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Zum Tod von Hilde Zadek "Singen ist eine unbeschreibliche Befreiung"

Sie gehörte zu den großen Sopranistinnen des 20. Jahrhunderts: Hilde Zadek. Ihr Stammhaus war die Wiener Staatsoper, hier stand sie in 39 Rollen an fast 800 Abenden auf der Bühne. 1971 nahm sie Abschied vom Theaterleben. Jetzt ist Hilde Zadek im Alter von 101 Jahren gestorben.

Hilde Zadek als Leonore in "Fidelio" an der Wiener Staatsoper | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Hilde Zadek kommt 1917 als Tochter eines jüdischen Kaufmanns in Bromberg in der damaligen Provinz Posen zur Welt. Schon früh weiß sie, dass sie Sängerin werden will: Als kleines Mädchen verblüfft und unterhält sie ihr Umfeld als sehr begabte Stimmenimitatorin. Ihre Jugend verbringt sie in Stettin. 1934, nach den ersten antisemitischen Anfeindungen, entschließt Zadek sich zur Auswanderung nach Palästina. Allein - ihre Familie kommt erst fünf Jahre später nach. Diese Unerschrockenheit hat sie sich ihr Leben lang bewahrt. Um sich ein Gesangsstudium an der Musikakademie von Jerusalem zu finanzieren, arbeitet Hilde Zadek als Säuglingsschwester. Schon 1942 gibt sie erste Liederabende und Konzerte.

Singen ist eine so unbeschreibliche Befreiung! Eine Verbindung von Körper, Seele, Gefühlen, Erotik - von allem, was ein Mensch sich an Schönheit wünschen kann.
Hilde Zadek

Nach Kriegsende kehrt Hilde Zadek ins Land der Täter, die viele Verwandte von ihr ermordet haben, zurück – wieder ohne Familie. "Damals musste ich mich mit dem Problem auseinandersetzen, wie es mit meinen Gefühlen steht." Hilde Zadek beschließt, einen Schlussstrich zu ziehen: Sie wird die Vergangenheit zwar nie vergessen, aber sie wird sie ruhen lassen. Denn sie will singen - in Deutschland und in Österreich. Und zu ihrem Publikum will sie ein gutes Verhältnis haben: "Ich muss sie in einer gewissen Art gerne haben, liebhaben. Sonst kann ich für sie nicht singen. Bis heute bin ich der Ansicht, dass man nur in einer Atmosphäre singen kann, in der man Gutes empfindet."

Von Zweitbesetzung zur österreichischen Kammersängerin

Zu dieser Zeit ist Hilde Zadek praktisch mittellos: Aus Palästina durfte sie kein Geld ausführen. Die junge Sängerin ist auf ein Stipendium angewiesen. Das Musikkonservatorium in Zürich nimmt sie auf - und dann geht alles plötzlich ganz schnell: Hilde Zadek wird von Franz Salmhofer entdeckt, dem damaligen Direktor der Wiener Staatsoper, der in der Schweiz Urlaub macht. Nach einem Vorsingen verspricht Salmhofer ihr ein Engagement. Am 27. Januar 1947 kommt Zadek in Wien an. "Welche Vorstellung singe ich, bitte?", fragt sie gleich ganz frech. Franz Salmhofer schaut sie prüfend an und erwidert: "Kannst du am 3. Februar Aida singen?" Darauf Zadek unerschrocken: "Ja, selbstverständlich. - In italienisch? - Natürlich."

Welche Vorstellung singe ich, bitte?
Hilde Zadek

Hilde Zadek kann in Wahrheit kein Wort italienisch und schafft sich mit Mut und Chuzpe die Partie innerhalb weniger Tage drauf. Ohne Proben, aber immerhin mit Korrepetitor. Das wird in den folgenden Jahren die Regel bleiben. Auf diese Weise, nur indem sie sich ihre großen Kolleginnen anhört, erarbeitet sie sich 25 Rollen. Von der Aida bis zur Tosca, von der Figaro-Gräfin bis zur Donna Anna. Jahrelang ist sie die gute zweite Besetzung im legendären Wiener Nachkriegsensemble: Ljuba Welitsch, Irmgard Seefried, Elisabeth Schwarzkopf, Anton Dermota, Giuseppe Taddei und Julius Patzak.

Irgendwann wird Hans Knappertsbusch auf die junge Sängerin aufmerksam und wünscht sie sich als Eva. Auch diese Rolle lernt sie in wenigen Tagen. Ihren großen Durchbruch hat sie 1951 mit Gian Carlo Menottis "Konsul", und aus der langjährigen zweiten Besetzung wird über Nacht "die Zadek". Wenig später ist sie österreichische Kammersängerin.

Zadek singt als Jüdin Wagner und eckt damit an

Pausenlos erweitert sie ihr Repertoire: Leonore, Desdemona, Arabella, die Marschallin, Salome, Chrysotemis, Elsa und Sieglinde. Mit ihren Wagnerpartien eckt sie anfangs als Jüdin im berüchtigten Wiener Stehparkett an – und überwältigt das Publikum mit ihrer Kunst: "Später sagten mir eine Menge junger Leute: Wir wollten Sie eigentlich auspfeifen, aber als Sie dann sangen, gingen wir in die Knie."

Wien bleibt ein Vierteljahrhundert lang Hilde Zadeks Stammhaus, aber sie feiert auch Triumphe an der Mailänder Scala, in Covent Garden, im Teatro Colon in Buenos Aires und an der Met in New York. Sie gastiert in Glyndebourne und beim Maggio Musicale in Florenz. Ihr Repertoire umfasst schließlich an die 60 Partien.

"Singen ist nicht schwer"

Die Präsidentin des Nationalrates Barbara Prammer überreicht Hilde Zadek am 31. Oktober 2012 das "Große Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich" in Wien | Bildquelle: picture alliance / AP Photo Die Präsidentin des Nationalrates Barbara Prammer überreicht Hilde Zadek das Große Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich | Bildquelle: picture alliance / AP Photo

1971 nimmt Hilde Zadek Abschied von der Bühne – und entdeckt das Unterrichten. Auch hier findet sie ein einfaches, wirkungsvolles Rezept. Ohne System, ohne viel theoretischen Überbau, zugewandt, völlig undiktatorisch, wie sie selbst sagt: "Singen bedeutet, einfach sich öffnen. Meist ist es so: wenn ein junger Mensch zwei Jahre singen gelernt hat, dann kann er nicht einmal mehr gähnen, husten oder niesen. Es wird alles unnatürlich. Wir müssen die jungen Menschen dahinführen, dass sie wieder zu ihrer eigenen Natur finden." 2012 erhält Hilde Zadek das große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Und bis zum Schluss hält sie an ihrer Überzeugung fest: "Singen ist nicht schwer." Sie selbst war dafür das beste Beispiel.

Wenn ich noch hundert Mal zur Welt käme, dann würde ich mir noch hundert Mal wünschen, dass ich wieder Sängerin werde.
Hilde Zadek

Programmtipp

BR-KLASSIK ändert aus dem aktuellen Anlass das Programm und widmet Hilde Zadek die Sendung
"Klassik-Stars" am Mittwoch, 27. Februar ab 18:05 Uhr.

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