Den Eintritt ins Rentenalter hat der Dirigent Hartmut Haenchen schon vor zehn Jahren auf unbestimmte Zeit verschoben. Damals wünschte er sich als 65-Jähriger nur zwei Dinge: "Noch viele musikalische Einsichten und Gesundheit, um diese zu verwirklichen."
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Hartmut Haenchen zum 75 Geburtstag - ein Porträt
Hartmut Haenchen steht schon immer voll und ganz im Dienste der Musik. Keine Skandale, keine Allüren, kein Maestrogehabe.
Ich muss es emotional rüberbringen können.
Er ist ein Denker, einer der viel hinterfragt und den Mund auch mal aufmacht, wenn ihm was nicht passt. Dass er in der damaligen DDR aneckt und sich eine umfangreiche Stasiakte zulegt, wundert nicht. Die Entscheidung, ob er 1982 an die Bayreuther Festspiele gehen will, wird ihm von der staatlich organisierten Künstleragentur abgenommen. Erst Jahre später erfährt er, dass die Einladung Wolfgang Wagners, den "Fliegenden Holländer" zu dirigieren, ihn nicht erreicht hatte.
Ich hab das nie bekommen.
Hartmut Haenchen wird während des Zweiten Weltkriegs in Dresden geboren. Die Stadt liegt in Schutt und Asche. In der ausgebrannten Kreuzkirche singt er im Chor und sammelt dort erste Erfahrungen im Dirigieren. 1980 wird Hartmut Haenchen musikalischer Leiter des Kammerorchesters "Musica Nova", einem Klangkörper, der sich vor allem auf zeitgenössische Musik spezialisiert hat; und auch da kämpft er gegen die sturen Regelungen der Einparteienregierung an. Schnell fühlt er sich im Dilemma: Nämlich das spielen zu sollen, was er nicht wollte, und das spielen zu wollen, was er nicht sollte. Einen Ausweg aus dem Dilemma findet er in der Musik von Carl Philipp Emanuel Bach. Er ist in Haenchens Augen modern, revolutionär und berlinerisch – und darüber hinaus nicht allzu bekannt. Haenchens "Carl Philipp Emanuel Bach Kammerorchester" schreibt Musikgeschichte, vor allem mit der ersten Editierung und Einspielung aller Symphonien ihres Namensgebers.
Der Dirigent Hartmut Haenchen | Bildquelle: Thomas Brill Immer wieder werden Hartmut Haenchen Posten als Dirigent angeboten, die dann wieder zurückgezogen werden. Dank eines Kulturabkommens zwischen der DDR und den Niederlanden wird er Chefdirigent der Oper in Amsterdam und kann offiziell auswandern. An bis zu 200 Abenden im Jahr steht er am Pult. Dabei ziehen sich die Werke Richard Wagners wie ein roter Faden durch seine Biographie – jüngster Höhepunkt ist 2016, als er bei den Bayreuther Festspiele sehr kurzfristig das Parsifal-Dirigat von Andris Nelsons übernimmt. Dafür unterbricht er seinen Urlaub nach nur einem Tag und fährt direkt zur Probe. Gearbeitet wird dort mit Haenchens eigenem Orchestermaterial. Das hat Haenchen zur Bedingung gemacht.
Die bis dahin in Bayreuth verwendete Erstdruckpartitur ist nicht von Wagner autorisiert. Falsche Noten, falsche Bögen, keine Artikulation. Bei Haenchens hingegen steht über fast jeder Note eine Gebrauchsanweisung, damit es dann auch genau so klingt, wie Wagner es vorgesehen hat.
Zur Ruhe kommt Hartmut Haenchen noch nicht. Ganz im Gegenteil: Einen Bruckner-Zyklus plant er mit gleich zwei Orchestern in Brüssel. Und er kehrt für seine fünfte Produktion nach Covent Garden in London zurück, mit einer seiner Lieblingsopern, nämlich Mozarts "Don Giovanni". Herzlichen Glückwunsch zum 75. Geburtstag!
Sendung: Allegro am 21.03.2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Zum 75. Geburtstag widmet BR-KLASSIK Hartmut Haenchen die Sendungen Klassik-Stars, Konzertabend und Meine Musik.