und versucht, dem Orchester den Charakter der einzelnen Arien zu vermitteln. Eine wundervolle Erfahrung!
BR-KLASSIK: Sie gestikulieren viel beim Reden. Ich könnte mir vorstellen, dass viel Energie in Ihnen steckt, was beim Dirigieren auch gut ist - vor allem wenn Sie alleine mit einem Orchester in einem Studio sind, keine Kostüme anhaben, und sich die Arie nicht innerhalb einer Oper bzw. einer Handlung abspielt.
Franco Fagioli: Ja, ich liebe es zu dirigieren - Chöre wie Orchester. Ich werde es auch in Zukunft tun, wenn ich die Möglichkeit dazu habe. Ich sehe mich als Musiker, der im Moment Sänger ist. Und die Aufnahme des Händel-Albums war die perfekte Gelegenheit, mich als Musiker zu fühlen. Mal habe ich dirigiert, mal gesungen - aber immer mit viel Energie.
Ich habe eine besonders enge Beziehung zu Händel.
BR-KLASSIK: Händel und Countertenor, das gehört einfach zusammen. Dieses Album war also fällig, wie ich vermute - oder?
Franco Fagioli: Ja, auf jeden Fall: Händel ist ein "Muss" für Countertenöre. Wir singen meist die Musik von Händel, die für Kastraten bestimmt war. Und jetzt war einfach der richtige Moment für eine Art Hommage an den Komponisten Händel. Seit ich in Europa singe, verbindet mich ich eine besonders enge Beziehung zu ihm - und ich habe viel vom ihm aufgeführt. Für die CD habe ich Arien ausgewählt, die für mich im Laufe meines Sängerlebens besonders wichtig waren.
Georg Friedrich Händel schrieb Opern zur Unterhaltung des ganzen Volkes - für Franco Fagioli ein Ideal, das bis heute gelten sollte. | Bildquelle: Wikimedia Commons
BR-KLASSIK: Haben Sie sich mit den verschiedenen Kastraten, für die Händel geschrieben hat, beschäftigt? Etwa mit dem Leben von Senesino, einem der größten Stars damals, einem sehr reichen Mann, der fast mehr Macht hatte als Händel selbst?
Franco Fagioli: Kastraten und ich - wir sind sehr gute Freunde (lacht). Wenn man diese Musik singt, beschäftigt man sich auch viel mit den großen Stars von damals - Senesino, Caffarelli oder Giovanni Carestini. Es ist großartig, von diesen Sängern zu lesen und etwas über sie zu wissen. Das ist wichtig, um in die richtige Stimmung zu kommen und die Musik lebendig zu interpretieren. Zu Händels Zeit war Oper Unterhaltung, die für alle Menschen gedacht war. Wir müssen zu der Idee zurückkehren, dass Oper eine flexible Kunst ist - eine lebendige Kunst, kein Museum.
Sendetipps:
Freitag, 22. Dezember 2017, 16.15 Uhr in "Das Erste": Weihnachtskonzert aus der Klosterkirche Rohr mit dem BR-Chor
Sonntag, 24. Dezember 2017, 17.45 Uhr im BR Fernsehen: Weihnachtskonzert aus der Klosterkirche Rohr mit dem BR-Chor
"Handel Arias"
Franco Fagioli, Countertenor
Il Pomo d'Oro
Zefira Valova, Leitung
Label: Deutsche Grammophon
Erscheint: 12. Januar 2018