Seit fünf Jahren widmet sich Giovanni Antonini intensiv der Musik von Joseph Haydn. Bis 2032 möchte er alle 107 Symphonien des Komponisten neu einspielen. Parallel dazu gastiert er gerade in Bayern mit seinem Orchester Il Giardino Armonico und dem Chor des Bayerischen Rundfunks.
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BR-KLASSIK: Joseph Haydns "Schöpfung" hat das Publikum bei der Uraufführung zum Ausflippen gebracht. Es gab Zwischenapplaus und großes Gejohle, obwohl das Stück keine Oper, sondern ein Oratorium ist. Was hat die Leute damals so umgehauen?
Giovanni Antonini: Der Grund dafür liegt sicherlich in den musikalischen Effekten, die Haydn hier eingebaut hat. Die "Schöpfung" ist ein geniales Werk. Außerdem war es damals durchaus üblich, seine Zustimmung auch während der Aufführung kundzutun. Mozart hat in seinen Briefen beschrieben, wie das Pariser Publikum während seiner Symphonie geklatscht hat. Und er selbst hat sich sehr darüber gefreut. Man könnte die Situation vielleicht mit einem Rockkonzert vergleichen. Ich fände es toll, wenn es heute wieder so wäre. Ich habe nichts dagegen, wenn man nach nur einem Satz klatscht. Manche Leute, die vielleicht nicht so oft ins Konzert gehen, applaudieren eben nach einem Satz. Dann wird natürlich gleich gezischt. Aber mir ist eine spontane Reaktion viel lieber, weil wir diese Art von Kommunikation zwischen der Bühne und dem Publikum brauchen.
BR-KLASSIK: Wenn Sie sich die "Schöpfung" vornehmen und sie mit den Musikern gemeinsam erarbeiten, wie sieht Ihre Partitur danach aus?
Giovanni Antonini: Ich schreibe eigentlich nicht viel hinein. Manchmal notiere ich mir, was die Musik uns vermitteln will. Haydn hat in der Einleitung und in den Übergängen besonders darauf geachtet, den Text für uns verständlich zu machen. Auch wenn der Text vielleicht nicht unbedingt eine dichterische Höchstleistung ist, enthält er doch eine Menge Bilder: Bilder aus der Natur oder geistliche Bilder. Sie werden in dieser Musik so deutlich, dass wir als Interpreten sie verstehen und diese Stimmung klanglich direkt umsetzen können. Eine sehr schwierige Stelle gibt es gleich zu Beginn. Nach der "Vorstellung des Chaos", die sehr wild und eindrucksvoll klingt, setzt der Chor im Pianissimo ein. Direkt danach beginnt der nächste Abschnitt – "Die Erschaffung der Welt" – in einer völlig anderen Stimmung.
Haydn hatte eine Art intuitive Vorstellung von der Entstehung des Universums.
BR-KLASSIK: Diese Abwechslung zwischen Helligkeit und Dunkelheit zieht sich durch das ganze Stück.
Giovanni Antonini: Die berühmteste Stelle ist sicherlich der Moment, wenn Gott das Licht erschafft. Diese Explosion bezieht sich auf das Leben überhaupt. Im Grunde wird hier der Big Bang dargestellt. Haydn und auch Beethoven hatten bestimmt schon eine Art intuitive Vorstellung von der Entstehung des Universums, lange bevor die Wissenschaft uns darüber aufgeklärt hat.
BR-KLASSIK: Der Humor kommt in dem Werk auch nicht zu kurz. Im zweiten Teil gibt es eine Stelle, wo Haydn Löwe und Tiger, Schafe, Insekten und sogar Würmer auftreten lässt. Wie setzt er diesen Zoo musikalisch um?
Giovanni Antonini: Wie so oft bei Haydn, findet man hier viel Ironie und auch Humor. Die Wurzeln dieser musikalischen Malerei liegen für mich eindeutig in der Barockmusik. Später haben viele Komponisten diese Art der Umsetzung als zu eindeutig abgelehnt. Es war einigen nicht metaphysisch genug, in der Romantik wurde es dann sogar schlicht als zu banal gesehen. Ich finde es bei Haydn jedenfalls genial. Vor allem das "Gewürm" ist natürlich besonders wirkungsvoll.
Haydn hatte immer sein Publikum im Blick. Sein Publikum kannte ihn genau – und umgekehrt.
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BR-KLASSIK: Ich könnte mir vorstellen, dass so eine Passage besonders viel Spaß macht, weil Haydn an der Stelle nicht nur der seriöse Komponist ist, der König des Streichquartetts, sondern wirklich etwas Menschliches bekommt und einem plötzlich sehr nahe ist.
Giovanni Antonini: Man spürt natürlich auch immer die Persönlichkeit eines Komponisten durch seine Musik. Und Haydn hatte immer sein Publikum im Blick. Sein Publikum kannte ihn genau – und umgekehrt. Dieses Verhältnis spiegelte sich in der Musik wider. Es wurde ständig etwas Neues von ihm erwartet. Das hat ihn natürlich auch angespornt. Haydn hat ja ein unglaubliches Gesamtwerk geschaffen mit seinen über hundert Symphonien, seinen Oratorien und Messen und seiner Kammermusik. Betrachtet man dieses Schaffen chronologisch, kann man auch seine Entwicklungsschritte sehr gut nachvollziehen. Wir haben hier ein ganzes musikalisches Universum, in dem seine Persönlichkeit, sein Humor und seine Lebenseinstellung überall spürbar werden.
Montag, 13.05.2019
Augsburg, Heilig-Kreuz-Kirche
Konzertbeginn: 19:30 Uhr
Joseph Haydn
Die Schöpfung
Oratorium in drei Teilen für Soli, Chor und Orchester, Hob. XXI:2
(Pause nach dem ersten Teil)
Anna Lucia Richter, Sopran
Ruth Volpert, Alt
Maximilian Schmitt, Tenor
Florian Boesch, Bariton
Chor des Bayerischen Rundfunks
Einstudierung: Peter Dijkstra
Il Giardino Armonico
Leitung: Giovanni Antonini
Sendung: Leporello am 13. Mai 2019, 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.