Wotan hält sich mit Yoga und alternativen Fakten bei Laune und die Götter vorläufig an der Macht - doch das Publikum in Tirol hat schon Brandgeruch in der Nase. Brigitte Fassbaender gelingt eine umjubelte Inszenierung, musikalisch ruckelte es noch.
Bildquelle: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl
"Düstere Unterhaltung" hatte Regisseurin Brigitte Fassbaender im Programmheft versprochen, aber was ist das eigentlich? Eine Mischung aus Schauerdrama und Operette? Eine Kombination aus Beerdigung und Hochzeit? Jedenfalls ist Richard Wagners "Rheingold" von allem etwas und war in diesem Fall ebenso fesselnd wie kurzweilig, eine wirklich rabenschwarze und von der ersten Minute an packende Geschichte, und einer der Krähen-Vögel saß denn auch unbewegt und stumm in seinem Käfig und schaute dem zerstörerischen Treiben der Götter zu, bis ihm eine letzte Handvoll Futter gereicht wurde und eine Art Leichentuch die Sicht versperrte.
Wagner-Fans wissen natürlich, dass die Raben Wotan ständig über die Geschicke der Welt auf dem Laufenden halten. Das dürfte hinter Gittern allerdings schwierig sein. Oder anders ausgedrückt: Wotan lässt seine informellen Mitarbeiter schon lange nicht mehr fliegen und hält sich offenkundig lieber an alternative Fakten. Deshalb neigt er auch zum Träumen und zum Größenwahn, was nicht nur seine Gattin ernsthaft besorgt. Ähnlichkeiten mit aktiven Politikern liegen auf der Hand.
Ausstatter Kaspar Glarner musste sich im Passionsspielhaus von Erl natürlich bescheiden, es gibt dort weder eine Drehbühne, noch eine Unter- und Obermaschinerie, dafür aber einen riesigen Raum und ein Orchester, das traditionell hinter einem Gaze-Vorhang im Bühnenhintergrund spielt. In den Momenten, wo eine schattenhafte Bergwelt auf die Leinwand projiziert wurde, sah das aus, als ob auf den Hügeln Sommernachts-Feuer brannten, weil die goldfarbenen Blechblasinstrumente das Licht reflektierten.
Und tatsächlich, nach der Vorstellung, als das Publikum zum festivaleigenen Parkhaus eilte, flammte der Horizont im Inntal von einem herannahenden Gewitter blutrot, als ob das Wetter schon auf die "Walküre" einstimmen wollte, wo der Feuerzauber und die Felsen bekanntlich eine wesentliche Rolle spielen. Zufall, natürlich, aber einer, den so nur die raue Poesie der Tiroler Bergwelt hervorbringen kann. Brigitte Fassbaender gelangen auf der Bühne einige ungemein intensive Szenen, gerade auch für Wagner-Insider: Die Rheintöchter, die den Nibelung Alberich so schmählich abblitzen lassen, sind allesamt ratzekahl und reißen sich die Perücken vom Kopf - aalglatt eben. Und als der liebestolle Zwerg seiner Sehnsucht entsagt, um sich der dunklen Seite der Macht zu verschreiben, scheint er aufrichtig über sich selbst erschrocken - weiß er doch, dass er sich und sein Glück verneint. Nicht von ungefähr hält er seine Untertanen fortan mit einem Schlagring unter Kontrolle.
Donnerschlag: Götterriege in Erl | Bildquelle: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl Außer einigen Möbeln aus dem Inventar der Götter, einschließlich ein paar Hutschachteln und einer Stehlampe, die sie prompt mit in den Himmel schleppen, ist die Bühne leer. Eigens angefertigte Seiten-Wände in Betonoptik machten das karge Festspielhaus noch mehr zum Bunker, zu einem Kampfplatz um die Weltherrschaft. Und die Götter sind tatsächlich allesamt keine Sympathieträger - Loge, der trickreiche Flammenwerfer, ist um keine Brutalität verlegen und weiß, dass seinem Chef alle Mittel recht sind. Nach den Pyro-Effekten schwappte prompt eine Brandgeruch-Wolke über das Publikum hinweg - als ob die "Götterdämmerung" bereits in die Nase steigt. Klug wird immer wieder die weitere Handlung der vierteiligen Saga angedeutet. So fixieren sich Wotans eifersüchtige Ehefrau Fricka und die plötzlich auftauchende Urmutter Erda wie bei einem tödlichen Duell, wissen sie doch, dass die eine die andere demnächst in Wotans Bett ablösen wird.
Und beim Göttervater verstauben gleich ein halbes Dutzend Speere, scheinbar für jeden Wochentag ein anderer. Der Mann entspannt sich zwar bei Yoga-Übungen, kann sein Gewissen aber jederzeit abschalten. Und im Schlussbild liegt der ermordete Riese Fasolt ausgestreckt auf dem Boden, sein Zylinder baumelt am Schaft des Speeres, der ihn aufspießte. Ein Schreckensort wie der berüchtigte Geßler-Hut aus Schillers "Wilhelm Tell", der ja auch von unbeherrschter Macht kündet - so grüßt der Fluch der Rings zu den letzten Akkorden allseits in den Saal. Szenisch also eine in jeder Hinsicht überzeugende Inszenierung.
Musikalisch blieben einige Wünsche offen: Dirigent Erik Nielsen, im Hauptberuf Chef des Sinfonieorchesters von Bilbao, hatte noch etwas Mühe mit dem XXL-Orchester, in dem zum Beispiel sechs Harfen spielen. Sein Vorgänger Gustav Kuhn, jahrelang in Erl für Wagner zuständig und gleichzeitig Festivalgründer, trieb die Musiker zu Höchstleistungen an, allerdings mit einem umstrittenen Führungsstil, dem Wutanfälle nicht fremd waren. So vertraut, wie er einst mit dem Klangkörper war, kann ein Nachfolger nicht sein. So gab es Unkonzentriertheiten und hier und da auch mal Tempo-Wackler.
Ian Konziara als Loge im lodernd gelben Outfit | Bildquelle: Xiomara Bender/Tiroler Festspiele Erl Gleichwohl meisterte Nielsen die Partitur und die nicht einfache Akustik achtbar, wenn auch noch mit wenig eigenem Profil. Unter den Sängern ragten der Amerikaner Craig Colclough als Alberich und sein Landsmann George Vincent Humphrey als Mime heraus - ein wunderbar tatkräftiges und stimmgewaltiges Nibelungen-Duo. Der englische Bariton Simon Bailey war ein ungemein lässiger Wotan und gerade deshalb umso aasiger und furchteinflößender in seinem Charakter. Thomas Faulkner rührte als liebessehnsüchtiger Riese Fasolt, Ian Konziara als Loge im lodernd gelben Outfit mit stets griffbereitem Feuerzeug überzeugte mit vergleichsweise dunkler Tenorstimme und diabolischem Eifer. Insgesamt ein beachtlicher "Ring"-Auftakt in Erl, der auch entsprechend lautstark bejubelt wurde.
Brigitte Fassbaender, die sich mit dem Ehrentitel einer Kammersängerin schmücken darf und lange Jahre in Innsbruck Intendantin war, durfte sich übrigens im Anschluss an die Premiere über eine weitere Auszeichnung freuen: Sie bekam für ihr Lebenswerk die "Nachtigall" der deutschen Schallplattenkritik, rückwirkend für das Jahr 2020. Die Trophäe wird in unregelmäßigen Abständen an "Ausnahmekünstler, die das Musikleben nachhaltig beeinflusst und zum Besseren gewendet haben" verliehen. Die 82-jährige Regisseurin gehört ohne Zweifel zu diesem kleinen Personenkreis. Sie ist nach wie vor beneidenswert vital und fleißig und hat in den vergangenen Jahren nicht zuletzt in München und Regensburg einige maßgebliche Inszenierungen abgeliefert.
Sendung: "Allegro" am 12. Juli 2021 ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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