Seine Leidenschaft waren Operetten mit düsterem Schluss, jedenfalls im Alter: Franz Lehár lässt auch seinen "Zarewitsch" tragisch enden. Gegen den russischen Geheimdienst und die italienische Mafia ist die Liebe machtlos. Das berührte die Zuschauer beim Lehár-Festival in Bad Ischl, wo der "Zarewitsch" am 17. Juli Premiere hatte.
Bildquelle: fotohofer/Lehár-Festival Bad Ischl
Die Kritik zum Anhören
Sie macht derzeit einen ziemlich traurigen Eindruck, die einstige Villa von Franz Lehár in Bad Ischl, nicht wegen des Dauerregens und der hochwasserführenden Traun, sondern weil sie dringend renovierungsbedürftig ist. Vier Millionen Euro soll das kosten, bis 2024, wenn Ischl Europäische Kulturhauptstadt sein wird, sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Doch vielleicht passt der jetzige ramponierte Zustand der Villa, in der Lehár viele seiner späten Operetten komponiert hat, viel besser zum Werk und Charakter des Meisters: Im Alter wurde Lehár nämlich immer pessimistischer und leistete sich ab Mitte fünfzig den Luxus, Operetten zu vertonen, die kein Happy End haben, darunter neben dem "Land des Lächelns" auch der "Zarewitsch", der beim Festival in Ischl Premiere hatte.
"Der Zarewitsch" beim Lehár-Festival Bad Ischl 2021, Szenenfoto | Bildquelle: fotohofer/Lehár-Festival Bad Ischl Der Zarensohn muss auf die Liebe seines Lebens verzichten und sich am Ende ganz und gar der Macht verschreiben, sehr real, die Träume von einem "freien" Leben in Neapel unter Zitronenbäumen und am Strand hinter sich lassen. Das inszenierten Isabella Gregor und ihr Ausstatter Toto so berührend wie zeitgemäß: Das immer die falschen Ehrgeizlinge Politiker werden, kam ebenso vor wie der neueste Kokain-Skandal vom Attersee. Und fast immer ragte die gigantische Zaren-Krone ins Bild, gelegentlich schimmernd wie ein Juwel, Sinnbild dafür, dass die absolute Macht keinen Widerspruch duldet. Putin hatte demgemäß einen Kurzauftritt und dass der russische Geheimdienst gern Leute vergiftet, blieb auch nicht unerwähnt. Der Zarewitsch fand sich immer wieder in einem Glaskäfig wieder, abgeschirmt vom Volk, isoliert von sich selbst.
Insofern wurde der Anspruch eingelöst, den Festivalleiter Thomas Enzinger an die Operette hat: "Man hat immer Angst davor, dass man die Geschichten erzählt. Ich glaube grundsätzlich, dass die heutige Erzählweise, die Sprache eine andere ist vom Tempo her – eine Operette hat ja viele Dialoge – dass man das alles raffen muss. Es kommt viel mehr darauf an, als dass man rundherum eine große Show bietet. Ich glaube, ein Stück ist vielmehr gerechtfertigt, wenn es ein gutes Stück ist. Man hinterfragt ja auch einen Shakespeare nicht jedes Mal, sondern versucht, ihn heutig auf die Bühne zu bringen."
Über gut zweieinhalb Stunden fesselte der "Zarewitsch" die Zuschauer – viel länger hätte er allerdings auch nicht sein dürfen. Nach der Pause gab es den einen oder anderen Moment, bei dem "Leerlauf" drohte. Und das hat wohl weniger mit Lehár zu tun als mit Film und Fernsehen. Thomas Enzinger: "Eine 'Gräfin Mariza' hat bei der Uraufführung fünfeinhalb Stunden gedauert, das geht heute nicht mehr, das ist eine ganz andere Zeit. Und dem muss man einfach gerecht werden. Das Theatererlebnis muss der heutigen Erzählstruktur entsprechen, ohne dass man die Seele der Stücke verliert."
In Bad Ischl müssen sie mit vergleichsweise wenig Geld auskommen, trotzdem erwies sich der "Zarewitsch" musikalisch und szenisch als absolut sehenswert, woran Dirigent Markus Burkert und vor allem Anne-Fleur Werner in der Hauptrolle der Sonja ihren Anteil hatten. Auch Bernhard Berchtold in der Titelrolle meisterte seinen Part achtbar, wenn auch schauspielerisch etwas kühl.
"Der Zarewitsch" beim Lehár-Festival Bad Ischl 2021, Szenenfoto | Bildquelle: fotohofer/Lehár-Festival Bad Ischl Ein Festivalort mit einem unerreichten Charme: "Das Schöne hier in Ischl ist, mal unabhängig von der Geschichte, dass ja hier ganz, ganz viele Stücke entstanden sind. Schräg gegenüber ist zum Beispiel die 'Csárdásfürstin' geschrieben worden von Emmerich Kálmán. Und ich kann hier auch das ganze Wissen, das ich gesammelt habe, die Erfahrungen, umsetzen. Die ganzen Kontakte helfen mir, die Wegbegleiter kommen gerne hierher, und wir können dann Theater machen, wie wir es uns vorstellen, ohne manche Zwänge der Staats- und Stadttheater, und können hier auch mit weniger Geld auch Träume umsetzen."
Auch die "Csárdásfürstin" in Ischl in der Regie des Festivalchefs war umjubelt, hier spielte der junge Kärtner Bariton Matthias Störmer als "Boni" alle Mitwirkenden förmlich an die Wand mit seiner nimmermüden Energie. Er sang im Liegen, Sitzen und Stehen, beim Walzer, beim Champagner und auf der Flucht. Da hatten es selbst Ursula Pfitzner in der Titelrolle und Tenor David Sitka nicht leicht mitzuhalten, zumal sie stückgemäß eher sentimentale Auftritte hatten. Thomas Enzinger hatte die Handlung in die Julikrise 1914 verortet, also kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Deshalb gönnte er dem Publikum auch in diesem Fall kein "Happy End". Stattdessen marschierten am Ende die Soldaten in die düstere Endzeit der Doppelmonarchie. Gleichwohl eine stimmige, ungemein temperamentvolle und rasante Aufführung, die selbst das eher gesetzte und ältere Nachmittagspublikum dermaßen elektrisierte, dass das Orchester beim rhythmischen Mitklatschen vier Reprisen einlegen musste. Operettenglück ohne jede Betulichkeit!
"Der Zarewitsch" beim Lehár-Festival Bad Ischl 2021, Szenenfoto | Bildquelle: fotohofer/Lehár-Festival Bad Ischl Insofern stehen die Zeichen gut fürs Kulturhauptstadtjahr 2024, das allerdings mit personellen Querelen Schlagzeilen machte. Der gerade erst eingestellte Künstlerische Geschäftsführer Stephan Rabl wurde im vergangenen März entlassen, weil "die Zugänge zur inhaltlichen Ausrichtung des Projekts sowie zur Kommunikation nach innen und außen zu unterschiedlich" gewesen seien. Von Verwerfungen im Vorbereitungsteam war die Rede. Wie auch immer: Die Lehár-Villa wird bis zum großen Event hoffentlich ihre Melancholie trotz der umfassenden Auffrischung nicht verlieren.
Informationen zu Terminen und Vorverkauf enthalten Sie auf der Homepage des Festivals.
Sendung: "Leporello" am 19. Juli 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK