Für Howard Arman ist jede Bach-Motette ein absolutes Meisterwerk. Unter dem Titel "Bach pur" eröffnen der Chor des BR und sein Künstlerischer Leiter die Saison 2017/2018 und wagen eine provokante Gegenüberstellung von vier Sterbemotetten mit einer Suite für Cello solo - ein Werk, das seinem Wesen nach eigentlich Tanzmusik ist.
Bildquelle: Astrid Ackermann
BR-KLASSIK: Einige Musiker sagen, Bach wäre für sie so etwas wie das tägliche Brot. Frank Peter Zimmermann hat zum Beispiel erzählt, er spiele jeden Tag zehn Minuten Bach - für die "Seelenhygiene". Viele Musiker haben zu Bach ein ganz persönliches Verhältnis. Wie geht es Ihnen mit ihm?
Howard Arman: Ich glaube, was damit gemeint ist, ist diese hohe Ordnung, die man in Bachs Musik findet - die extrem zielgerecht eingesetzt wird und einen großen Platz fürs Denken freiräumt. Auf der anderen Seite ist es allzu leicht zu sagen man verstehe Bach, denn diese Ordnung erschließt sich einem recht schnell und Bachs Klangwelt ist uns sehr vertraut. Eine richtige Ordnung zu finden, benötigt aber sehr viel Hintergrundwissen und Sensibilität für die Denkweise dieser Zeit; da kommt man selbstverständlich nicht so schnell hinein.
Wie kann man dahinter ein- und denselben Menschen erkennen?
BR-KLASSIK: Das Konzert mit dem BR-Chor steht unter dem Motto "Bach pur". Es gibt vier Motetten und dazwischen eine der Suiten für Violoncello solo, die Maximilian Hornung spielen wird. Hört man die Musik von Bach nochmal anders, wenn man tatsächlich nur Bach drum herum hört?
Howard Arman: Hier geht es darum, dass wir eine relativ provokante Gegenüberstellung von Sterbemotetten mit Musik, die ihrem Wesen nach Tanzmusik ist. Die Suiten von Bach beruhen ja auf Tanzsätzen. Und die Frage angesichts dieser Kombination ist: Wie kann man dahinter ein- und denselben Menschen erkennen? Wo gibt es Gemeinsamkeiten? Das ist für mich das Spannende. Und um diesen Kontrast noch extremer zu machen, steht eine einzige Stimme der Mehrstimmigkeit des Chores gegenüber. Insofern kann man nicht sagen "Bach ist gleich Bach". Hier liegen Welten dazwischen.
BR-KLASSIK: Warum haben Sie ausgerechnet jene vier der Sterbemotetten ausgewählt, die jetzt in dem Konzert erklingen werden?
Howard Arman: Jede einzelne der Bach-Motetten ist ein Meisterwerk - sozusagen ein Matterhorn der Chormusik (lacht). Aber wir haben vier wirkliche Höhepunkte ausgewählt, wobei die einzelnen Stücke grundverschieden in ihrer Herangehensweise sind.
Das ist eine Predigt, ein Seelengemälde sondergleichen.
BR-KLASSIK: Woran arbeiten Sie konkret, wenn Sie diese vier Motetten jetzt mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks proben?
Howard Arman: Es gibt zwei Ebenen: Die eine ist die technische Ebene, die jeden Chor vor eine große Herausforderung stellt. Die andere Ebene ist die Vermählung von Text und Musik, die bei Bach den Beweggrund für die Vertonung beinhaltet. Jedes Wort findet einen Ausdruck im Klang, der weit über das Illustrative hinausgeht. Bei Bach geht es vielmehr in die Theologie hinein, also in das lutherische Denken, in die Auseinandersetzung mit Leben und Tod und die Erfüllung des christlichen Erwartens im nächsten Leben. Wenn Bach die Aufgabe hatte, eine Sterbemotette, eine Begräbnismusik zu komponieren, dann war es für ihn etwas, das zwischen ihm und seinem Gott stattfand. Das ist ein Teil seiner Erfüllung als Musiker und als Mensch, mit diesen Themen umzugehen. Gerade bei "Komm, Jesu, komm" haben wir eine Auseinandersetzung mit dem Thema des menschlichen Ablebens, die es in dieser Vollkommenheit bis Strauss' "Tod und Verklärung" nicht mehr gegeben hat. Das ist eine Predigt, ein Seelengemälde sondergleichen.
BR-KLASSIK: "Bach pur" wird in der Münchner Herz-Jesu-Kirche aufgeführt.. Hört das Publikum in dieser speziellen Umgebung und Atmosphäre die Musik nochmal anders?
Howard Arman: Die Idee, diese Musik in einer Kirche zu machen, hat durchaus auch eine akustische Grundlage. Aber Sie dürfen auch nicht vergessen: Sterbemotetten hat man früher am Grab gespielt, im Freien. Aber dennoch - diese akustische Umgebung ist für viele dieser Stücke wirklich sehr gut. Wer weiß, wie das bei Bach damals geklungen hat - darüber haben wir keine Informationen. Wir wissen nicht einmal, wie die Thomaskirche in der Ausstattung von damals geklungen hat. Sie ist natürlich verändert worden seit Bachs Zeit. Das sind Dinge, die wir nicht mehr rekonstruieren können und auch nicht sollen. Wir holen diese Musik in die Gegenwart. Das ist die Kraft des Musizierens - die gehört dem Jetzt und nicht dem Damals. Aber wir müssen natürlich gezwungenermaßen Entscheidungen treffen: Wo machen wir diese Musik und wo klingt sie am besten? Wie ist das Verhältnis zwischen dem einen und dem anderen Chor - und zwischen den Stimmen innerhalb des Chores? Das sind fast szenische oder klang-theatralische Überlegungen, die hoffentlich die Vermittlung Bachs Musik vertiefen werden, wenn wir das richtig machen.
Freitag, 20.10.2017, 20.00 Uhr
München, Herz-Jesu-Kirche (Neuhausen)
Übertragung des Konzerts auf BR-KLASSIK: 14.11.2017, 20.03 Uhr
Johann Sebastian Bach:
"Komm, Jesu, komm" - Motette, BWV 229
"Fürchte dich nicht, ich bin bei dir" - Motette, BWV 228
Suite für Violoncello Nr. 5 c-Moll, BWV 1011
"Jesu, meine Freude" Motette, BWV 227
"Singet dem Herrn ein neues Lied" - Motette, BWV 225
Maximilian Hornung (Violoncello)
Chor des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Howard Arman
Die Fragen stellte Annika Täuschel für BR-KLASSIK.
Das Interview wurde von der Redaktion an die Schriftsprache angepasst.
Sendung: "Leporello" am 20. Oktober 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK